Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Forschungsbericht 2001-2002
 
Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft

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Forschungsschwerpunkte 2001 - 2002

Fachbereich 06 - Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaften
Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft
Didaktik/Bildungsgangforschung


Gänge pädagogisch-professioneller Bildung (Vom Schüler zum Lehrer)

Über den gesamten Zyklus ihrer Studiengänge hinweg begleiten wir eine Reihe von LehramtsstudentInnen bei der Entstehung, Entwicklung und Veränderung ihrer didaktischen, pädagogischen und professionellen Sichtweisen. Die Studierenden zeigen sich dabei in einer biographisch verzwickten Lage: Die SchülerIn 'hinter sich' verlassen und vergessen sie oft zunehmend; die LehrerIn 'vor sich' können sie noch nicht erkennen oder realisieren. Im Glashaus der zerstückelten fachlichen und pädagogischen Studien der Universität sind sie daher meist gezwungen, nur 'unpraktische' didaktische Sichtweisen anzueignen, etwa wenn sie sich mit pädagogischen Idealen 'alternativer Pädagogiken' identifizieren oder wenn sie die 'akademischen Planungsdidaktiken' als Prüfstoff übernehmen. Dennoch kommen auch diese Studierenden im Laufe ihres Studiums nicht umhin, sich in gewisser Weise didaktisch zu verhalten und zu erproben, etwa, wenn sie sich für ein bestimmtes Lern- oder Studierverhalten entscheiden. Dieses Verhalten ist genauso wenig wie die 'eigene Art zu Unterrichten' allein eine Sache des freien Willens, sondern vielmehr weitgehend vorgeprägt durch die eigene Lebens- und Lerngeschichte: Eine Art 'Skript' gibt ihnen unwillkürlich eine jeweils “körpereigene Didaktik“ vor. Aber selbstverständlich schlagen auch epochaltypische 'Gesellschaftsgeschichten' menr oder weniger durch, in welcher bestimmte makrodidaktische Diskussionen (PISA, Erfurt) und Moden (Selbstorganisation, Klippert) abkürzende Anpassungen aufdrängen. Dennoch kommen immer auch neue prägnante Erfahrungen 'dazwischen' hinzu, die möglicherweise zum Lebensthema oder als Entwicklungsaufgabe bearbeitet werden. Diese Erfahrungen können mithelfen, einiges von dem 'Wiederholungszwang' des bisherigen Studiengangs beziehungsweise vom 'Anpassungszwang' der gesellschaftlichen Umwälzungen zurückzunehmen. Es kann dann 'dazwischen' zur Erweiterung oder zumindest zur Umstilisierung bisheriger didaktischer Sichtweisen und Kompetenzen kommen. Entlang der Such- und Probebewegungen zwischen diesen 'subjektiven' und 'objektiven' Didaktiken suchen wir 'Bildungsgangdidaktik' in der Begleitung und Beratung von Lehramtsstudierenden zu praktizieren. Gehalt: Diese Bildungsgangdidaktik ist nicht eine weitere Planungsdidaktik, welche Theoretiker oder Praktiker 'auf den Markt werfen'. Bildungsgangdidaktik ist zunächst einmal kennzeichnend für eine pädagogische Arbeit, die Lehrende und Lernende, und hier auch Studierende und Dozenten in ihren gemeinsamen 'Veranstaltungen' entwickeln. Sie entsteht also aus einer Praxis und entwickelt aus den dabei gesammelten und verarbeiteten Erfahrungen einen erweiterten Entwurf für die nächste Praxis. Didaktik: Was den Kernbereich der 'Didaktiken' angeht, so besteht der Hauptmangel ihres Diskussions- und Konstruktionsstandes darin, dass sie ihren pädagogischen Kerngegenstand, den an Sachen und Aufgaben zu bildenden Austauschprozess zwischen Lehrern und Schülern, Dozenten und Studierenden, entweder nur unter der Form des 'Stoffs' und deren 'Disziplin' oder überwiegend unter der Form der 'Vermittlung' und deren 'Beziehung' fasst - und dabei die Lern- und Bildungsprozesse entweder nur vom Anfang oder nur vom Ende denkt. Bildungsgangdidaktik ist selbst nicht wieder ein neues 'überlegenes' akademisches Modell, nach dem sich Pädagogen zu richten hätten. Vielmehr ist sie eine forschende und tastende Aktivität, die sich - übervereinfacht - in fünf Handlungsschritten darstellen läßt:

  1. Ausgehen von kritischen Situationen (Bedürfnissen, Mängelerfahrungen, Orientierungsnöten);
  2. Erstellen eines Arbeitsbündnisses;
  3. Herausfinden einer maßgeblichen Entwicklungsaufgabe;
  4. Verdichtung der Entwicklungsaufgabe in Arbeitsprojekten;
  5. Beförderung der wachsenden Übernahme des eigenen Bildungsgangs ...

Insofern umfasst Bildungsgangdidaktik immer zwei Stränge: Sie stellt einmal ein Verfahren dar, für welches das Entdecken und Bearbeiten von Entwicklungsaufgaben zentral wird. Dieses Verfahren dient aber im wesentlichen zur Mobilisierung einer Art Auto-Didaktik desjenigen Bildungsgangs, den ein Ex-Schüler zum professionellen Lehrer macht und ihn seine 'Art zu Unterrichten' entwickeln, bewerten und verändern läßt. Diese Such- und Probebewegung pendelt zwischen drei Plateaus: (1) einem curricularen Plateau, in dem es vor allem darum geht, längerfristige Bildungsgänge im Umschlag zwischen Lehrgang/Studiengang und lebensgeschichtlichem Lernen zu begreifen und zu gestalten: Im Idealfall können diese Bildungsgänge als Abfolge von Entwicklungsaufgaben beschrieben werden; (2) einem didaktischen Plateau, in dem es vor allem um das In-Gang-Kommen von Lernen und Bildung in der Verbindung von theoretischem und praktischem Lernen sowie beruflicher und allgemeiner Bildung geht: Im Idealfall könnten Bildungsgänge als Abfolge von Projekten beschrieben werden, in denen Lernende/Studierende ihre produktiven und reflexiven Potentiale entdecken und entwickeln lernen; (3) einem im engeren Sinne methodischen Plateau, in welchem der Bildungsgang vor allem aus der Wechselwirkung zwischen der institutionellen Lehrsituation und den individuellen Lernprozessen heraus begriffen und in einer animierenden Interaktion zwischen Lehrenden/Dozenten und Lernenden/Studierenden zu gestalten ist: Im Idealfall können hier Bildungsgänge als Abfolge von (personalen, ambivalent-vorbildhaften, strukturellen) Identifikationen beschrieben werden. Didaktiken, Techniken und Praktiken: Vor diesem Hintergrund erproben Dozenten und Studierende sich und ihre didaktischen Kompetenzen (in Seminar, Praktika und außeruniversitären Tätigkeitsfeldern) entlang dreier Niveaus unterrichtsmethodischer Arrangements: (1) Didaktiken kognitiven Umdeutens; (2) Techniken erfahrungsverarbeitender Verständniserweiterung und (3) Praktiken experimentierender Umorientierung von Verhaltensweisen und Transformation von Verhältnissen.

Beteiligte Wissenschaftler:

W. Hartig, M. Kühn, M. A. Meyer, H. Kordes

Veröffentlichungen:

Kordes, H.: Des didactiques aux pratiques expérimentales. In: J. Demorgon/E.M. Lipianski: Guide de l'interculturel en formation. Paris 2000, p. 219-227

Kordes, H.: Von Belehrung über Unterstützung zu selbstinvolvierender Beteiligung: Didaktiken kognitiven Umdeutens, Techniken erfahrungsverarbeitender Verständniserweiterung, Praktiken experimentierender Umorientierung und Transformation. Schriften zur Bildungsgangforschung, Nr. 15. Münster 2001

 
 

Hans-Joachim Peter
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Datum: 2003-09-08 ---- 2003-09-18