„Karneval war nicht so subversiv, wie man glaubt“

Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger über Fastnachtsrituale seit der Vormoderne – Erste Einführung in die historische Ritualforschung vorgelegt

Pressemitteilung des Exzellenzclusters vom 20. Februar 2014

Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger

Karnevalsrituale waren in der Geschichte laut der Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger weniger subversiv als oft angenommen. Zwar sei die herrschende Ordnung über Jahrhunderte durch Fastnachtsrituale wie Umzüge, Maskeraden, Spottlieder und Parodien in Frage gestellt worden, erläutert die Forscherin des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Uni Münster. Doch diese „kontrollierte Normüberschreitung“ sei im Mittelalter und in der Frühneuzeit durch die Obrigkeiten eng begrenzt worden und, wie heute noch, im Alltag meist folgenlos geblieben. „Die karnevaleske Umkehrung des Alltags und der politische Umsturz waren zweierlei“, so die Autorin. Die Forscherin, die im November für ihre Ritual- und Symbolforschungen mit dem deutschen Historikerpreis ausgezeichnet wurde, hat jüngst die erste Überblicksdarstellung zur historischen Ritualforschung im Campus Verlag vorlegt und darin auch Fastnachtsrituale analysiert.

„Auch wenn sich im vormodernen Karneval die Welt verkehrte, wenn der Spott die Ehrfurcht ersetzte, Überfluss statt Mangel herrschte, Männer sich als Frauen verkleideten, Frauen als Männer und das Heilige der Kirchen profaniert und parodiert wurde, so ist nicht jedem populären Festbrauch ein aufrührerischer und politisch gefährlicher Subtext zu unterstellen“, schreibt die Wissenschaftlerin. Um das subversive Potenzial der „Verkehrten Welt“ der Fastnacht zu bestimmen, dürfe man nicht generalisieren. Vielmehr seien die politischen und sozialen Umstände jedes Einzelfalls anhand der Quellen genau zu rekonstruieren. „Wenn es bei manchen karnevalesken Anlässen zu Gewaltexzessen kam, lässt sich das nach genauer Untersuchung oft nicht ohne eine Konfliktgeschichte erklären, die lange vorher begann und mit dem Karneval nichts zu tun hatte.“

Christlicher Karneval seit dem 13. Jahrhundert

Der christliche Karneval zwischen Weihnachten und Fastenzeit ist quellenmäßig ab dem 13. Jahrhundert belegt. „Er bestand nicht nur in allgemeinen Festlichkeiten, Gelagen und Vergnügungen, sondern auch in sorgfältig organisierten Umzügen, Maskeraden, Wettkämpfen, szenischen Spielen und Schautänzen, die die städtischen Zünfte und Bruderschaften veranstalteten. Wenn dies geschah, herrschte ‚Narrenfreiheit‘“, schreibt Barbara Stollberg-Rilinger. Die Obrigkeiten tolerierten Ausschweifungen vor allem der männlichen Jugend, ebenso die in den Ritualen mitschwingende Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen. Ob der christliche Karneval in historischer Kontinuität zur heidnischen Antike steht, ist umstritten. Zumindest ähneln sich die Phänomene: Auch die römischen Saturnalien und griechischen Dionysien erlaubten Grenzüberschreitungen und nivellierten Statusunterschiede, etwa zwischen Sklaven und Freien.

Karnevalsverbote seit der Reformation

Die kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten gingen mit den populären Festbräuchen im Verlauf der Jahrhunderte immer strenger um. „Im Spätmittelalter waren die Grenzen zwischen profaner und sakraler Sphäre noch fließend, die Kirche war für karnevaleske Späße keineswegs tabu.“ Die Kleriker hatten ihre eigenen Umkehrrituale, häufig parodierten sie die Liturgie. „Das änderte sich im 16. Jahrhundert unter dem Einfluss von Reformation und Konfessionalisierung“, erläutert die Frühneuzeit-Historikerin. In katholischen Ländern wurde der Karneval enger als zuvor auf die Tage vor Aschermittwoch begrenzt. Klerikern wurde verboten, sich an Karnevalsbräuchen zu beteiligen.

„In protestantischen Ländern wurde dem Karneval grundsätzlich der Kampf angesagt, schreibt die Forscherin. Dass die Obrigkeiten dagegen vorgingen, sei Teil ihres „Feldzugs gegen Ausschweifung und Müßiggang“ gewesen. „Ob und wie die Verbote sich durchsetzten, ist allerdings schwer zu rekonstruieren.“ Fest steht der Expertin zufolge, dass die „gebildeten Stände“ sich zunehmend von dem als „roh und unzivilisiert“ angesehenen Vergnügen distanzierten, sodass sich die Festkulturen des Volkes und der Bildungseliten auseinander entwickelten. (vvm)

Einführungsband „Rituale“

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