„Unser Kulturbegriff ist enger geworden“

Der Cheforganisator des Deutschen Orientalistentags im Gespräch

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Prof. Dr. Reinhard Emmerich

© han

Von Joachim Heinz (KNA)

Die Tiernamen-Vergabe in der westafrikanischen Ewe-Sprache, monumentale Malereien in nepalesischen Tempeln, aber auch die aktuellen Umbrüche in der arabischen Welt oder die Menschenrechtslage in Nordkorea: All das sind Themen des 32. Deutschen Orientalistentags, der am Montag in Münster beginnt. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) ordnet Cheforganisator Reinhard Emmerich die Veranstaltung ein. Zugleich nimmt der Professor für Sinologie Stellung zur Zukunft der sogenannten „Orchideenfächer“. Und zu der Frage, welche Rolle Wissenschaftler bei der Lösung von politischen Konflikten spielen können.

Herr Emmerich, wie erklären Sie dem Nichtfachmann, was der Deutsche Orientalistentag ist?

Eine Riesenveranstaltung mit über 1.000 Fachleuten aus dem In- und Ausland, die in der internationalen Fachwelt höchst angesehen ist und darüber hinaus auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Die ersten Treffen fanden in den 1920er Jahren statt.

Wer steckt hinter dem Kongress?

Die Deutsche Morgenländische Gesellschaft, die ihrerseits ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert hat. Wobei seit langem die Betonung in beiden Fällen nicht mehr auf dem Wörtchen „deutsch“ liegt. Dazu reicht ein Blick auf die Teilnehmerlisten der vergangenen Orientalistentage.

Warum dann noch der Zusatz „deutsch“?

Die deutschen Hochschulen hatten und haben eine enorme Wirkung auf die einzelnen Disziplinen der Orientalistik. Unsere Unis bilden überdurchschnittlich viele Forscher aus, die später in die Welt gehen. Umgekehrt kamen viele Experten aus anderen Ländern im Laufe ihrer Karriere zum Studieren nach Deutschland.

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Das entspricht so gar nicht dem Bild von den durch Hochschulreformen und Mittelkürzungen bedrohten „Orchideenfächern“.

Der Wandel ist trotzdem spürbar, in manchen Fächer mehr, in anderen weniger. Glücklicherweise sind viele unserer Fächer drittmittelstark, können also eine nachlassende universitäre Finanzierung durch externe Forschungsgelder teilweise wettmachen. Gleichwohl dürfen wir uns keinen Täuschungen hingeben. Wenn ich etwa auf mein eigenes Fach schaue, die Sinologie...

...die Erforschung der chinesischen Geschichte und Kultur...

...dann befürchte ich, dass es an deutschen Universitäten mehr Lehrstühle für mittelalterliche Geschichte gibt als für Chinastudien. Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass manches von dem, was wir treiben, einer breiten Öffentlichkeit schwer zu vermitteln ist und von der Forschung immer stärker erwartet wird, rasch verwertbares Wissen zu produzieren.

Aber?

Wenn ich auf unsere Geistesgrößen von vor 100 Jahren zurückblicke, habe ich den Eindruck, dass unser Kulturbegriff enger geworden ist. Wie war ein Bert Brecht von China beeinflusst! Was hat Max Weber Erhellendes über dieses Land geschrieben! Oder nehmen Sie Alfred Döblins Roman „Die drei Sprünge des Wang-Iun“.

Man kann das bedauern - aber umkehren lässt sich dieser Trend wohl nicht.

Ja, und bis zu einem gewissen Grad kann ich auch nachvollziehen, dass die Menschen sagen: „Die Welt ist eh' schon kompliziert genug, da will ich mich nicht auch noch mit solchen Dingen abgeben.“ Aber angesichts der Globalisierung hielte ich es für sinnvoll, wenigstens an den Universitäten eine gewisse Vielfalt an Fächern aufrecht zu erhalten. Natürlich spreche ich da auch als Lobbyist in eigener Sache.

Zumindest hätten Sie derzeit starke Argumente auf Ihrer Seite: Die Umbrüche in der arabischen Welt oder der Islamismus sind für den Westen, so scheint es, nur schwer zu verstehen. Welche Rolle spielen diese Themen beim Orientalistentag?

Sicher kann so ein Treffen nicht zu tagesaktuellen Entwicklungen Stellung beziehen. Aber eine ganze Reihe der rund 900 Vorträge und 80 Panels liefern Hintergrundwissen zu den laufenden Debatten, etwa zum Verhältnis von weltlichem und islamischem Recht, der Scharia.

Was kann die Wissenschaft zur Lösung von Konflikten wie dem Krieg in Syrien oder den Unruhen in Ägypten beitragen?

Man soll die Wissenschaft nicht überschätzen. Von einem Latinisten erwarten Sie ja auch nicht, dass er sich andauernd zu Silvio Berlusconi äußert. Aber bei der ein oder anderen politischen Entscheidung würde ich sagen, dass es lohnt, die Meinung von Forschern einzuholen.

Abschließend eine Frage an den China-Experten. Für viele Deutsche ist das „Reich der Mitte“ eine unbekannte oder allenfalls eine Furcht einflößende Größe. Wie sieht es umgekehrt aus: Welches Bild haben die Chinesen von Deutschland?

Die meisten Chinesen stehen Deutschland positiv gegenüber und verbinden mit unserem Land beispielsweise Markenprodukte von Nivea bis ihn zu Luxusgütern. Außerdem zählt Deutsch nach Englisch, Koreanisch und Japanisch zu den wichtigsten Fremdsprachen. Hinzu kommt: In der intellektuellen Szene herrscht ein großes Interesse an der deutschen Kultur. So wird deutsche Literatur geradezu massenhaft übersetzt. Das gilt für Klassiker ebenso wie für Veröffentlichungen neueren Datums oder Fachbücher. Und das nicht erst seit gestern, sondern seit dem 19. Jahrhundert. Etwas Vergleichbares haben wir hierzulande nicht.

Mit freundlicher Genehmigung der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).