Forschungsbericht 1997-98 | |
Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen
Am Stadtgraben 9 48143 Münster Tel. (0251) 83-2 29 71 Fax: (0251) 83-2 29 70 e-mail: 17wimi@wiwi.uni-muenster.de WWW: http://www.wiwi.uni-muenster.de/~17/index.htm Direktor: Prof. Dr. Ulrich van Suntum | |
Forschungsschwerpunkte 1997 - 1998
Fachbereich 04 - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen Regionalplanung und Regionalpolitik | ||||
Zusammenfassung des abgeschlossenen Forschungsvorhabens "Konvergenzanalyse"
In der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung wird in den letzten Jahren zunehmend der
Frage nachgegangen, ob, wie schnell und unter welchen Voraussetzungen Länder bzw.
Regionen unterschiedlichen Entwicklungsstandes konvergieren. Angesichts der immer noch
bestehenden Einkommensdisparitäten zwischen den Regionen Westdeutschlands sowie
zwischen ost- und westdeutschen Regionen sind Untersuchungen zur Konvergenz auch von
großem nationalen Interesse, insbesondere für die Träger der
Regionalpolitik. Regionalpolitischer Handlungsbedarf kann gerade darin begründet sein,
daß sich bestehende Einkommensunterschiede nicht verringern, sondern sich sogar noch
vergrößern. Eine regionale Strukturpolitik, die das Ziel "Angleichung der
Lebensbedingungen" verfolgt, setzt Informationen über die Bestimmungsgründe
der regionalen Disparitäten und den Ablauf des Wachstumsprozesses in den Regionen
voraus.
Fragen zur Konvergenz werden auf Grundlage der traditionellen neoklassischen
Wachstumstheorie und der "Neuen" Wachstumstheorie diskutiert und in jüngster Zeit
zunehmend auch empirisch überprüft. Nach der neoklassischen Theorie des
wirtschaftlichen Wachstums gibt es einen automatischen Mechanismus, der zu Konvergenz der
Pro-Kopf-Einkommen zwischen armen und reichen Ländern bzw. Regionen führt.
Aber weder international noch zwischen den Regionen der Bundesrepublik Deutschland
entspricht die tatsächliche Entwicklung unbedingt den Vorhersagen dieses Modells. So
bestehen nach wie vor große Einkommensdisparitäten, die nur sehr langsam
abnehmen. In empirischen Untersuchungen zur Konvergenz wurde festgestellt, daß die
Einkommensunterschiede zwischen manchen Ländern abgenommen, zwischen anderen
sich aber sogar noch vergrößert haben.
Allerdings muß der Widerspruch zwischen den empirischen Fakten und dem
theoretischen Modell nicht bedeuten, daß die grundlegenden Vorhersagen des
neoklassischen Wachstumsmodells falsch sind. Lediglich unter der Voraussetzung, daß
die Regionen sich nur in der anfänglichen Kapitalausstattung pro Arbeitnehmer
unterscheiden, wird Konvergenz der interregionalen Pro-Kopf-Einkommen prognostiziert
(absolute b-Konvergenz). Volkswirtschaften, die jedoch auch in anderen Charakteristika des
"Steady state" differieren, wie z. B. in der Investitionsquote, der Abschreibungsrate des
Kapitalstocks, dem Bevölkerungswachstum, dem Niveau der Technologie und dem
technischen Fortschritt, werden zu verschiedenen langfristigen Wachstumsgleichgewichten
für das Einkommen pro Kopf konvergieren (bedingte b-Konvergenz). In den meisten
empirischen Untersuchungen, in denen für unterschiedliche Steady states der
Ökonomien "kontrolliert" wird, kann dann auch Konvergenz festgestellt werden.
Allerdings stehen diese Ergebnisse nicht mehr mit den Aussagen der neoklassischen
Wachstumstheorie in Einklang. Die gemessenen Konvergenzgeschwindigkeiten implizieren
Werte für die partielle Produktionselastizität des Kapitals von weit über
einem Drittel, dem Wert also, der üblicherweise in Schätzungen von
Produktionsfunktionen erhalten wird. Das traditionelle Modell wurde deshalb durch
verschiedene Ansätze der "Neuen" Wachstumstheorie erweitert, die den scheinbaren
Widerspruch der empirischen Fakten mit der Theorie auflösen sollten. Obwohl in diesen
empirischen Untersuchungen mehr als 50 Variablen zur "Kontrolle" unterschiedlicher Steady
states berücksichtigt wurden, wurde eine ihrer Determinanten völlig vergessen:
das Niveau der Technologie.
Ein zentrales Anliegen dieser Arbeit ist zu überprüfen, inwieweit das
neoklassische Wachstumsmodell unter Berücksichtigung technologischer Unterschiede
geeignet ist, wichtige Fakten des regionalen Wachstumsprozesses in der Bundesrepublik
Deutschland zu erklären. Letztlich kann nur die empirische Evidenz darüber
entscheiden, wie ein weitgehend akzeptables Modell des wirtschaftlichen Wachstums aussehen
soll. Im einzelnen sollen Informationen darüber gewonnen werden,
- wie hoch der technologische Entwicklungsstand bzw. wie hoch das Niveau der Technologie
in den Regionen der Bundesrepublik Deutschland ist,
- wovon das Niveau der Technologie abhängt,
- wie hoch die technologische Veränderungsrate der Regionen ist,
- ob es Anhaltspunkte für Konvergenz gibt und
- welcher Anteil der Einkommenskonvergenz auf technologisches catch up und welcher auf die
Akkumulation von Kapital zurückzuführen ist.
Mit Hilfe dieser Befunde wird ein Wachstumsmodell entwickelt, das Entscheidungshilfen
für wirtschaftspolitisch relevante Aspekte liefern soll. Im Mittelpunkt der Betrachtung
wird dabei einerseits die Analyse des Zusammenhangs zwischen den regionalen Zielen
Wachstum und Ausgleich sowie andererseits die konkrete Ausgestaltung der regionalen
Strukturpolitik stehen.
Zur Bearbeitung der verschiedenen Fragestellungen wird auf das Grundmodell der
neoklassischen Wachstumstheorie zurückgegriffen, wobei allerdings eine ihrer zentralen
Annahmen, daß in allen Ökonomien identische Technologien vorliegen,
aufgegeben wird. Damit wird einem der hauptsächlichen Kritikpunkte der Vertreter der
Neuen Wachstumstheorie an dem traditionellen Wachstumsmodell Rechnung getragen. Es wird
in der Analyse aber kein eigentliches neues Modell der Neuen Wachstumstheorie entwickelt,
sondern das traditionelle Modell des wirtschaftlichen Wachstums lediglich durch die explizite
Berücksichtigung unterschiedlicher Technologien und technologischer
Veränderungsraten erweitert. Neue Entwicklungen auf dem Gebiet der
Wachstumstheorie werden insbesondere zur Erklärung des technologischen Niveaus und
ihrer Veränderung in die Untersuchung integriert.
Um die Konvergenzhypothese des neoklassischen Modells empirisch zu
überprüfen, ist es erforderlich, für alle Determinanten unterschiedliche
Steady states zu kontrollieren. Da im Gegensatz zu den anderen Determinaten das Niveau der
Technolgie und auch der technische Fortschritt nicht beobacht- und somit meßbar sind,
werden Indikatoren beschrieben, die ihre Schätzung erlauben. Die Beschreibung dieser
Größen erfolgt auf Grundlage der neoklassischen Produktionsfunktion. Es wird
gezeigt, daß die Begriffe technischer Fortschritt und Wachstum der totalen
Faktorproduktivität (TFP), die vielfach synonym verwendet werden, nur gleichgesetzt
werden dürfen, wenn alle Regionen technisch effizient, d. h. auf der
Randproduktionsfunktion produzieren. Trifft dies nicht zu, so beinhaltet das Wachstum der
TFP auch die Reduzierung technischer Ineffizienz. Um das technologische Niveau und deren
Veränderung zu bestimmen sowie zwischen technischem Fortschritt und Verringerung
technischer Ineffizienz zu unterscheiden, ist die Kenntnis der entsprechenden
Randproduktionsfunktion notwendig.
Bei der Schätzung der Randproduktionsfunktion werden eine partielle
Produktionselastizität des Kapitals von 0,31 sowie konstante Skalenerträge und
regional variierende technologische Niveaus ermittelt. Der durchschnittliche technische
Effizienzgrad aller Regionen beträgt während des gesamten
Beobachtungszeitraums ca. 70 %, wobei die ineffizienteste Region bei identischem Kapital- und
Arbeitseinsatz nur 45 % des Outputniveaus der effizientesten Region realisiert. Das gesamte
Wachstum der TFP, das im Durchschnitt ca. 0,8 % pro Jahr beträgt, ist auf die
Verringerung technischer Ineffizienz zurückzuführen. Technischer Fortschritt, der
als Verschiebung der Randfunktion definiert ist, hat somit von 1978 bis 1993 im Durchschnitt
keinen Beitrag zum Wachstum geleistet.
Von den Vertretern der innovationsorientierten Regionalpolitik wird die Auffassung vertreten,
daß das Wachstum der TFP, das regional erheblich variiert, in
Agglomerationsräumen signifikant von dem in ländlich peripheren Gebieten
abweicht, da hochverdichtete Regionen stärker innovieren. Allerdings gab es bisher
für die Bundesrepublik keine empirischen Arbeiten auf regionaler Ebene, die diese These
belegen konnten. Die Analyse für siedlungsstrukturelle Regions- und Kreistypen
bestätigt diese Auffassung und zeigt, daß das Wachstum der TFP in
Agglomerationen fast doppelt so hoch ist wie in weniger verdichteten Räumen. Im
Gegensatz zur traditionellen neoklassischen Wachstumstheorie eröffnet somit ein um
technologische Unterschiede erweitertes Wachstumsmodell die Möglichkeit, die
interregionalen Auswirkungen von Innovationen aufzuzeigen, da es regional unterschiedliche
technische Entwicklungsniveaus und Fortschrittsraten berücksichtigt.
In der ökonometrischen Analyse des Konvergenzprozesses der Regionen der
Bundesrepublik Deutschland wird gezeigt, daß die Konvergenzgeschwindigkeit erheblich
höher ist, wenn für die Unterschiede im technologischen Niveau und deren
Veränderung kontrolliert wird (11,5 anstelle von 6 %). Da die Regionen der
Bundesrepublik Deutschland nur bedingt und nicht absolut konvergieren, sollte mit dieser
Konvergenzgeschwindigkeit aber nicht die Zeit berechnet werden, innerhalb der sich die
interregionalen Produktivitätsniveaus angleichen. Diese Berechnung sollte auf
Grundlage eines anderen Konvergenzkonzepts, der s-Konvergenz erfolgen. Sie gibt
Aufschluß darüber, ob und wie schnell die interregionale Einkommensdispersion
abnimmt. Die geschätzte s-Konvergenzgeschwindigkeit beträgt nur 2,2 %. Bei
dieser Geschwindigkeit würde es ca. 32 Jahre dauern, bis die interregionalen
Produktivitätsunterschiede zur Hälfte reduziert sind. Dieses Ergebnis verdeutlicht,
daß die Dauer des Konvergenzprozesses erheblich überschätzt wird, wenn
irrtümlicherweise die (bedingte) b-Konvergenzrate zur Beantwortung der Frage
herangezogen wird, innerhalb welchen Zeitraums die Einkommensdispersion abnimmt. Aus
den Schätzergebnissen folgt, daß das neoklassische Wachstumsmodell unter
Berücksichtigung regional variierender technologischer Niveaus mit den wesentlichen
Fakten des Wachstums in den Regionen der Bundesrepublik Deutschland übereinstimmt
und als Referenzmodell zur Analyse von Wachstumsprozessen geeignet ist.
Im nächsten Kapitel wird den Ursachen technologischer Unterschiede nachgegangen.
Als mögliche Determinanten des Niveaus der Technologie kommen u. a. die
Verfügbarkeit von Humankapital, die Interaktion von Kapital und Technologie, die
Innovationsfähigkeit der Unternehmen in den Regionen, die Infrastrukturausstattung,
Agglomerationseffekte sowie die Wirtschaftsstruktur in Betracht. Aus der
ökonometrischen Schätzung geht hervor, daß ein hoher
Erklärungsbeitrag durch die Interaktionshypothese von Technologie und
Kapitalakkumulation geleistet wird. Aber auch von der Humankapitalausstattung und den
Indikatoren der Innovationstätigkeit gehen die erwarteten positiven Einflüsse auf
das technologische Niveau aus. Weitere signifikante Determinanten sind die Ausstattung mit
Infrastruktur, Agglomerationseffekte und die Wirtschaftsstruktur. Auch einige der im Rahmen
der Neuen Wachstumstheorie unterstellten Thesen leisten einen signifikanten Beitrag zur
Erklärung des regionalen Entwicklungsprozesses. Aber im Gegensatz zu den Arbeiten
der Neuen Wachstumstheorie ist ihr Einfluß nicht direkt, sondern indirekt über das
Niveau der Technologie auf das Einkommen und somit auf das Wachstum ermittelt worden.
Bei der Kapitalakkumulation und bei Innovationsaktivitäten entstehen darüber
hinaus Spillovereffekte, die über die Technologie letztlich auch die Produktion anderer
Regionen determinieren. Aus der Existenz der Spillovereffekte folgt, daß sowohl Kapital
als auch Technologie und Innovation zum Teil den Charakter eines öffentlichen Gutes
besitzen. Sie verfügen aber andererseits auch über den Charakter privater
Güter, da die Diffusion technologischer Externalitäten nur langsam verläuft.
Zur Erklärung des technologischen catch up wird ein Ansatz abgeleitet, in dem sich die
technologische Veränderungsrate bzw. das Wachstum der TFP einer Region in exogenen
technischen Fortschritt, endogenen technischen Fortschritt und technologische Diffusion
zerlegen läßt. Mit verschiedenen ökonometrischen Schätzverfahren
wird sodann ermittelt, mit welcher Rate sich die regionalen technologischen Niveaus
angleichen. Es stellt sich das interessante Ergebnis heraus, daß diese Rate mit 2,4 %
relativ niedrig und hauptsächlich auf technologische Diffusion und nicht auf die eigenen
Innovationsaktivitäten der Regionen zurückzuführen ist. Außerdem
ist die regionale Konvergenz der Pro-Kopf-Einkommen fast ausschließlich Folge des
catch up-Prozesses und nicht der Kapitalakkumulation.
Die Berücksichtigung technologischer Unterschiede kann als Verbindung zwischen der
neoklassischen und der Neuen Wachstumstheorie angesehen werden. Der Rahmen der
neoklassischen Wachstumstheorie, in deren Mittelpunkt eine Produktionsfunktion mit
abnehmenden Grenzerträgen der beiden Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit steht,
ist grundsätzlich geeignet, den regionalen Wachstumsprozeß zu beschreiben. Zur
Erklärung technologischer Unterschiede leistet die Neue Wachstumstheorie, im
Gegensatz zur neoklassischen, einen wertvollen Beitrag.
Abschließend wird anhand verschiedener Simulationen gezeigt, daß eine
technologieorientierte Regionalpolitik bei konsequenter Umsetzung ein erfolgversprechender
Ansatz zur Lösung der regionalen Probleme sein könnte. Gleichzeitig
könnte sie die Voraussetzung geschaffen, daß die regionale Strukturpolitik bei der
Verfolgung des Ausgleichsziels nicht wie bisher in einen Konflikt mit dem Wachstumsziel
gerät. Bestandteile einer technologieorientierten Regionalpolitik sollten die
Förderung von Humankapital und physischem Kapital, die Verbesserung der
Infrastruktur sowie eine Stärkung der Innovationsfähigkeiten in den
Förderregionen sein. Zusätzlich sollte die Regionalpolitik stärker mit der
Technologie- und der Arbeitsmarktpolitik koordiniert werden und bei der Abgrenzung der
Fördergebietskulisse explizit den Aspekt des technologischen Niveaus
berücksichtigen.
Drittmittelgeber:
Beteiligte Wissenschaftler:
Veröffentlichungen: |
||||
Hans-Joachim Peter