Das von der DFG
geförderte Projekt "Traditionelle Gemeinwesen der Tai und ihre Bedeutung für Prozesse
vorkolonialer Staatenbildung" verbindet die in Münster vorhandene Expertise in der Sinologie und der
Thaiistik im Bereich historisch-philologischer Forschung. Das von Prof. Reinhard Emmerich und Prof. Volker
Grabowsky geleitete Forschungsprojekt versteht sich als Beitrag zur Erforschung der vorkolonialen
Gemeinwesen der in der südostasiatisch-südchinesischen Kontaktzone beheimateten
Tai-Völker und deren Interaktion im Rahmen des regionalen und "internationalen" Beziehungsgeflechts
in Südost- und Ostasien zwischen dem 13. und 19. Jahrhundert. Das Projekt umfaßt drei wesentliche
Aspekte:
Die Tai-Völker besitzen - bei aller Verschiedenartigkeit ihrer politischen und gesellschaftlichen
Entwicklung -
sehr ähnliche Konzeptionalisierungen eines sozio-kulturellen Wertesystems, das sich im
Müang-Begriff verdichtet. Es soll anhand zweier ausgewählter Tai-Völker, der ethnischen
(Tiefland-)Lao und der Tai Lü (in Nordwest-Laos und Sipsòng Panna, China) untersucht werden,
wie Repräsentationen von sogenannten "zentralen" und "peripheren" Gesellschaften konzeptionalisiert
werden. Ein Hauptaugenmerk bilden die einheimischen Systeme sozialer und staatlicher Organisation. Die
Legitimation von Herrschaft bildet einen wesentlichen Gesichtspunkt der Forschung, die sich in erster Linie auf
schriftliche Quellen (insbes. Chroniken, Inschriften, Rechts- und Ritualtexte) stützt.
Ein weiteres wichtiges Augenmerk wird auf das Wesen
der Beziehungen zwischen den untersuchten Tai-Gemeinwesen mit den sie umgebenden Reichen gelegt. Vor
allem China spielt als politisch wie kulturell dominierende Großmacht in den in Form von Tributen
ritualisierten Beziehungen eine zentrale Rolle. Nahezu alle größeren und kleineren Tai-müang
entsandten in ihrer Geschichte über längere Zeiträume hinweg auch Tributmissionen an den
chinesischen Kaiserhof. Chinesische Quellen sind daher für das Verständnis der "internationalen
Beziehungen" auf dem südostasiatischen Festland unerläßlich. Aufgrund der besonderen
Präzision und faktenmäßige Zuverlässigkeit chinesischer Quellen - vor allem im
Vergleich zur südostasiatischen Historiographie, die sich stärker am zyklischen Denken indischer
Vorbilder orientiert - wird die chinesische Geschichtsschreibung auch wertvolle Ergebnisse im Hinblick auf
die
Binnenstrukturen der Tai-Gesellschaften (Administration, sozio-kulturelle Beziehungen usw.) vermitteln.