„Die Auferstehung des Fleisches in 3D“

Philosoph Früchtl zu Utopien vom Menschen in „Avatar“ und „Cloud Atlas“

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Prof. Dr. Josef Früchtl

© han

Über Utopien in großen Kino-Erzählungen der vergangenen Jahre hat der Philosoph Prof. Dr. Josef Früchtl in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters gesprochen. Darin ging der Wissenschaftler aus Amsterdam insbesondere auf die Filme „Avatar“ (2009) und „Cloud Atlas“ (2012) ein und analysierte ihr utopisches Potenzial sowie ihre religiös-metaphysischen Ansprüche. „Das Kino feiert hier deutlich die Auferstehung des Fleisches in 3D und die Wiedergeburt der Seelen in der ästhetischen Technik des ‚morphing‘.“ Bei dem Spezialeffekt gehen Bilder, Töne oder auch Szenen mit einer beabsichtigten Verzerrung ineinander über. „So apokalyptisch sich das Kino in seinen Zukunftsvisionen gibt, und so sehr es nach wie vor einem technischen Größenwahn huldigt, transportiert es doch auch eine seriöse Utopie über den Menschen und auch das Kino selbst“, sagte Prof. Früchtl.

Der Philosoph analysierte Handlung, Ästhetik und Erzählmuster der beiden Filme und legte dar, inwiefern sich die Werke von postmodernen Filmerzählungen der vergangenen Jahrzehnte unterscheiden. „Niemand spricht mehr von der Postmoderne. Stattdessen spricht man wieder vom Ganzen. Und das bedeutet, dass die Metaphysik in ungeahnter Weise in das ausgerufene ‚nachmetaphysische Denken‘ und in populärphilosophisch geprägte Weltbilder zurückgekehrt ist.“

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Ton-Mitschnitt des Vortrags

Als narratives Grundmuster, mit dem beide Filme Grundstrukturen der Wirklichkeit beschrieben, nannte der Wissenschaftler die naturphilosophische und metaphysische Ganzheitslehre. „Wäre es erlaubt, aus diesen Filmen allgemeine Schlussfolgerungen zu ziehen, müsste man ein ‚neues Zeitalter des Holismus‘ ausrufen, in dem alles mit allem verbunden ist wie in einem allumfassenden neuronalen Netzwerk.“ Dies lasse sich in „Avatar“ etwa konkret im dargestellten Naturbild der Alien-Spezies festzumachen. „Die Natur ist für sie eine beseelte Totalität, die in Analogie zum menschlichen Gehirn organisiert ist“, so der Philosoph.

Der Film „Avatar“ transportiere durch die Transformation der menschlichen Hauptfigur in einen künstlich erzeugten, leistungsfähigeren Körper das Erzählmuster des künstlichen Menschen, führte der Philosoph aus. „Solange wir selber nicht in einen neuen Körper eintauchen können, perfektioniert das 3D-Kino die Erfahrung des Zuschauers, in eine künstlich geschaffene Welt einzutauchen.“ Der gänzlich in computererzeugten Umgebungen spielende Film ziele zugleich auf „ein perfektionstechnologisches Bild des Kinos selber“, unterstrich Prof. Früchtl. „So vollzieht das ‚crossing-over‘ der Hauptfigur nicht nur eine anthropologische, sondern auch eine cineastische Utopie.“

„Cloud Atlas“ beschäftigt sich nach den Worten des Referenten insbesondere mit der Idee der Wiedergeburt. Neben den sechs Geschichten verschiedener Genres falle vor allem seine Erzählstruktur auf, „die an ein Kaleidoskop erinnert und durch Bilder und Handlungen ‚morpht‘“. Der Film stelle „ein würdiges cineastisches Folgemodell“ der postmodernen Metaphysik dar und führe vor, dass „metaphysischer Holismus am besten ästhetisch gerechtfertigt werden kann“, so Prof. Früchtl.

„Zukunftsvisionen zwischen Apokalypse und Utopie“

Plakat der Ringvorlesung „Zukunftsvisionen zwischen Apokalypse und Utopie“

Plakat

© fuyu liu, Shutterstock.com

In der Ringvorlesung, die das Habilitandenkolleg des Forschungsverbunds organisiert, kommen Vertreter verschiedener Fächer zu Wort: Geschichts-, Rechts- und Politikwissenschaft, Germanistik, Philosophie, Archäologie, Ägyptologie und Kulturwissenschaft. Die Reihe widmet sich der Geschichte apokalyptischen und utopischen Denkens von der Antike bis heute und untersucht, wie religiöse und politische Elemente in Zukunftsvisionen verwoben sind. Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 in Münster zu hören. Den nächsten Vortrag am 13. Januar hält die Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Tatjana Hörnle aus Berlin unter dem Titel „Die Zukunft des Strafens in multikulturellen Gesellschaften“. (han/vvm)