„Gewaltsame Konflikte waren selten“

Historiker Hugh McLeod über das friedliche Zusammenleben der Religionen in England

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Prof. Dr. Hugh McLeod

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Über die Vielfalt der Religionen in England seit dem 19. Jahrhundert bis heute hat der englische Religionshistoriker Prof. Dr. Hugh McLeod am Dienstag in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ gesprochen. „Die religiöse Vielfalt hat in England eine lange Tradition“, sagte der Forscher, der zu den besten Kennern der neuen Religionsgeschichte Europas gehört. Anhand zahlreicher Beispiele aus verschiedenen historischen Phasen legte er dar, wie Methodisten, Anglikaner, Katholiken sowie Anhänger anderer religiöser und säkularer Gruppen im städtischen und ländlichen Alltag – bei der Arbeit, in der Schule und in der Nachbarschaft – miteinander auskamen.

„Konfliktpotenzial gibt es überall, wo verschiedene Religionen aufeinandertreffen“, sagte Prof. McLeod. „Verglichen mit anderen europäischen Ländern blieb es in England jedoch friedlich. Ernsthafte Religionskonflikte bis hin zur Ausübung von Gewalt waren selten.“ Der Wissenschaftler führte die gegenseitige Akzeptanz auf den Pluralismus zurück: „Im Gegensatz zu Frankreich konnte sich keine Glaubensrichtung als vorherrschende Religion durchsetzen, daher waren Kompromisse an der Tagesordnung.“ Interessen und Loyalitäten verliefen demnach oft quer zu unterschiedlichen Religionsgemeinschaften, was sie wechselweise miteinander verband. Fast alle rechtlichen Benachteiligungen religiöser Minderheiten seien bereits bis zum Ende des 19. Jahrhunderts abgeschafft worden.

Umbruch im religiösen Gefüge

Einen Umbruch im religiösen Gefüge Englands lösten die gesellschaftlichen und kirchlichen Veränderungen der 1960er Jahre aus, wie der Religionshistoriker darlegte. „Einwanderer aus den ehemaligen britischen Kolonien, Muslime, Hindus und Sikhs, erweiterten zusammen mit anderen spirituellen und atheistischen Lebensentwürfen die Palette der religiösen Optionen rapide“, so Prof. McLeod. Einflüsse der Medien, das Zweite Vatikanische Konzil sowie das neue Politikbewusstsein der 1968er seien hinzugekommen. „Die damalige Zeit brachte so starke gesellschaftliche Umbrüche, dass sich auch die religiöse Landschaft dramatisch veränderte.“

„Die englische Gesellschaft von heute zeigt einen gesunden Pluralismus der Religionen“, so der Forscher. Abgrenzungen zwischen verschiedenen christlichen Konfessionen spielten keine gesellschaftsprägende Rolle mehr. „Die christlichen Kirchen sind zusammengerückt, nachdem die Zahl der nicht-christlichen Gemeinschaften angewachsen ist und die säkulare Religionskritik lauter wurde.“ So stünden Abgrenzungen zwischen religiösen und säkularen Gruppen sowie Konflikte zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen im Mittelpunkt der Diskussion. „Je beide Gruppierungen fordern mehr Toleranz von der anderen Seite.“ Insgesamt sei statt eines offenen Konflikts eine gewisse Akzeptanz bis zum gegenseitigen Respekt zu finden.

Der Vortrag trug den Titel „The Pluralism of everyday life: England since 1870“. Der Referent erläuterte anhand des typischen Lebenslaufs eines Minenarbeiters des 19. Jahrhunderts und seiner Nachkommen, wie gesellschaftliche Veränderungen auch die Wahrnehmung und Akzeptanz von Religionen beeinflussen. Prof. Dr. Hugh McLeod lehrte im vergangenen Sommersemester als Gast an der Universität Münster.

Ringvorlesung „Religiöse Vielfalt“

Plakat Ringvorlesung Religiöse Vielfalt

Plakat der Ringvorlesung

Die Ringvorlesung „Religiöse Vielfalt“ des Exzellenzclusters und des neuen Centrums für Religion und Moderne (CRM) analysiert Beispiele religiöser Pluralität von der Antike über das Mittelalter und die Frühneuzeit bis zu Deutschland, England, China und den USA heute. Die Vorträge mit anschließender Diskussion sind dienstags ab 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 in Münster zu hören. Kommende Woche spricht Mittelalterhistoriker Prof. Dr. Benjamin Scheller von der Universität Duisburg-Essen zum Thema „Religiöse Pluralität und religiöse Ambiguität im Mittelalter. Das Königreich Sizilien im 12. Jahrhundert“. (bhe/vvm)