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Münster (upm/jh)
Einfach mal Pause machen – im Unialltag gar nicht so leicht. Dennoch raten Experten dazu, sich regelmäßig kleine Auszeiten zum Abschalten zu gönnen.<address>© Farknot Architect - stock.adobe.com</address>
Einfach mal Pause machen – im Unialltag gar nicht so leicht. Dennoch raten Experten dazu, sich regelmäßig kleine Auszeiten zum Abschalten zu gönnen.
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Dem Stress auf die Spur kommen

Viele Studierende fühlen sich stark gestresst – Psychologen geben Tipps für Erholung im Alltag

Innere Anspannung, Schlafstörungen, nicht „abschalten“ können: Viele Studierende kennen diese Stresssymptome. Die Woche ist gefüllt mit Vorlesungen und Seminaren, in der Freizeit wartet der Nebenjob. Zeit zum Lernen ist rar gesät. Prüfungsdruck und Zukunftsängste sorgen für zusätzliche Belastung. Nach einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, der Freien Universität Berlin und der Techniker Krankenkasse ist jeder vierte Studierende in Deutschland stark gestresst, fast gleich hoch ist der Anteil derjenigen, die von Erschöpfung berichten. Welche Folgen kann chronischer Stress haben? Ist Stress immer schlecht? Und wie schafft man es, der Stressfalle im Studium zu entkommen?

„Stressempfinden ist individuell“, erklärt Studentin Franziska Giesen, die sich in einem Blockseminar am Institut für Psychologie intensiv mit dem Thema Stressbewältigung im Studienalltag auseinandergesetzt hat. „Manche brauchen Zeitdruck zum Lernen, andere geraten dadurch erst recht in Panik.“ Demzufolge sei Stress nicht grundsätzlich schlecht. In gewissen Maß sei er sogar gut, um sich zu motivieren und Ehrgeiz zu entwickeln, betont die 21-Jährige. Erst wenn äußere Ansprüche und eigene Denkweisen in Überforderung münden, wird es problematisch. Denn: Chronischer Stress macht krank. Magen-Darm-Beschwerden, Herzrasen, Kopfschmerzen – die Auswirkungen sind vielfältig. Im schlimmsten Fall droht ein Burnout mit schweren körperlichen und seelischen Folgen.

Selbst in den Semesterferien haben Studierende oft wenig Zeit für Erholung: Ob Hausarbeiten, Nachprüfungen oder Ferienjobs – die vorlesungsfreie Zeit ist schon lange keine Ferienzeit mehr. „Stressbewältigung ist ein ständiger Balanceakt zwischen Aktivierung und Erholung“, erklärt Dr. Anike Hertel-Waszak, Diplom-Psychologin, systemische Coachin und Dozentin an der WWU. Im Blockseminar, an dem auch Franziska Giesen teilnahm, entwickelte sie mit den Studierenden Strategien zur Prävention von Stressfolgen. So individuell das Stressempfinden sei, müsse auch jeder den für sich passenden Ausgleich finden. Tipps wie „Entspann dich mal“ oder „Koch dir doch mal wieder was“ seien zwar gut gemeint, würden in der Regel aber wenig bewirken. „Stress verengt den Blick. Man muss sich Zeit nehmen und in Ruhe analysieren, wie man ähnliche Situationen in Zukunft besser bewältigen kann. Bei der anschließenden Umsetzung der Verhaltensänderungen sollte man nicht zu streng mit sich selbst sein, sondern Rückschläge einplanen“, rät die Expertin.

Für Holger Nikutta, der ebenfalls Psychologie an der WWU studiert und am Seminar teilnahm, bedeutet Stressbewältigung, sich regelmäßig und frühzeitig kleine Auszeiten zu nehmen – und sich durch nichts davon abbringen zu lassen. „Selbst in Prüfungsphasen muss man sich Freiräume schaffen und diese bewusst genießen“, sagt er. Dafür müsse sich jeder darüber klarwerden, was ihn entspannt. Braucht man körperlichen oder geistigen Ausgleich? Ist es Musik? Ein Film? Oder eine Joggingrunde um den Aasee? „Erholen heißt nicht immer, auf dem Sofa zu liegen oder zu schlafen“, erklärt der 27-Jährige. „Obwohl ich im Studium viel lese, entspannt mich ein gutes Buch, weil es etwas ganz anderes ist.“ Manchmal helfe es, feste freie Zeiten vorab zu definieren und diese auch in den Kalender einzutragen.

Warum bringt gerade das Studium viele junge Menschen an ihre Belastungsgrenzen? „Das Studium erfordert ein hohes Maß an Selbstorganisation, was man aus der Schulzeit nicht kennt. Eine Balance zu finden, ist nicht ganz leicht“, berichtet Franziska Giesen. Zum einen sei da der Druck, dem eigenen Anspruch gerecht zu werden. „In unserem Studienfach beispielsweise haben fast alle ein Einser-Abitur. Wir sind es gewohnt, die Besten zu sein“, sagt sie. Viele Studierende hätten Angst, in der Masse unterzugehen. Zum anderen gebe es während des Semesters nur wenig Rückmeldungen von Dozenten. Das Semesterende sei schließlich geprägt von zahlreichen eng getakteten Prüfungen. Auch die ständige Erreichbarkeit, zum Beispiel über studentische WhatsApp-Gruppen, könne das Stressniveau erhöhen.

In einem Punkt sind sich die Studierenden einig: Sorgen oder Gewissensbisse, dass man eine schlechtere Note bekommt oder sich eine Auszeit nimmt, helfen nicht weiter. „Man darf auch mal nicht perfekt sein und an sich zweifeln“, sagt Holger Nikutta. Wichtig sei es, die Warnsignale des Körpers zu kennen. „Manche essen unter Stress zu wenig oder ungesund, andere bekommen Verspannungen oder kreisen in Gedanken nur noch um die Stressfaktoren“, erklärt Anike Hertel-Waszak. Wer diese Signale erkennt, könne mit etwas Übung gezielt dagegen vorgehen. Manch einem helfe es beispielsweise, Yoga- oder Meditationsübungen in den Alltag zu integrieren. Auch sei es sehr hilfreich, die eigenen Sichtweisen und Denkmuster zu überprüfen und zu verändern. „Man muss dem eigenen Stress auf die Spur kommen“, betont Franziska Giesen.

 

Beratungsangebot:

Während der Krankenstand deutschlandweit insgesamt leicht rückläufig ist, haben sich die Krankheitstage aufgrund psychischer Erkrankungen in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt, geht aus einer Mitteilung der Bundesregierung im Jahr 2018 hervor. Dr. Anike Hertel-Waszak führt das vor allem auf eine größere Offenheit zurück: „Psychische Probleme sind kein Tabu mehr. Es ist wichtig, darüber zu sprechen und sich Hilfe zu holen.“ An der WWU bietet beispielsweise die Zentrale Studienberatung Unterstützung bei studentischen Problemen an. Dort erhalten Betroffene in der Regel innerhalb von zwei Wochen den ersten Termin.

Autorin: Julia Harth

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 8, 18. Dezember 2019.

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