Arbeitsgruppe „Texttheorie nach Luhmann“ (bis 2012)

Systemtheoretische Ansätze zur Analyse von Schrift, Text, Diskurs und Autorschaft

In der Systemtheorie Niklas Luhmanns sind die ‚Schrift‘ und der ‚Buchdruck‘ als Voraussetzungen für die funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaft – und damit der Systeme Religion und Politik – die historisch wichtigsten evolutionären Errungenschaften überhaupt. Gleichzeitig bricht die Schrift in Luhmanns Konzeption der Kommunikation mit der Ereignishaftigkeit des kommunikativen Geschehens, da Schrift bzw. Texte nicht verschwinden und somit dauerhaft und immer wieder unterschiedlich Anschlusskommunikationen hervorrufen können. In „Die Gesellschaft der Gesellschaft“ vertritt Luhmann die These, dass Texte aufgrund der Enthobenheit aus der kommunikativen Ereignishaftigkeit als ‚Selbstbeschreibungen‘ der Gesellschaft fungieren. Allein diese These kann aus literaturwissenschaftlicher Sicht schon als komprimierte Texttheorie verstanden werden. Darüber hinaus bietet Luhmann z.B. in den weniger beachteten Bänden zu „Gesellschaftsstruktur und Semantik“ Anknüpfungspunkte für gesellschafttheoretisch informierte Textanalysen.

Ein aktuelles Beispiel für die systemtheoretische Fundierung einer Texttheorie ist Moritz Baßlers Konzeption der Text-Kontext-Beziehung. Ausgehend von Luhmann rezipiert Baßler die systemtheoretischen Ansätze von Georg Stanitzek, Henk de Berg und Dirk Baecker. Diese Ansätze stehen in unserer Methoden-AG ebenso zur Diskussion wie Texte von Oliver Jahraus, S. J. Schmidt, Niels Werber u.a.

Als Ansatz zur Analyse von religiösen und politischen Texten bietet sich Luhmanns Gedanke an, dass erst durch Schrift und Text die (Aus-)Differenzierung von z.B. heiligen Schriften und normativ bindenden Texten ermöglicht wird. Andererseits bieten Texte immer neue, unkontrollierbare kommunikative Anschlussmöglichkeiten, welche die Autorität der Texte und ihres Autors permanent unterlaufen. An diese Gedanken anschließend sollen in der Arbeitsgruppe verschiedene Texttheorien im Hinblick auf die jeweiligen Projekte polykontextural diskutiert werden. Schließlich soll auch ein Blick auf die internationale Verbreitung systemtheoretischer Ansätze geworfen werden.

Als Einstieg in das Programm schlagen wir folgende Texte vor:

  • Moritz Baßler et. al.: Kultur als Text? In: KulturPoetik 2 (2002), Heft 1. S. 102-113.
  • Niklas Luhmann: Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition. In: N. L.: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd. 1. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1993. S. 9-71.