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Münster (upm)
Privatdozentin Dr. Raphaela Porsch<address>© privat</address>
Privatdozentin Dr. Raphaela Porsch
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Können Quereinsteiger "gute" Lehrkräfte sein?

Ein Gastbeitrag zur Debatte um die Anstellung von Lehrerinnen und Lehrern ohne grundständige Lehramtsausbildung

Vermutlich bestände eine große Skepsis oder sogar Ablehnung durch Kollegen und Patienten gegenüber Ärzten, die keine wissenschaftliche und praktische Ausbildung im Rahmen eines Medizinstudiums absolviert haben. Übertragen auf das Bildungswesen ist diese imaginäre Situation jedoch Realität: Neben Lehrkräften mit einer grundständigen Lehramtsausbildung werden verstärkt Quer- und Seiteneinsteiger an Schulen eingestellt. Quereinsteiger sind in der Regel Lehrkräfte, die ein Fachstudium (jedoch kein Lehramtsstudium) abgeschlossen haben und dann den Vorbereitungsdienst beziehungsweise das Referendariat absolvieren. Seiteneinsteiger sind meist Lehrer, die mit einem akademischen Abschluss ohne Referendariat direkt im Schuldienst arbeiten und berufsbegleitend pädagogisch qualifiziert wurden.

Erforderlich wird die Zulassung von Personen, die auf alternativen Wegen den Lehrerberuf ergreifen, aktuell insbesondere an Grundschulen und seit vielen Jahren an berufsbildenden Schulen und weiteren Schulformen in Mangelfächern wie Mathematik, weil nicht ausreichend Bewerber mit einer grundständigen Lehramtsausbildung zur Verfügung stehen. Das hat vielfältige Gründe, bei denen der Zugang zum Studium und Regulierungsaspekte eine zentrale Rolle spielen. Sofern die Anforderungen für ein Hochschulstudium erfüllt sind, können Studieninteressierte mit wenigen Einschränkungen (zum Beispiel Aufnahmeprüfung für Sport) ihre Fächer frei wählen. Naturwissenschaftliche Fächer, die als anspruchsvoll gelten, oder Lehramtsstudiengänge wie für das Berufskolleg, die im Vergleich mehr von den Studierenden verlangen als andere Lehrämter, sind weniger attraktiv und werden daher seltener gewählt. Zudem können Absolventen nach dem Studium frei entscheiden, ob sie ihre Lehramtsausbildung fortsetzen oder in der Wirtschaft einen Arbeitsplatz wählen. Eine staatliche Regulierung des Lehrerarbeitsmarktes hat daher Grenzen. Darüber hinaus stimmten Prognosen zum Bedarf an Lehrkräften in der Vergangenheit häufig nicht, was nicht nur demografischen Veränderungen zuzuschreiben ist. Schließlich kann man zyklisch wiederkehrende Phasen von Überangebot – also zu viel ausgebildeten Lehrkräften – und Lehrkräftemangel beobachten.

Die Einstellung von Quer- und Seiteneinsteigern stellt daher eine der Lösungen für das drängende Problem der Unterversorgung von Unterricht dar. Mit ihren beruflichen Vorerfahrungen können sie praxisnahe Kenntnisse in die Schule einbringen. Allerdings äußerten kürzlich sowohl die Kommission für Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft als auch die Deutsche Gesellschaft für Fremdsprachenforschung die Befürchtung, dass die Qualität des Unterrichts in Gefahr und die Situation mit negativen Folgen für die Schüler verbunden sei. Die wissenschaftliche Befundlage kann die erstere Annahme bislang allerdings nicht stützen, insbesondere, weil es in der empirischen Unterrichtsforschung noch keine systematischen Vergleiche zwischen Unterricht von Quer- und Seiteneinsteigern sowie grundständig ausbildeten Lehrkräften gibt. Die einzige Studie, die Auswirkungen der Lehrerqualifikation auf die Schülerleistungen in Deutschland untersuchte, ist der 2015 durchgeführte Ländervergleich in der Sekundarstufe I des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen. Tatsächlich zeigen sich im Fach Englisch Nachteile von Kindern, die durch Seiteneinsteiger unterrichtet worden sind. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Defizite größer sind, wenn Schüler regelmäßig durch fachfremde Lehrkräfte, also Lehrer ohne das entsprechende Fachstudium, unterrichtet wurden – eine Situation, die in Deutschland bislang deutlich häufiger an Schulen zu finden ist als Unterricht durch Quer- und Seiteneinsteiger. Schließlich verweisen sowohl die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowie Betroffene in Erfahrungsberichten und Interviews auf Mängel an Unterstützung im Berufseinstieg hin.

Um qualitätsvollen Unterricht zu ermöglichen sowie Stress und vorzeitigen Berufsausstieg bei Quer- und Seiteneinsteigern zu verhindern, erscheint die Einführung flächendeckend verbindlicher Strukturen durch Schulen (zum Beispiel durch den Einsatz von Fachkollegen als Mentoren) und Institutionen der Lehrerbildung und -fortbildung (beispielsweise Fortbildungsangebote für Lehrkräfte mit heterogeneren Voraussetzungen) als eine notwendige Voraussetzung. Die Forderung nach einer grundständigen Lehrerausbildung darf keineswegs aufgegeben werden. Allerdings kann man davon ausgehen, dass Quer- und Seiteneinsteiger für einzelne Fächer und Schulformen in Zukunft unverzichtbar bleiben werden. Der derzeitige Forschungsstand deutet durchaus an, dass auch Lehrkräfte ohne eine grundständige Lehramtsausbildung im Unterricht professionell handeln und sie darüber hinaus über eine hohe Motivation verfügen. Belastbare Aussagen zu ihren Kompetenzen im Vergleich zu Lehrkräften mit einer regulären Ausbildung lassen sich mit der derzeitigen Studienlage allerdings nicht treffen. Empirische Arbeiten sind deshalb in mehrfacher Hinsicht wünschenswert – auch um die teilweise sehr emotional geführte Debatte zu versachlichen.

Privatdozentin Dr. Raphaela Porsch ist Akademische Rätin am Institut für Erziehungswissenschaft in der Abteilung „Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik“ der WWU. Neben dem Quer-/Seiteneinstieg von Lehrkräften liegen ihre Forschungsschwerpunkte in der Lehrerbildung und dem fachfremd erteilten Unterricht an Schulen.

 

 

Kurz nachgefragt

Welche Erfahrungen haben Sie als Quereinsteiger gemacht?

Hathumar Felker, Lehrer am Gymnasium Wolbeck in Münster:

Das Referendariat hat für mich als Quereinsteiger keine größere, aber auch keine kleinere Herausforderung dargestellt. Nach meiner Erfahrung hilft die vergleichsweise höhere fachliche Sicherheit, sich Freiräume für die Nacharbeitung pädagogischer Inhalte zu schaffen. Im Schullalltag hilft mir vor allem die große Leidenschaft für meine Fächer Mathematik und Physik, und ich fühle mich durch die gute praktisch pädagogische Ausbildung den vielseitigen Anforderungen des Berufs gewachsen. Mittlerweile ist mein Werdegang daher auch kein Thema mehr – die meisten Kolleginnen und Kollegen wissen nicht einmal, dass ich früher als Versicherungsmathematiker gearbeitet habe.

Andreas Franitza, Lehrer am Hansa-Berufskolleg in Münster:

Nach mehreren Zeitverträgen an der Uni bin ich vor zwölf Jahren als Lehrer für Deutsch und Katholische Reigionslehre in den Schuldienst gewechselt – und habe es nicht bereut. Vieles ist im System Schule anders und eigen, aber mich hat das Kollegium meiner Schule und die Schulleitung sehr unterstützt. Berufsbegleitendes Studium und Referendariat waren für mich echte Lehrjahre, die zulässige Variationsbreite ist eine andere als bei der Arbeit am Lehrstuhl. Nach dem Nadelöhr des zweiten Staatsexamens und der Anstellung hat für mich eine ausfüllende, spannende und bereichernde Arbeit begonnen, die ich kreativ gestalten kann.

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben, Nr. 1, 30. Januar 2019.

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