Forschungsbericht 1997-98   
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Direktor: Prof. Dr. Ulrich van Suntum

 
 
 
[Pfeile blau] Forschungsschwerpunkte 1997 - 1998
Fachbereich 04 - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen
Arbeitsmarkt und Beschäftigungspolitik
 


Langzeitarbeitslosigkeit im Ländervergleich - Zum Einfluß von sozialen Sicherungssystemen und Tariffindungssystemen auf die Beschäftigung in Deutschland, Österreich, Schweiz und USA

Die Arbeitslosigkeit in Deutschland zeigt zunehmend Verfestigungstendenzen auf einem hohen Niveau. Bedenklich stimmt dabei besonders der auch im internationalen Vergleich hohe Anteil von Langzeitarbeitslosen. So war nach Angaben der OECD 1996 fast jeder zweite Arbeitslose (47,2 %) über ein Jahr ohne Arbeit. Dies ist besonders deshalb gefährlich, da Langzeitarbeitslose auch mit Hilfe arbeitsmarktpolitischer Unterstützungsmaßnahmen nur schwer wieder auf dem Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Häufig deutet sich sogar ein Teufelskreis dergestalt an, daß ein wesentlicher vermittlungshemmender Faktor in der Dauer der Arbeitslosigkeit selbst besteht.

Das Ziel dieser Untersuchung besteht daher darin, die Ursachen für den relativ hohen Anteil von Langzeitarbeitslosen in der Bundesrepublik zu identifizieren. Dazu werden zunächst Entwicklung und Struktur der Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland untersucht. Dabei werden zum einen subjektive Einflußfaktoren wie Alter, Qualifikation etc. ermittelt; zum anderen wird versucht, den Einfluß institutioneller Faktoren, insbesondere des sozialen Sicherungssystems und des Lohnfindungssystems, auf die Langzeitarbeitslosigkeit herauszuarbeiten.

Die Untersuchung zeigt, daß sich das Ausmaß der Langzeitarbeitslosigkeit zwischen Regionen und Branchen deutlich unterscheidet. Dabei ist in den Arbeitsmarktregionen Westdeutschlands ein statistischer Zusammenhang zwischen der Höhe der Arbeitslosenquote und dem Anteil der Langzeitarbeitslosen erkennbar. In den Neuen Bundesländern dagegen sind die beiden Größen weitgehend unabhängig voneinander. Besonders stark betroffen sind im Westen ältere Arbeitslose, die häufig zugleich auch gesundheitlich eingeschränkt sind, und Arbeitslose ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung. In den Neuen Bundesländern fällt der hohe Anteil langzeitarbeitsloser Frauen auf, der nicht zuletzt auf die noch zu DDR-Zeiten politisch geförderte höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen zurückzuführen ist, welche sich nun langsam dem Westniveau nähert. Die Analyse der sozialen Sicherungssysteme legt den Schluß nahe, daß der steigende Anteil gerade älterer Langzeitarbeitsloser mitverursacht wurde durch eine sukzessive Verlängerung der maximalen Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für ältere Arbeitslose im Laufe der achtziger Jahre.

Nach dieser Problemanalyse werden verschiedene Arbeitsmarkttheorien auf ihren Erklärungsbeitrag zur Langzeitarbeitslosigkeit geprüft; außerdem werden die in der Theorie bekannten Wirkungen von sozialer Sicherung und von Lohnfindungssystemen resümiert und auf das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit übertragen. Hier zeigt sich, daß empirisch ein nur schwacher Zusammenhang (im Sinne der sog. "Hump-shape-Hypothese") zwischen dem Zentralisierungsgrad der Lohnfindung und dem Langzeitarbeitslosenanteil im internationalen Vergleich feststellbar ist. Auch deshalb wird die Kritik an den Hypothesen zur optimalen Lohnfindungsebene geteilt und die Einbeziehung weiterer Merkmale in die Untersuchung der sozialpartnerschaftlichen Beziehungen gefordert.

Im Hauptteil der Arbeit wird untersucht, weshalb die Langzeitarbeitslosenquote in anderen Ländern deutlich niedriger ist als in der Bundesrepublik. Dazu werden drei Länder mit besonders niedrigem Niveau als Referenzstaaten herausgegriffen: Österreich (1996: 25,6 %), die Schweiz (25,9 %) und die USA (9,5 %). Für jedes dieser Länder wird gefragt, inwieweit statistische Erfassungsunterschiede, die Höhe und Dauer von Lohnersatzleistungen sowie anderer Sozialleistungen (z. B. Erwerbsunfähigkeitsrenten, Frühverrentung) und der Zentralitätsgrad der Lohnfindungssysteme ursächlich für die unterschiedliche Ausprägung der Langzeitarbeitslosigkeit sind.

In diesem Zusammenhang wird auch auf länderspezifische Besonderheiten eingegangen. So wird bei der Untersuchung Österreichs das sozialpartnerschaftliche Modell der Lohnfindung, das durch einen außergewöhnlich hohen Zentralisierungsgrad charakterisiert ist, näher untersucht. Für die Schweiz werden dagegen eher Unterschiede in der Höhe und Bezugsdauer von Lohnersatzleistungen zwischen den Kantonen sowie im Zeitablauf analysiert. Bei der Betrachtung der USA werden das vielzitierte Instrument einer Negativsteuer (Earned Income Tax Credit) erläutert sowie mögliche soziale Probleme der steigenden Erwerbstätigkeit bei sinkenden Reallöhnen diskutiert. Die wichtigsten Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

- Langzeitarbeitslosigkeit hängt nicht automatisch mit dem Niveau der Arbeitslosigkeit zusammen, sondern hat auch eigene Ursachen, die nicht zuletzt von der Lohn- und Sozialpolitik beeinflußt werden.

- Großzügige Früh- bzw. Erwerbsunfähigkeitsverrentungen sowie eine Absenkung des Rentenzugangsalters können Langzeitarbeitslosigkeit nicht wirksam bekämpfen, sondern das Problem allenfalls verlagern.

- Längere Bezugszeiten von Arbeitslosenunterstützung tendieren dazu, die Arbeitslosigkeit zu verfestigen; daher scheinen besonders bei der bislang unbegrenzt gewährten Arbeitslosenhilfe Korrekturen angebracht.

- Kombinationslösungen aus Arbeitslohn und Transfereinkommen wie der Earned Income Tax Credit in den USA können die Anreize für die Aufnahme auch geringer entlohnter Tätigkeiten erhöhen. Sie sind beim gegenwärtigen Grundsicherungsniveau jedoch nur schwer unmittelbar auf die Bundesrepublik zu übertragen.

- Die Jugendarbeitslosigkeit ist in der Bundesrepublik aufgrund des dualen Ausbildungssystems vergleichsweise gering; die Idee einer betriebsnahen Qualifizierung und (Re-)integration in das Erwerbsleben bei niedrigen Einstiegslöhnen, die dem zugrunde liegt, sollte auch auf ältere Langzeitarbeitslose übertragen werden.

- Das Ausmaß der Lohndifferenzierung hat einen wesentlichen Einfluß auf die Langzeitarbeitslosigkeit. Sofern man am System des Flächentarifvertrages festhalten möchte, sind daher ausreichende Differenzierungsmöglichkeiten, ggfs. auch auf betrieblicher Ebene, erforderlich.

- Eine konkrete Reformoption ist die Dezentralisierung der Verantwortung für die Absicherung und Betreuung von Langzeitarbeitslosen auf kommunaler Ebene. So könnten beispielsweise kommunale Eingliederungsgesellschaften gegründet werden, die Langzeitarbeitslose für gemeinnützige und private Niedriglohntätigkeiten ausleihen.

Drittmittelgeber:

Bertelsmann Stiftung

Beteiligte Wissenschaftler:

Prof. Dr. Ulrich van Suntum, Dipl.-Volkswirt Carsten Rolle

Veröffentlichungen:

Rolle, C., U. van Suntum: Langzeitarbeitslosigkeit im Ländervergleich, Duncker & Humblot, "Soziale Orientierung", Bd. 11, Berlin, 1997

 
 
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Hans-Joachim Peter
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Datum: 1999-07-16