„Eine Geschichte der Vielfalt“

Über Astrologie, Esoterik und Wissenschaft in der europäischen Religionsgeschichte

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Prof. Dr. Kocku von Stuckrad

Über die Bedeutung von Astrologie, Esoterik und Wissenschaft für die europäische Religionsgeschichte hat der Religionswissenschaftler Prof. Dr. Kocku von Stuckrad aus Groningen in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ gesprochen. Die Geschichte der Religion in Europa sei nicht nur eine Geschichte der christlichen Kirchen. Vielmehr zeige sie eine große Vielfalt an Religionen und Lehren, zu denen auch Astrologie und Esoterik gehörten. „Erst in der Vielzahl dieser Perspektiven gewannen Religion und auch Wissenschaft an Bedeutung“, sagte der Forscher. Das heutige Verständnis von Wissenschaft sei erst im Zeitalter der Aufklärung entstanden. Andere Lehren seien vor allem ab dem 17. Jahrhundert als unwissenschaftlich ausgegrenzt worden. Bis dahin hätten Lehren wie Astrologie,  Alchemie und Magie die Wissenschaft durchdrungen. „Die Grenzen waren über Jahrhunderte hinweg fließend.“

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Ton-Mitschnitt des Vortrags

Der Forscher gab in seinem Vortrag einen Überblick, welche Rolle Lehren wie Astrologie und Esoterik in Europa seit der Antike spielten. Die antiken Babylonier, Griechen und Römer hätten Sternkunde etwa auf einer Ebene mit Mathematik und Empirie gesehen. „In der Spätantike verboten die christlichen Kaiser die Astrologie jedoch weitläufig und stellten sie mitunter unter Todesstrafe“, sagte Prof. von Stuckrad. Während die Lehre unter Muslimen im 8. bis 12. Jahrhundert eine Blütezeit erfuhr, gewann sie in Europa erst in der Renaissance wieder an Bedeutung. „Auf Sterndeutung basierende Jahresprognosen waren weit verbreitet.“

„Kein geheimes Wissen für Insider“

Bei der Esoterik ging es laut dem Religionswissenschaftler nie um „geheimes Wissen für Insider“, sondern darum, ein verborgenes, göttliches Wissen zu offenbaren. Dieses „absolute Wissen“ könne auch von dem abweichen, was in der hebräischen oder christlichen Bibel stehe, oder aber zeigen, was deren eigentlicher Schriftsinn sei. „Esoterische Lehren haben Religion, Philosophie und Wissenschaft auch in der Renaissance stark beeinflusst.“ Als Beispiel nannte er hierfür das Werk Kabbala denudata (‚Entschleierte Kabbala’) des Universalgelehrten Christian Knorr von Rosenroth aus dem Jahr 1677. „Der Forscher übersetzte darin hebräische, kabbalistische Schriften zum ersten Mal ins Lateinische und nutzte deren Inhalte – wie etwa das Alphabet der Natur – in naturwissenschaftlichen Modellen.“

Ab dem 17. Jahrhundert sei es dann zu polemischen Ausgrenzungen gekommen. „Seitdem werden Lehren wie Astrologie oder Esoterik weit verbreitet als Möchtegern-Wissenschaften und Aberglaube abgetan.“

Prof. Dr. Kocku von Stuckrad ist Religionswissenschaftler an der Universität Groningen. Zu seinen Forschungsinteressen zählt die europäische Geschichte der Religion von der Antike bis zur Gegenwart. Er hat mehrere Monographien und Sammelbände über esoterische Diskurse in der westlichen Kultur, Astrologie, Schamanismus und zu Themen rund um Religion, Natur und Wissenschaft publiziert.

Ringvorlesung „Religiöse Vielfalt“

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Plakat der Ringvorlesung

Die Ringvorlesung „Religiöse Vielfalt“ des Exzellenzclusters und des neuen CRM analysiert Beispiele religiöser Pluralität von der Antike über das Mittelalter und die Frühneuzeit bis zu Deutschland, England, China und den USA heute. Die Vorträge mit anschließender Diskussion sind dienstags ab 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 in Münster zu hören. Kommende Woche spricht der Religionssoziologe Prof. Dr. Hugh McLeod aus Birmingham zum Thema „The Pluralism of everyday life: England since 1870“. (han)