Experte kritisiert neues PID-Gesetz

Jurist Prof. Dr. Thomas Gutmann hält verfassungsrechtliche Legitimation der Ethik-Kommissionen für zweifelhaft

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Prof. Dr. Thomas Gutmann

Der am Donnerstag vom Bundestag angenommene Gesetzentwurf zur Präimplantationsdiagnostik (PID) enthält nach Ansicht des Juristen und Rechtsphilosophen Prof. Dr. Thomas Gutmann Bestimmungen, deren verfassungsrechtliche Legitimation zweifelhaft ist. Dabei geht es um die Voraussetzungen, die Eltern für eine PID zu erfüllen haben, wie der Wissenschaftler aus dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster am Freitag sagte: „Beide müssen sich einer Zwangsberatung unterziehen und zudem grünes Licht von einer ,Ethik-Kommission‘ erhalten, deren Sinn und deren verfassungsrechtliche Legitimation mehr als zweifelhaft erscheinen müssen“, so der Wissenschaftler, der zugleich Sprecher der DFG-Kolleg-Forschergruppe „Normenbegründung in Medizinethik und Biopolitik“ an der Universität Münster ist. „Der 7. Juli 2011 war deswegen keine Sternstunde des Bundestags.“

Der vom Parlament angenommene Entwurf greife weniger in die Grundrechte von Eltern ein als die Alternativen, sagte Prof. Gutmann. Das Parlament hatte am Donnerstag mehrheitlich dafür gestimmt, die PID in engen Grenzen straflos zu lassen. Eltern dürfen jetzt im Reagenzglas erzeugte Embryonen in einem frühen Stadium testen lassen, wenn eine schwerwiegende Erbkrankheit wahrscheinlich ist oder eine Tot- beziehungsweise Fehlgeburt droht. Eine Minderheit von 220 Abgeordneten sprach sich für ein striktes gesetzliches Verbot aus. Das hätte laut Prof. Gutmann schwerwiegende Konsequenzen für Paare gehabt, die sich Nachwuchs wünschen, sich aber nicht in der Lage sehen, ein wegen einer genetischen Erkrankung schwer behindertes Kind großzuziehen. „Sie wären auf ein schlechthin unzumutbares ,trial-and-error-Verfahren‘ (Versuch und Irrtum) verwiesen gewesen: Der Test am Vierzeller ist verboten, die Abtreibung des Kindes, zur Not bis kurz vor der Geburt, bleibt legal und der Ausweg der Wahl“, so der Jurist.

Aus der Diskussion des Bundestages lässt sich nach Meinung von Prof. Gutmann Grundsätzliches lernen, was die Begründung von Normen im pluralistischen Staat angeht. Wie in der Biopolitik Deutschlands und einigen Nachbarstaaten Normen gesetzt werden, erforscht der Jurist am Exzellenzcluster im Projekt A3 des Exzellenzclusters. Das politische System, das Rechtssystem und das Moralsystem driften nach seinen Erkenntnissen immer weiter auseinander, wie auch die gestrige Plenardebatte zeige. Verfassungsrechtliche und ethische Argumente – wie sie beispielsweise der Nationale Ethikrat 2004 in differenzierter Form entwickelt habe – spielten gerade bei „den ethisch so aufgeladenen, stark auf das verfassungsrechtlich geschützte Gewissen der Abgeordneten rekurrierenden Entscheidungen“ nahezu keine Rolle mehr. „Biopolitik ist heute primär symbolische Politik, für die regelmäßig gerade die schlechtesten ethischen Argumente am nützlichsten sind.“ Außerdem steigt nach Beobachtung von Prof. Gutmann in der bioethischen Debattenkultur die Bereitschaft, Rechtsgüter zu konstruieren, die sich unter Bedingungen der Normenbegründung im liberalen Rechtsstaat „weder plausibel begründen noch normativ durchhalten lassen“. Dazu zähle der behauptete rechtliche Würdeanspruch des Vierzellers in der Petri-Schale.

„Die PID-Debatte im Bundestag liefert für Wissenschaftler umfangreiches empirisches Material für die Verwendung von religiösen Argumenten bei der politischen Normenbegründung, das es genauer zu analysieren gilt“, sagte Prof. Gutmann. Es würden keineswegs mehr nur „Versatzstücke theologischer Begründungsformen“ gegen die Grundrechte der betroffenen Bürger ins Feld geführt. Diesen stünden längst „säkulare Entsprechungen“ zur Seite, um im politischen System Anschlussfähigkeit herzustellen. „Sie erfüllen diese Funktion ebenso effektiv, wenngleich auf noch weniger überzeugende Weise“, so Prof. Gutmann. Mit Blick auf das Forschungsprogramm des Münsteraner Exzellenzclusters „Religion und Politik“ seien diese Entwicklungen von besonderem Interesse. (arn)