„Stadt des Propheten“

Islamwissenschaftler Werner Ende über den Wallfahrtsort Medina

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Prof. Dr. Werner Ende

© ska

Über den muslimischen Wallfahrtsort Medina hat der Islamwissenschaftler Prof. Dr. Werner Ende in der Ringvorlesung „Heilige Orte“ gesprochen. „Mit Mekka und Jerusalem ist Medina eine der wichtigsten heiligen Städte der islamischen Welt“, sagte er in seinem Vortrag zum Abschluss der Vortragsreihe des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und des Centrums für Geschichte und Kultur des östlichen Mittelmeerraums (GKM). Unter Muslimen genieße der Ort bis heute „ein überragendes Prestige“, da seine Bewohner im 7. Jahrhundert nach Christus die verfolgte Gemeinde des Propheten Muhammad aufgenommen hätten und er dort die Vision eines gottgewollten, vorbildlichen Gemeinwesens habe umsetzen können. „Von Medina aus eroberte Muhammad schließlich das von Heiden beherrschte Mekka.“ Obwohl die Wallfahrt nach Medina für Muslime im Unterschied zur Mekka-Pilgerfahrt keine religiöse Pflicht sei, gelte sie bis heute im religiösen Sinne als höchst verdienstvoll.

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des Vortrags

In seinem Vortrag zeichnete der Wissenschaftler die religiöse Bedeutung des Ortes anhand der wichtigsten Verehrungsstätten dort nach: die Prophetenmoschee mit dem Grab Muhammads und der in unmittelbarer Nähe befindliche Friedhof Al-Baqî, das älteste und historisch bedeutendste Gräberfeld der islamischen Welt. „Der Überlieferung nach soll der Prophet selbst den Ort für die Verstorbenen seiner Gemeinde ausgesucht und persönlich die Beerdigung einiger seiner Gefährten und Angehörigen vorgenommen haben.“ Seine Worte und Handlungen hätten die Muslime in der Folgezeit als maßgeblich angesehen und zum Kernbestand der scharia-rechtlich vorgeschriebenen Begräbnispraxis gemacht. „Der Friedhof gehört somit zu den prägenden Orten der islamischen Geschichte“, so der Forscher.

In der Neuzeit führte die Eroberung der Stadt Medina in den Jahren 1805 und 1926 durch Wahhabiten zur Zerstörung zahlreicher muslimischer Grab- und Erinnerungsstätten, wie der Wissenschaftler darlegte. „Die Doktrin dieser sunnitischen Sondergruppe, die im 18. Jahrhundert entstanden ist, richtet sich – auch gewaltsam – gegen Gräber- und Heiligenkulte, die sie als ,unerlaubte Neuerungen‘ betrachten.“ Bis heute schwanken die Reaktionen der Muslime in aller Welt nach den Worten des Experten zwischen „Zustimmung, heftigem Protest und grimmiger Resignation“. In Pakistan etwa würden sunnitische und schiitische Sufis und andere Gegner der Wahhabiya jedes Jahr am 21. April an die Zerstörungen von 1926 mit einem Gedenk- und Protesttag erinnern. Der Zustand des Friedhofs Al-Baqî und die Hoffnung auf eine Restauration sei bis heute Thema der panislamischen Öffentlichkeit und wirke bis in die internationale Politik hinein.

Prof. Ende ist emeritierter Professor für Islamwissenschaft der Universität Freiburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt die arabische Geschichtsschreibung in der Neuzeit.

Abschluss der Ringvorlesung „Heilige Orte“

Plakat der Ringvorlesung

Plakat der Ringvorlesung

© Klearchos Kapoutsis

Der Vortrag mit dem Titel „Medina – Stadt des Propheten und Camposanto des Islams“ beendete die Ringvorlesung „Heilige Orte“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und des GKM. Im kommenden Semester lädt der Exzellenzcluster am Platz der Ringvorlesung dienstags von 18.15 bis 19.15 Uhr erstmals zu „Streitgesprächen über Gott und die Welt“ ein. Je ein Theologe und Nicht-Theologe werden in der öffentlichen Reihe aktuelle und kontroverse Religionsthemen diskutieren. Die Themen des interdisziplinär angelegten Programms reichen von Religionsvielfalt und Atheismus über das Verhältnis von Theologie und Gehirnforschung bis zu Bioethik, Bildung und internationaler Gerechtigkeit.

In der Ringvorlesung „Heilige Orte“ untersuchten namhafte Forscher im Wintersemester die historischen Ursprünge und Wandlungen religiöser Stätten wie Delphi, Jerusalem, Medina, Rom und Byzanz. Die Reihe ging auch den politischen und wirtschaftlichen Interessen sowie den Erinnerungskulturen nach, die sich mit den antiken Orten bis heute verbinden. Zu Wort kamen Vertreter unterschiedlicher Fächer wie der Altorientalistik, Ur- und Frühgeschichte, Ägyptologie, Alten Geschichte, Klassischen Archäologie und Philologie, Bibelwissenschaften und Byzantinistik sowie Religions- und Islamwissenschaften. (ska/vvm)