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Münster (upm/vl)
Prof. Dr. Gustav Holzegel<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Prof. Dr. Gustav Holzegel
© WWU - Peter Leßmann

Mit Geduld und Durchhaltevermögen

Der Mathematiker und Humboldt-Professor Gustav Holzegel erforscht die Dynamik Schwarzer Löcher – ein Porträt

Schachweltmeister werden – das war sein Plan, als er acht Jahre alt war. Dieses Ziel hat Gustav Holzegel zwar nicht erreicht, aber zufrieden kann er trotzdem sein: Der Mathematiker ist ein weltweit anerkannter Experte auf dem Gebiet der Allgemeinen Relativitätstheorie, hat an internationalen Top-Instituten geforscht und ist seit November Professor an der WWU, zusätzlich ausgestattet mit einer Humboldt-Professur, die als höchstdotierter Forschungspreis Deutschlands gilt.

Spaß am logischen Denken hatte Gustav Holzegel schon früh, ob als Kind beim Schach oder als Abiturient, den neben der Mathematik die komplexe Grammatik von Latein und Alt-Griechisch faszinierte. „Mein Wunsch-Studiengang war Wirtschaftsmathematik, aber durch Zufall hörte ich von einem Physik-Fernstudium“, erinnert sich der 40-Jährige. Und so wurde er schon während des Zivildienstes, den er in der Nähe seiner Heimatstadt Hannover leistete, Student in Kaiserslautern.

Nach dem Vordiplom absolvierte er an der Universität Cambridge ein internationales Studienprogramm in Mathematik und Physik. „Dort habe ich mich in die Allgemeine Relativitätstheorie verliebt“, sagt er mit einem Lächeln. „Die Methoden der Physik waren mir oft zu phänomenologisch und ad hoc, die reine Mathematik hingegen zu wenig konkret. Dieses Forschungsfeld verbindet das Axiomatische der Mathematik mit der konkreten Beschreibung von Prozessen in unserem Universum und spielt so eine zentrale und faszinierende Rolle für das Verstehen unserer Welt.“ Zurück in Deutschland, schrieb er seine Diplomarbeit bei einem Relativitätstheorie-Experten in Freiburg. „Danach hatte ich das Glück, einen Platz für eine Promotion in Cambridge zu bekommen.“

Das berühmte Quäntchen Glück: Welche Rolle spielt es in einer Wissenschaftskarriere? „Glück gehört auf jeden Fall dazu – aber man muss nicht warten, bis es an die Tür klopft, man kann es auch anlocken“, sagt Gustav Holzegel. „Wenn man für ein Thema richtig brennt, ist es hilfreich, Kontakt zu den maßgebenden Wissenschaftlern in diesem Gebiet zu suchen und den Standort zu wechseln, selbst wenn das persönliche Einschnitte bedeutet. Dann ergeben sich viel eher glückliche Zufälle, als wenn man die ganze Zeit an einem Ort bleibt.“

Rückblickend sieht er auch seine Begegnung mit dem Mathematiker Mihalis Dafermos als glückliche Fügung. „Er hat mir ein spezielles mathematisches Problem für meine Dissertation vorgeschlagen. Dadurch bin ich von der Physik zur Mathematik gekommen – ein entscheidender Wendepunkt für mich. Auch wenn das eine Menge Arbeit und Geduld bedeutete, da ich mir dafür viele mathematische Methoden und Techniken selbst beibringen musste.“

Nach der Doktorarbeit vertiefte er sich vier Jahre in der ruhigen Umgebung der US-amerikanischen Elite-Universität Princeton in seine Forschung, bevor er eine feste Stelle am Imperial College in London bekam, erst als sogenannter Lecturer, später als Professor. In der britischen Hauptstadt erzielte er Forschungsergebnisse, die ihm internationale Anerkennung, Preise und Fördergelder einbrachten.

Sein bislang größter Erfolg: ein mathematischer Beweis der Stabilität von Schwarzen Löchern. Seine Arbeit fußt dabei auf den sogenannten Einsteinschen Feldgleichungen. Albert Einstein stellte das komplexe System von partiellen Differentialgleichungen vor mehr als 100 Jahren auf – als Beschreibung der Gravitation in der Sprache der Differentialgeometrie. „Es gibt dafür keinen vollständigen Lösungssatz“, sagt Gustav Holzegel, „wohl aber moderne mathematische Methoden, um die Dynamik dieser Gleichungen in bestimmten Situationen, wie zum Beispiel in der Umgebung eines Schwarzen Loches, zu verstehen.“

Um die Eigenschaften der Einstein-Gleichungen nach und nach vollständiger erfassen zu können, wartet noch viel Arbeit auf die Forscher. „Geduld und Durchhaltevermögen sind dabei sehr wichtig, denn die meisten Ideen laufen erst einmal ins Leere. Ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie früher viel Wert auf diese Eigenschaften gelegt haben. Das versuche ich nun auch meinen eigenen Kindern zu vermitteln.”

Für Gustav Holzegels Wechsel von London nach Münster spielte das verbindende Konzept der „Bridging-the-Gaps“-Professur, die der Exzellenzcluster Mathematik Münster ausgeschrieben hatte, eine entscheidende Rolle. „Das passt sehr gut, da meine Forschung nicht nur starke Bezüge zur Physik hat, sondern auch unterschiedliche mathematische Gebiete aus der Angewandten Mathematik und der Geometrie verknüpft.“

Ebenfalls auf der „Pro-Münster“-Liste: die Lebensqualität. „Mir hat der Trubel in London immer gefallen, aber mit zwei kleinen Kindern ist eine ruhigere Umgebung und die Nähe zur Natur viel wert.“ Wichtig war auch, dass seine Frau eine Stelle an der Uniklinik bekommen konnte, um ihre neurologische Forschung und die Facharztausbildung fortzusetzen.

Nachhaltig beeindruckt hat ihn die Aufbruchstimmung, die er am Mathe-Standort Münster verspürt.  „Es gibt eine gemeinsam getragene Vision, was hier in den nächsten Jahren entstehen soll.“ Dazu möchte er beitragen, indem er das Preisgeld der Humboldt-Professur nutzt, um Nachwuchstalente einzustellen, Gäste für Forschungsaufenthalte nach Münster zu holen und internationale Konferenzen zu organisieren. Ganz nebenbei entstehen so sicherlich viele gute Gelegenheiten für glückliche Zufälle und Begegnungen, die entscheidend sein könnten für den Weg von jungen Wissenschaftlern.

Victoria Liesche

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 1, 27. Januar 2021.

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