Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Forschungsbericht 2001-2002
 
Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft

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Forschungsschwerpunkte 2001 - 2002

Fachbereich 06 - Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaften
Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft
Didaktik/Bildungsgangforschung


Interkulturelle Bildungsgänge

In Begleituntersuchungen mit multikulturellen Klassen und in soziokulturellen Brennpunkten (überwiegend in den Räumen Dortmund, Hamm, Steinfurt, teilweise auch in Hamburg, Marseille, Leeds und Chennai) geht es, verkürzt ausgedrückt, darum, die für die Jugendlichen anstehenden 'Entwicklungsaufgaben' zu identifizieren und im Kontext ihrer Klassen und Cliquen zu bearbeiten. An Entwicklungsaufgaben, die zwischen Globalität und Glokalität, Säkularität und Religiosität sowie zwischen dem Lehrgang der Schule und der Lebenswelt der Jugendlichen eine Art 'Zwischenraum' bilden und schulpädagogischer Bearbeitung zugänglich und bedürftig sind, haben wir unter anderem gefunden und mit den Jugendlichen teilweise erprobt:

  1. Verhüllung versus Enthüllung des Körpers,
  2. Erfüllung kollektiv verbindlicher Gottesgebote versus Ausleben individueller Freiheitsrechte,
  3. gemeinde-religiöse Bekenntnisansprüche versus postreligiöser Widerstreit,
  4. zwischensprachliche Dialektbildung versus leitsprachlicher Assimilation, soziale Einschließung versus Ausschließung ...

Die Bearbeitung dieser Entwicklungsaufgaben ist maßgeblich an der Etablierung unterschiedlicher, aber (welt-)gesellschaftlich sedimentierter interkultureller (zum Teil 'hybrider') und infrareligiöser (zum Teil 'fundamental revitalisierender') Bildungsgänge beteiligt: Beispiele: Integration durch Segregation (hier erleichtert die (Wieder-)Einbettung in ethnische Gemeinschaft und religiöse Gemeinde geradezu das kollektive Eingehen einer zivilen Ordnung mit der deutschen Leitgesellschaft) und Segregation durch Integration (die frühe Entbettung aus der Herkunftsgemeinschaft und -gemeinde führt kurzfristig zu einer kurzen Phase der Angepasstheit an Sprache und Normen der Leitkultur, langfristig aber überwiegend zu soziokulturellen Charakteristika 'hybride-häretischer' Ex-Zentrik: Kanak Attack-'Identitätsguerilla', Selbstmarginalisierung, soziale beziehungsweise intellektuelle 'Devianz'). Die alte Drift zu Akkulturation und Dekulturation ist immer noch wirksam, aber sie ist zunehmend auch mit Herausforderungen einer 'Interkulturation' verbunden. Was für Bildungsgänge gilt, gilt auch für Curriculumentwicklung in den weitgehend monokulturell verfasst bleibenden deutschen Schulen.Damit fremde und eigene Bildung in Gang kommen, 'testen' wir mit Hilfe eigens entwickelter pädagogisch-interkultureller Methoden die Beweglichkeit der eigenen Persönlichkeiten und Kulturen darauf hin, (1) ob wir Vorurteile und Stereotypen aufgrund neuer Erkenntnisse umzudeuten bereit sind (Didaktiken kognitiver Informierung), (2) ob wir ethnozentrische Vorerfahrungen und blinde Flecken mit Hilfe von Spielen und Simulationen zu vervollständigen vermögen (Techniken affektiver Erfahrungsbildung) und (3) ob wir unseren teilweise unbewußten und festgefahrenen persönlichen sowie (welt-)gesellschaftlichen Habitus mit Hilfe geschichtlicher Experimente und Konfrontationen zu Such- und Probebewegungen veranlassen können. Vor diesem Hintergrund ist mit Forschern und Praktikern der multinationalen experimentellen Begegnungsprogramme beim Deutsch-Französischen Jugendwerk abgesprochen worden, die über die herkömmlichen (überwiegend aus den USA transferierten) Methoden weit hinausführenden Erfahrungen und 'dispositifs' sowie die eigen und neu entwickelten Praktiken interkultureller Bildung und Begegnung zu sammeln, zu sichten und systematisierend sowie evaluierend auszuwerten.

Beteiligte Wissenschaftler:

H. Alacacioglu, H. Kordes (Arbeitsbündnis seit 2000 abgebrochen), N. Nagie, Ü. Polat, S. Krönchen, M.N. Carpentier, J. Demorgon, Arbeitsgruppe (Anti-)Transfair des Deutsch-Französischen Jugendwerks (F. Fouquet)

Veröffentlichungen:

Kordes, H.: Perspektiven einer interkulturellen, infrareligiösen und glokalen Begleitforschung der Such- und Probebewegungen muslimischer Gesellschaftsmitglieder. In: Alacacioglu, H.: Deutsche Heimat Islam. Münster 2001, S. 103-123

Kordes, H.: Theorie der Bildungsgänge im Spannungsherd zwischen Säkularität und Religiosität, Menschenrechten und Gottesrechten. Salâm-Report 4, Münster 2000

Kordes, H.: Plädoyer für interkulturellen Widerstreit zwischen Opfern und Tätern. Entgegnungen auf die Studien des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen: Junge Türken als Täter und als Opfer von Gewalt (Kongress der türkischen Gemeinde in Duisburg 2001)

Kordes, H.: Des didactiques aux pratiques expérimentales. In: J. Demorgon/E.M. Lipianski: Guide de l'interculturel en formation. Paris 2001, pp. 219-227

M.N. Carpentier: Photolongage, Collage, Placements Symboliques. In: J. Demorgon/E.M. Lipianski: Guide de l'interculturel en formation. Paris 2001, pp. 316-322

Kordes, H.: Procédés Scéniques dans les rencontres interculturelles expérimentales. In: J. Demorgon/E.M. Lipianski: Guide de l'interculturel en formation. Paris 2001, pp. 328-330

Kordes, H.: Expériences d'étrangeté. In: J. Demorgon/E.M. Lipianski: Guide de l'interculturel en formation. Paris 2001, pp. 166-175

 
 

Hans-Joachim Peter
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Datum: 2003-09-08 ---- 2003-09-18