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Dr. Eckhard Kluth, Leiter der zentralen Kustodie<address>© WWU - Julia Harth</address>
Dr. Eckhard Kluth, Leiter der zentralen Kustodie
© WWU - Julia Harth

"In Vollmondnächten war ich schweißgebadet besonders schnell zu Hause"

Eckhard Kluth, Zentrale Kustodie

Erinnern Sie sich an ein besonderes Erlebnis oder Ereignis im Zusammenhang mit dem Mond?

Mein Schulweg führte durch eine Flussaue mit dichtem Baumbestand. Im Frühjahr und im Herbst waberten dort häufig Nebelbänke. Und da ich schon als Kind eine blühende Fantasie hatte und mich vor dem, was sich in den Nebelbänken versteckt, ziemlich gut gruseln konnte, waren Vollmondnächte die Nächte, an denen ich mit Gänsehaut und schweißgebadet besonders schnell zu Hause war. Wahrscheinlich ist das ein Grund dafür, dass ich auch heute noch ziemlich schnell auf dem Rad unterwegs bin.

Welche Rolle spielt der Mond in Ihrem Fachgebiet?

Diese Frage könnte Stoff für eine lange Abhandlung sein, denn der Mond als Motiv zieht sich durch die visuellen Künste bis heute und kann in ganz unterschiedlichen Kontexten auftauchen – von der mittelalterlichen Mondsichel-Madonna bis zum expressionistischen Gruselfilm. Einen Aspekt will ich herausgreifen, denn es ist naheliegend, bei Mondbildern an nächtliche Landschaften zu denken – für Künstlerinnen und Künstlern nicht nur maltechnisch eine Herausforderung.

Der Mond als Motiv zieht sich durch die visuellen Künste: Adam Elsheimers kleines Gemälde "Flucht nach Ägypten" (München, Pinakothek) aus dem Jahr 1609.<address>© Wikimedia Commons</address>
Der Mond als Motiv zieht sich durch die visuellen Künste: Adam Elsheimers kleines Gemälde "Flucht nach Ägypten" (München, Pinakothek) aus dem Jahr 1609.
© Wikimedia Commons
Einen ersten Meilenstein stellt Adam Elsheimers kleines Gemälde "Flucht nach Ägypten" (München, Pinakothek) dar. Josef, Maria und der neugeborene Jesus verlassen – so die Erzählung der Bibel – im Schutz der Nacht Israel, um dem Mordbefehl des Herodes zu entgehen. Virtuos zeigt Elsheimer verschiedene Lichtmotive, eine dünne Kienfackel in der Hand Josefs, ein Lagerfeuer als wärmendes (sicheres?) Ziel, den vollen Mond am Himmel, der die Landschaft in ein fahles Licht taucht. Der Nachthimmel, der annähernd die Hälfte des Bildes einnimmt, beruht auf eigener Naturbeobachtung des Künstlers: Milchstraße, Mondkrater, realistische Sternenkonstellationen – all dies gab es vorher in der westlichen Kunst nicht. Im Jahr 1609 entstand das Gemälde fast zeitgleich zu Galileos Skizzen zu seinem 1610 publizierten "Sidereus Nuncius". Elsheimer geht es darum, das Mysterium des Geschehens in den Vordergrund zu rücken, denn nach christlichem Glauben ist in Jesus Gott zum Menschen geworden. Und als Mensch ist er der Natur, ihren Wundern und nächtlichen Gefahren ausgeliefert. Dass Elsheimer seinen Mond nicht nur am Himmel, sondern auch als Spiegelbild im Wasser zeigt, das Geschehen also umklammert, unterstreicht diesen Gedanken.

Wahrscheinlich haben Sie auch ein Beispiel aus der Epoche der Romantik, oder?

Fast schon mondsüchtig war die deutsche Romantik: "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes" von Caspar David Friedrich (frühes 19. Jahrhundert).<address>© Wikimedia Commons</address>
Fast schon mondsüchtig war die deutsche Romantik: "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes" von Caspar David Friedrich (frühes 19. Jahrhundert).
© Wikimedia Commons
Natürlich, denn die deutsche Romantik war nahezu mondsüchtig, allen voran Caspar David Friedrich, der das Halblicht und die melancholische Stimmung als Sujet schätzte. Damit traf er in seiner Zeit einen Nerv. So sind von der Komposition "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes" gleich mehrere Versionen überliefert. Immer sieht man zwei Figuren mit dem Rücken zum Betrachter, die in felsig-karger Waldlandschaft die niedrig am Himmel stehende Mondsichel betrachten. Aufgrund der Kleidung der beiden Männer – der rechte trägt die sogenannte altdeutsche Tracht, der linke die Mütze der ersten Burschenschaften – wird ein politischer Hintergrund für die Komposition vermutet. Die Tracht wird mit der deutschen Freiheitsbewegung des frühen 19. Jahrhunderts in Verbindung gebracht, die sich unter anderem für Wissenschaftsfreiheit einsetzte und der auch viele Studenten angehörten. 1819, also kurz bevor Friedrich seine Bilder schuf, wurden die Bewegung und auch das Tragen der Tracht durch die Karlsbader Beschlüsse verboten. Nach diesem Rückschlag kann der zunehmende Mond in Friedrichs Gemälde also als ein Symbol der stillen Hoffnung gedacht sein.

Gibt es besonders populäre Mondbilder?

Eines der wohl populärsten Mondbilder ist Vincent van Goghs "Sternennacht" (1889).<address>© Wikimedia Commons</address>
Eines der wohl populärsten Mondbilder ist Vincent van Goghs "Sternennacht" (1889).
© Wikimedia Commons
Dabei denke ich vor allem an Vincent van Goghs "Sternennacht", das er 1889 während seines Aufenthalts in einer Nervenheilanstalt bei Saint-Remy-de-Provence malte. Kurz zuvor hatte er sich nach einem Streit mit seinem Malerkollegen Gaugin unter ungeklärten Umständen einen Teil seines linken Ohrs abgeschnitten. Die Versuchung ist also groß, das Gemälde psychologisch zu deuten. Sogar auf schlechten Fotos kann man nachvollziehen, wie dynamisch und kraftvoll der Künstler die Farben in dicken Streifen auf die Leinwand gebracht hat. Der für "normale" Augen ruhige Nachthimmel erscheint voll unruhiger, bedrohlicher Bewegung. Der Künstler bezeichnete das Bild als Fehlschlag und hielt es lange in seinem Atelier zurück. Hintergrund ist möglicherweise sein Streit mit Gaugin: Van Gogh argumentierte, ein Maler habe die Wirklichkeit in der Natur zu malen und nicht – wie Gaugin – im Atelier aus der Erinnerung. Was sich am Tag recht gut umsetzen lässt, war in der Nacht allerdings schwierig, nicht nur wegen der festen Nachtruhe der Heilanstalt. Daher ließ sich van Gogh dazu verführen, die Sternennacht aus der Erinnerung zu malen, mit einem bauchigen Sichelmond, der eher an Kinderbücher erinnert als an Naturbeobachtung. Mit dem Ergebnis war der Künstler also nicht glücklich, scheute sich aber gleichzeitig, die Leinwand zu vernichten. Was für ein Glück, denn aller Selbstkritik des Künstlers zum Trotz gehört das Gemälde heute zu den Hauptwerken des Metropolitan Museum of Modern Art in New York.

Verraten Sie uns ein Mond-Detail aus Ihrem Fachgebiet, das Sie besonders erstaunlich finden…

Beim Nachdenken über diese Frage fällt mir auf, dass der Mond in der Kunst extrem selten als Vollmond erscheint – Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Sichelform scheint den Künstlern wohl als das eindeutigere Bildsignal zu erscheinen.

Hatten beziehungsweise haben Sie ein Lieblings-Buch oder -Lied oder etwas anderes Persönliches, in dem der Mond vorkommt?

Da ich ein Faible für nächtlich-ruhige melancholische Mondstimmungen habe, gibt es in meinem Leben eine Vielzahl von Mondliedern und –songs, Bildern und Büchern. Besonders hat mich schon in früher Kindheit die Vorstellung vom Mann im Mond fasziniert, der in vielerlei Gestalt durch Literatur, Film und Musik geistert und bis heute aktuell ist: Jüngst haben die Macher der Serie "The Umbrella Academy" mit der Figur des Luther eine besonders tragische Variante dieses Motivs entwickelt.

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