„Gewalt-Rhetorik in Kirchenliedern“

Literaturwissenschaftlerin Martina Wagner-Egelhaaf über christliche Gesangbücher

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Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf

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Katholische und evangelische Kirchenlieder sind häufig von einer Sprache der Gewalt geprägt. „Die kämpferisch-kriegerische Metaphorik zieht sich bis in die aktuellen Ausgaben des Evangelischen Gesangbuchs und des katholischen Gotteslobs durch“, sagte Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf am Dienstagabend in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Universität Münster. Heute fänden die Lieder kaum mehr einen realen Gewalthintergrund. Früher dagegen seien sie in religiösen und politischen Konflikten von echtem „geistlichen Kampf- und Gewaltpotential“ gewesen.

Die Forscherin führte viele Beispiele an wie das protestantische Luther-Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ von 1529 und „Ein Haus voll Glorie schauet“, das von Josef Mohr 1876 verfasste katholische Gegenstück. In ersterem ist von „Wehr und Waffen“ die Rede, in letzterem vergießen Tausende „mit heil’ger Lust ihr Blut“. Solche Lieder seien in der Geschichte immer wieder eingesetzt worden, um den Gegner einzuschüchtern und die eigene Identität zu stärken. „In den Liedtexten ist immer wieder vom ‚Feind‘ die Rede. Wer damit jeweils gemeint war, das konnte über die Jahrhunderte unterschiedlich gedeutet werden – ob Katholiken, Franzosen, Nationalsozialisten oder Kommunisten“, sagte Prof. Wagner-Egelhaaf. Exemplarisch führte sie das Luther-Lied „Erhalt’ uns, Herr, bei deinem Wort“ an, dessen zweite Zeile „Und steure deiner Feinde Mord“ dem Gegner Gewalttätigkeit unterstelle und der damit zu bekämpfen sei.

Heutige Liedversionen „politisch ziemlich korrekt“

„Vor diesem Hintergrund gewinnt die auf die paulinische Tradition zurückgehende militärische Ausrüstung der Gesangbuchsprache ihren Gewaltzusammenhang“, sagte die Germanistin. Im Zentrum der Lieder steht hingegen die Herrschaftsgewalt Gottes (potestas), die gegen die irdische Gewalt (violentia) gesetzt werde. Die Forscherin erläuterte: „Im Laufe der Jahrhunderte hat man die Liedtexte immer wieder verändert, so dass die Mehrzahl der Kirchenlieder in ihrem Textbestand äußerst instabil ist“. Die heutigen Versionen seien „politisch ziemlich korrekt“. Augenzwinkernd fügte Prof. Wagner-Egelhaaf hinzu: „Man wundert sich, dass nicht von ‚Feindinnen und Feinden‘, ‚Heidinnen und Heiden‘ die Rede ist.“

Die Wissenschaftlerin ging insbesondere auf die Zeit der Reformation ein, in der Kirchenlieder als Propagandamittel der öffentlichen Kommunikation und der religiösen Erziehung genutzt wurden. Sie stellte geistliche Lieder aus der Feder Martin Luthers dar, die die innerkonfessionellen Auseinandersetzungen der Reformationszeit beschreiben. „Er schildert vermeintliche Gewalttaten des feindlichen Katholizismus, die dadurch sprachlich vergegenwärtigt und im Akt des fröhlichen Singens im Bewusstsein der Protestanten gehalten werden.“ Ob die Menschen die Lieder tatsächlich in politischem Bewusstsein gesungen hätten, lasse sich historisch aber kaum noch rekonstruieren.

Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf leitet das Cluster-Projekt B10 „Autorschaft als Skandal“. In der Ringvorlesung „Religion und Gewalt. Erfahrungen aus drei Jahrtausenden Monotheismus“ kommen Vertreter unterschiedlicher Disziplinen wie Historiker, Germanisten, Theologen und Religionswissenschaftler zu Wort. Am kommenden Dienstag, 12. Juli, spricht der Münsteraner Theologe Hans-Richard Reuter über „Von der ‚Kriegstheologie‘ zur Friedensethik. Zum Wandel der Kriegswahrnehmung im deutschen Protestantismus der letzten 100 Jahre“. Der öffentliche Vortrag beginnt um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses, Domplatz 20-22. (frö/vvm)