Forschungsbericht 1999-2000 | |
Englisches Seminar
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Forschungsschwerpunkte 1999 - 2000
Fachbereich 09 - Philologie Englisches Seminar Arbeitsbereich Prof. Dr. Kurt Tetzeli von Rosador | ||||
Interaktivität digitaler Texte
Seit den 1980er Jahren ist die ungeheure Zunahme digitaler Texte in den westlichen
(post)industriellen Gesellschaften unübersehbar. Die "Vertextung" der Kultur hat
durch informationstechnologische Phänomene wie den Personal Computer und
das Internet ein geschichtlich bislang einzigartiges Ausmaß erreicht. Die
Industrialisierung der Kommunikation hat zudem unübersehbare
Änderungen im gesellschaftlichen Umgang mit Texten zur Folge, die multimedial
verfasst sind und sich somit längst nicht mehr auf das Zeichensystem Sprache im
herkömmlichen Sinn reduzieren lassen. Kinder und Jugendliche wachsen bereits
jetzt in einer medialen Umgebung auf, die sich von der ihrer Eltern radikal unterscheidet,
und dies vor allem insofern, als dass ihr Alltag von ihnen eine ständige
Konfrontation und Auseinandersetzung mit digitalen Texten fordert. Die
veränderten und zum Teil neuartigen Kompetenzen im Umgang mit Texten, die
durch diese Entwicklung herausgebildet werden, gilt es bereits jetzt in der schulischen
wie universitären Lehre anzusprechen und zu fördern, um Schülern
und Studentinnen die Fähigkeiten zu vermitteln, die sie in der Zukunft auch und
gerade für eine theoretische Durchdringung ihrer medialen Umwelt brauchen
werden.
Die Philologie, diejenige Wissenschaft also, die sich mit der sprachlichen Konstitution und
Interpretation von Texten befasst, hat in ihren Denkweisen, Projekten und Methoden bislang nur
unzureichend auf die rapiden Veränderungen reagiert und von der allgegenwärtigen
digitalen Vertextung der Kultur kaum Kenntnis genommen. Dem steht gegenüber, dass die
hohe Kompetenz, die insbesondere die Philologie im Laufe ihrer Geschichte im Umgang mit
Texten entwickelt hat, in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit digitalen Texten
mutatis mutandis unverzichtbar ist. Es ist das Ziel des geplanten Projekts
"Interaktivität digitaler Texte", philologische Kompetenz in Forschung und Lehre für
die Analyse und Interpretation digitaler Texte nutzbar zu machen. Es gilt in erster Linie zu fragen,
welches begriffliche, methodische und interpretative Instrumentarium entwickelt werden kann,
um sich mit diesen interaktiven Texten auseinander zu setzen. Dass philologische Texte wenn
sie noch als solche bezeichnet werden in Zukunft nicht weiterhin an das gedruckte Wort
gebunden sein werden, dass (nicht nur) die akademische Textproduktion angesichts neuer
Herausforderungen und Möglichkeiten sich mithin ändern wird, ist sehr
wahrscheinlich. Die Tatsache, dass die Initiatoren des Projekts sich als Anglisten mit den
britischen und angloamerikanischen Kulturen und Literaturen befassen, dürfte für
das Projekt von Nutzen sein angesichts der Tatsache, dass in diesen Kulturen wesentliche
Entwicklungen hin zu einer digital vertexteten Gesellschaft weltweit am weitesten fortgeschritten
sind. Die lingua franca des Informationszeitalters ist unbestritten das Englische.
Die digitale Technologie erlaubt dabei weit mehr als lediglich eine größere
Speicherkapazität und einen schnelleren, effektiveren Speicherzugriff. Durch die digitale
Technik steht zum ersten Mal ein Medium bereit, welches den kulturellen Bedarf adressiert, der
sich durch die Ausweitung des Textbegriffes in den späten sechziger Jahren ergeben hat.
Seit dieser Zeit artikulieren die Kulturwissenschaften, und hier vornehmlich die Literatur- und die
Filmwissenschaft, das Bedürfnis nach der Auflösung von 'starren' Textbegriffen und
einer Neubestimmung der Rolle des Rezipienten Bedürfnisse, welche traditionelle Medien
wie Schrift oder Zelluloid letztlich niemals zu befriedigen vermochten. Der poststrukturalistischen
Literaturtheorie gelang es zwar, die Unabschließbarkeit von Textgeweben theoretisch zu
formulieren, doch erst dank der digitalen Medienrevolution gelingt es nun zum ersten Mal, der
theoretischen Dekonstruktion von Texten auch radikal neue kulturelle Konstruktionen folgen zu
lassen. Digitale Texte scheinen es zu erlauben, die Unabschließbarkeit von Texten
tatsächlich zu kodieren.
Die Frage, die dieses Projekt aus philologischer Sicht stellt, lautet, wie digitale Texte als neue
und radikal andere Textsorten angemessen analysiert und interpretiert werden können. An
diese Frage schließen sich weitere an: Welche neuen (und alten) Kompetenzen werden
durch den Umgang mit interaktiven digitalen Texten aktiviert, welche werden marginalisiert? Wie
beeinflussen diese neuen Texte die traditionellen Arbeitsweisen der Philologie? Wie
können sich philologische Forschung und Lehre auf ein verändertes
Textverständnis einstellen, das sie jetzt noch beeinflussen und mit herbeiführen
können?
Beteiligte Wissenschaftler: |
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Hans-Joachim Peter