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Münster (upm)
Wer Bilder, auf denen Gesichter zu erkennen sind, im Netz veröffentlicht, riskiert mehr Einschränkungen der Privatsphäre als bisher angenommen.<address>© Chris Young on unsplash</address>
Wer Bilder, auf denen Gesichter zu erkennen sind, im Netz veröffentlicht, riskiert mehr Einschränkungen der Privatsphäre als bisher angenommen.
© Chris Young on unsplash

"Die Privatsphäre wird systematisch zerstört"

Der Medienrechtler Thomas Hoeren über die Fotodatenbank der US-Firma Clearview

Das bis dato unbekannte US-Unternehmen "Clearview" hat offenbar eine gigantische Datenbank mit mehreren Milliarden Fotos von menschlichen Gesichtern aufgebaut. US-Behörden nutzen die Fotos beispielsweise, um Verdächtige zu finden und Verbrechen aufzuklären. Aber wie missbrauchsanfällig ist die Datenbank? Und muss ich das auch als Bundesbürger hinnehmen? Im Gespräch mit Sophie Pieper beantwortet Prof. Dr. Thomas Hoeren, Direktor des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster, alle wichtigen Fragen.

Prof. Dr. Thomas Hoeren<address>© WWU - Peter Grewer</address>
Prof. Dr. Thomas Hoeren
© WWU - Peter Grewer
Die New York Times vertritt die These, dass die App das Ende unserer Privatsphäre bedeutet. Teilen Sie diese Einschätzung?

Das ist eine typische Äußerung einer amerikanischen Zeitung. In den USA gibt es kein umfassendes datenschutzrechtliches Schutzsystem für solche personenbezogenen Daten. Aber global betrachtet, ist das wirklich eine Bedrohung, da dies über die Grenzen Deutschlands und Europas hin zum Einsatz kommen kann und wird.

Ist es in Deutschland erlaubt, dass öffentlich sichtbare Profilbilder bei Facebook, Twitter und anderen Websites heruntergeladen werden – und kann ich mich davor schützen, dass mein Foto in der Datenbank auftaucht?

Das ist verboten. Es handelt sich um personenbezogene Daten, die durch die Datenschutzgrundverordnung geschützt sind. Die Verarbeitung solcher Daten im Massenkontext ist von der Verordnung nicht gedeckt. Das gilt auch für öffentlich sichtbare Daten von Facebook. Wer seine Foto bei Facebook einstellt, gibt nicht seine Einwilligung zu einer solch umfassenden Auswertung. Man kann dagegen vorgehen, etwa durch Einschaltung der Datenschutzbehörden oder eine Klage. In der Praxis wird es allerdings schwierig sein, seine Beschwerde gegen solch mächtige Konzerne durchzusetzen.

Dürften auch europäische Strafverfolgungsbehörden Clearview benutzen?

Nein. Die EU-Strafverfolgungsbehörden brauchen dafür eine spezifisch auf die Bilderkennung zugeschnittene Ermächtigungsgrundlage, an der es derzeit fehlt.

Welche Gefahr birgt eine solche App?

Die Privatsphäre und die Freiheit des Umgangs mit seinem Bild im öffentlichen Raum wird unterlaufen und systematisch zerstört. Damit verändern sich alle Grenzen des gesellschaftlichen Umgangs und letztendlich auch unsere Freiheitsgesellschaft.

Ist Clearview ein Einzelfall, oder gibt es möglicherweise bereits weitere Datenbanken?

Clearview ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt andere Firmen, die lautstark oder stillschweigend über solche Experimente nachdenken. Und die Sicherheitsbehörden wie beispielsweise der Bundesnachrichtendienst werden solche Entwicklungen mit großer Freude mitverfolgen und abwarten, ob man davon als Sicherheitsbehörde profitieren kann.

 

Technik-Info:

Wie arbeitet Clearview?

Clearview hat nach eigenen Angaben mehr als drei Milliarden Fotos aus öffentlich zugänglichen Quellen abgesaugt. Das funktioniert mithilfe sogenannter Scraper-Software, die automatisch Bilder herunterlädt, die nicht auf „privat“ gestellt werden. Die Scraper zapfen Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram, Youtube und Twitter an, bedienen sich aber auch bei Nachrichtenportalen oder Firmen-Webseiten, die Mitarbeiterfotos veröffentlichen.
(Quelle: Süddeutsche Zeitung)

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