Krieg und Frieden

Grünen-Politiker Nachtwei diskutiert mit Theologe Lienemann über Friedensethik

 Winfried Nachtwei und Prof. Dr. Wolfgang Lienemann (v.l.)

Über Fragen der Friedensethik haben der Grünen-Politiker und Experte für Friedenspolitik Winfried Nachtwei aus Münster und der evangelische Theologe Prof. Dr. Wolfgang Lienemann aus Bern in der Reihe „Streitgespräche über Gott und die Welt“ diskutiert. Sie legten dar, wie sich die Friedens- und Sicherheitspolitik seit dem Ende der Sowjetunion und des Warschauer Paktes veränderten und vor welchen Herausforderungen die Politik heute steht. Wolfgang Lienemann skizzierte Grundlinien der Friedensethik der beiden großen christlichen Kirchen, die dem Leitbild eines „gerechten Friedens“ und dem internationalen Konzept der „Schutzverantwortung“ folgen. Winfried Nachtwei von Bündnis 90/Die Grünen hob die Bedeutung ziviler Krisenprävention hervor. Beide waren sich darin einig, dass militärische Einsätze keinen nachhaltigen Frieden bringen können.

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Ton-Mitschnitt der Diskussion

Die Kriege auf dem Balkan haben nach Einschätzung des Grünen-Politikers zwar in den 1990er Jahren deutlich gemacht, „dass „militärische Gegengewalt zum Schutz vor Massengewalt notwendig und legitim sein kann“, er habe aber auch die Grenzen von internationalen Militäreinsätzen aufgezeigt. „Militär kann einen innerstaatlichen Konflikt nicht lösen, nicht nachhaltigen Frieden schaffen. Das wissen vor allem Soldaten in der Regel sehr genau“, so Nachtwei, der von 1994 bis 2009 Bundestagsabgeordneter war. Zur Friedensbewahrung und Friedenskonsolidierung bedürfe es politischer Lösungen etwa durch die Vereinten Nationen.

Damit Konflikte gar nicht erst eskalieren, sind nach den Worten von Nachtwei Mittel der zivilen Krisenprävention und der Friedensförderung entscheidend. Sie würden in der Öffentlichkeit aber kaum wahrgenommen, kritisierte der Politiker. Das habe strukturelle Gründe. „Es ist eben ein unsichtbarer Erfolg, wenn wie 2001 in Mazedonien ein Bürgerkrieg verhindert wird.“ Das Politikfeld der zivilen Krisenprävention leide unter einem Kreislauf aus „Unsichtbarkeit, schwacher Lobby und geringem politischen Gewicht“. Diesen gelte es jetzt zu durchbrechen.

Der Theologe und Ethiker Wolfgang Lienemann führte aus, die meisten christlichen Kirchen verträten ein „Friedensethos der Gewaltlosigkeit“. Das verknüpften sie mit dem „Konzept der Schutzverantwortung“, das in den letzten Jahren näher ausgearbeitet worden sei. Unter Schutzverantwortung sei die Pflicht zu Prävention, Reaktion und zum Wiederaufbau gemeint. „Das darf nicht verkürzt als militärische Intervention verstanden werden. Schutzverantwortung ist vielmehr als Pflicht zur Konfliktprävention und als aktive, vorausschauende Friedenspolitik zu verstehen“, erläuterte Prof. Lienemann. Ein „gerechter Friede“ sei mehr als das Fehlen von Gewalt und bedürfe kontinuierlicher politischer und sozialer Anstrengungen. Es gelte der Grundsatz: „Wenn Du den Frieden willst, dann musst Du den Frieden schaffen, fördern und erhalten.“

Strittig sei aus Sicht der Kirchen, ob und unter welchen Voraussetzungen militärische Gewalt im Rahmen des Völkerrechts der Schutzverantwortung dienen könne. „In dieser Frage darf aber nicht nach schlechter Stammtischmanier bei jedem Bürgerkrieg, bei ethnischen Verfolgungen oder schweren Menschenrechtsverletzungen lautstark ein gewaltsames, militärisches Eingreifen gefordert werden.“ Die Interventionserfahrungen von Somalia bis Afghanistan und Irak sprächen dagegen. „Militär kann – unter günstigen Umständen – Gewaltsamkeiten unterbinden und abschreckend wirken, aber es kann in aller Regel nicht die Grundlagen einer zivilen Rechts- und Friedensordnung schaffen“, so Prof. Lienemann. „Militärisches Eingreifen kommt fast immer zu spät und erweist sich in der Regel ungeeignet zur effektiven Kriegsbeendigung.“ Zudem würde „nur äußerst selten zu Beginn einer militärischen Intervention überlegt, welche genauen Zielsetzungen verfolgt werden und wann man die Mission beenden oder abgebrochen werden muss“.

Plakat der Reihe „Streitgespräche über Gott und die Welt“

Plakat

Moderator der Diskussion mit dem Titel „Friedensethik“ war der Theologe und Sozialethiker Prof. Dr. Karl Gabriel vom Exzellenzcluster. Die öffentliche Veranstaltung bildete den Abschluss der Reihe „Streitgespräche“. Seit April diskutierten Theologen und Nicht-Theologen am Platz der regelmäßigen Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ aktuelle Themen wie Hirnforschung und Wirtschaftsethik oder das Miteinander der Religionen und ihr Verhältnis zum Atheismus. Das Format trug den Untertitel „Disputationen zwischen Theologie, Natur- und Gesellschaftswissenschaften“. Es handelte sich um eine Kooperationsveranstaltung mit der Evangelisch-Theologischen Fakultät der WWU zu deren 100-jährigem Bestehen. Im kommenden Semester veranstaltet der Exzellenzcluster eine Ringvorlesung über „Zukunftsvisionen zwischen Apokalypse und Utopie“, die das Habilitandenkolleg organisiert. (ska/vvm)