Kirche zwischen Komplizenschaft und Widerstand

Kirchenhistoriker Hubert Wolf und Historikerin Silke Hensel über die Einstellung der katholischen Kirche zu staatlicher Gewalt

News Tagung Kirche Und Gewalt Fazit

Prof. Dr. Hubert Wolf und Prof. Dr. Silke Hensel

Die katholische Kirche hat sich im 20. Jahrhundert in manchen Ländern nach Expertenmeinung zum Komplizen gewalttätiger Regime gemacht, aber auch Widerstand gegen Unrecht und Verfolgung geleistet. Das ergab eine Fachtagung unter dem Titel „Katholische Kirche und Gewalt“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Zu der Veranstaltung, die bis zum Wochenende dauerte, waren auf Einladung von Kirchenhistoriker Prof. Dr. Hubert Wolf und Historikerin Prof. Dr. Silke Hensel Fachleute aus aller Welt gekommen.

„Es ist vor allem deutlich geworden, wie vielfältig die katholische Kirche war und ist. In Lateinamerika kann sie weder grundsätzlich als Friedensstifterin noch als Stütze undemokratischer Herrschaft gelten“, sagte Hensel zum Abschluss. Die Lateinamerika-Expertin forscht über die katholische Kirche in Argentinien und Chile zur Zeit der Militärdiktaturen der 1970er und 1980er Jahre. „Vor allem in Argentinien haben sich große Teile der Ortskirche auch nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil noch mit gewalttätigen Regimen arrangiert“, so die Historikerin.

Nach Aussage von Hubert Wolf hat die Kirche jedoch auch aus ihren Erfahrungen mit den Diktaturen des 20. Jahrhunderts gelernt: „Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich das römische Lehramt klar zur Demokratie bekannt. Auch die Ortskirchen können Diktaturen seitdem nur noch schwer rechtfertigen.“ In Zukunft könne die katholische Kirche allerdings nur dann glaubhaft für Gewaltlosigkeit, Freiheit und Gerechtigkeit eintreten, wenn sie sich auch im Inneren stärker an diesen Werten ausrichte, sagte der Vatikan-Experte bei einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. Katholische Kirche und staatliche Gewalt heute“, die den Abschluss der Tagung bildete. Moderator war der bekannte Journalist Dr. Daniel Deckers von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.). Auf dem Podium saßen außerdem Prof. Dr. Josef Sayer, Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerkes Misereor, und der Jesuit und Philosoph Prof. Dr. Vicente Durán Casas aus Kolumbien.

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Lebhafte Diskussionen auf dem Podium führten (v.l.n.r.) Prof. Dr. Hubert Wolf, Dr. Daniel Deckers, Prof. Dr. Josef Sayer und Prof. Dr. Vicente Durán Casas.

Misereor-Hauptgeschäftsführer Sayer unterstrich, das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) und die Theologie der Befreiung markierten Wendepunkte in der Geschichte des kirchlichen Umgangs mit Gewalt. Er nannte als Beispiel den 1980 ermordeten Erzbischof von San Salvador, Oscar Romero, der gegen die Gewalt des Militärregimes in seinem Heimatland gepredigt hatte. „Das Volk hat ihn im Grunde heiliggesprochen.“ Er hoffe fast, dass die Kirche auch im 21. Jahrhundert verfolgt werde, denn Repressionen seien ein Zeichen dafür, dass die Kirche lebendig und gegenüber Gewaltregimen unangepasst sei, sagte der Theologe, der selbst mehrere Jahre als Priester in Peru lebte.

Gegen einen zu direkten Einfluss des Vatikans auf die Ortskirchen sprach sich Vicente Durán Casas aus. „Gewaltprobleme werden oft besser von Frauen und Männern vor Ort gelöst“, sagte der Prorektor der Pontificia Universidad Javeriana in Bogotá. In Kolumbien ist die katholische Kirche nach seinen Worten grundsätzlich als Vermittlerin zwischen den Bürgerkriegsparteien und als glaubwürdige Friedensstifterin anerkannt.

Die Teilnehmer der Tagung „Kirche und Gewalt“ waren aus Argentinien, Deutschland, Italien, Mexiko, den USA und Kolumbien nach Münster gekommen, um die Rolle der Kirche bei innenpolitischen Konflikten in Europa und Lateinamerika zu untersuchen. Auf dem Programm standen Vorträge zum Deutschland der NS-Zeit, zur Sowjetunion, zum Spanischen Bürgerkrieg sowie zu mehreren lateinamerikanischen Ländern. (arn)



Prof. Dr. Silke Hensel und Prof. Dr. Hubert Wolf forschen am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ in den Projekten „Zwischen Unterstützung autoritärer Regime und Verteidigung der Menschenrechte. Die katholische Kirche in Chile und Argentinien während der Militärdiktaturen der 1970er und 1980er Jahre“ (D10) und „Der Vatikan und die Legitimation physischer Gewalt. Das Beispiel des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939)“ (D9).