Forschungsbericht 1997-98   
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[Pfeile blau] Forschungsschwerpunkte 1997 - 1998
Fachbereich 04 - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Institut für Finanzwissenschaft
Lehrstuhl Finanzwissenschaft I
 


Finanzwissenschaft (speziell staatswirtschaftliche Allokationstheorie und Verwaltungsökonomik/New Public Management)

Im Rahmen dieses Forschungsschwerpunktes wird auf der Grundlage ordnungspolitischer Prinzipien und mit Hilfe der finanzwissenschaftlichen Theorie der Einfluß staatlicher Allokationsentscheidungen und Verwaltungsstrukturen auf die Volkswirtschaft untersucht. Konkret geht es um die prinzipiengeleitete Generierung von Lösungsvorschlägen für manchmal als "Staatsversagen" bezeichnete Fehler der Finanzverfassung. Wesentliches Kennzeichen der Arbeit in diesem Feld soll ihr Praxisbezug sein. Dieser Praxisbezug wird durch die Mitgliedschaft von Prof. Grossekettler im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums erleichtert und durch die Zusammenarbeit mit Finanzminister Prof. Dr. Georg Milbradt, Finanzstaatssekretär Dr. Ingolf Deubel, Kämmerer Dr. Sander und Kanzler Dr. Anderbrügge unterstützt.

1. Weiterentwicklung ordnungspolitischer Prinzipien
Die Konkretisierung ordnungspolitischer Prinzipien und ihre Anwendung auf wirtschaftspolitische Fragestellungen standen im Mittelpunkt mehrerer Aufsätze von Prof. Grossekettler. Diese Arbeiten beschäftigen sich mit der Wiederbelebung und Weiterentwicklung des Leitbilds der Sozialen Marktwirtschaft. In Anlehnung an ordoliberale Prinzipien münden sie in einem Katalog von Kriterien, denen Ziele staatlicher Eingriffe und Maßnahmen zu ihrer Durchführung genügen sollten. Es wird gezeigt, wie diese Kriterien auf Probleme der Wettbewerbs- und Finanzpolitik angewendet werden können. Konkrete Anwendungsgebiete im Rahmen der staatswirtschaftlichen Ordnungspolitik werden in Promotionsvorhaben zur Behandlung von Strukturkrisen, zur Entwicklung des Haushaltsrechts als Reaktion auf Funktionsdefekte, zur Funktionsfähigkeit gebietskörperschaftlicher Steuersysteme, zur Ausgestaltung des Rentenversicherungssystems sowie zum Organisationsrecht staatlicher Organe untersucht. Gegenwärtige Forschungsprojekte:

a) Struktur und Funktionsfähigkeit gebietskörperschaftlicher Steuersysteme
Die umfassende Steuerfinanzierung staatlicher Leistungen führt gegenüber einer in den meisten Fällen ökonomisch sinnvolleren Entgeltfinanzierung zu steuerbedingten Zusatzlasten (Excess burden). In einer Synthese von normativer Steuertheorie und Theorie des Fiskalföderalismus sowie unter Anwendung politikökonomischer Überlegungen wird untersucht, nach welchen Prinzipien und Regeln ein rationales Steuersystem in einer föderalistischen Finanzverfassung ausgestaltet sein sollte, um die negativen Anreizwirkungen und Zusatzlasten einer Steuerfinanzierung zu minimieren. (Bearbeiter: Dipl.-Vw. M. Kübbeler, mittlerweile Inhaber und Geschäftsführer der internet@venture GmbH, Münster)

b) Die Umstrukturierungsordnung als Rahmenvorschrift zur Heilung von Strukturkrisen
In der Vergangenheit hat sich vielfach gezeigt, daß punktuelle Hilfen des Staates bei Strukturkrisen eher zu deren Konservierung als zu einer beschleunigten Bewältigung geführt haben. Ziel der Arbeit ist es daher, den Ordnungsrahmen um eine Umstrukturierungsordnung zu erweitern, d.h. in die bestehende Wirtschaftsordnung einen Automatismus zu implantieren, welcher beim Auftreten von Strukturkrisen aktiviert wird. Er soll Maßnahmen des Staates auslösen, die geeignet sind, zur Heilung von Strukturkrisen beizutragen. Dabei wird auf einen dynamischen Struktur(krisen)begriff der Systemtheorie zurückgegriffen, der zu den Untersuchungen zur Dynamik der Wirtschaftsstruktur paßt, die am Lehrstuhl durchgeführt werden. (Bearbeiter: Dipl.-Vw. S. Janßen, mittlerweile Geschäftsführer der AS-Finanzdienstleistungen GmbH, Münster)

c) Die Entwicklung des Haushaltsrechts als Reaktion auf Funktionsdefekte
In dieser Studie wird untersucht, wie sich das Haushaltsrecht von seiner Entstehung bis heute entwickelt hat. Dabei wird von den Budgetfunktionen ausgegangen, die das Haushaltsrecht nach heutiger Ansicht zu erfüllen hat bzw. hatte. Vor diesem Hintergrund wird geprüft, ob auf Funktionsmängel im politisch-administrativen System in Vergangenheit und Gegenwart mit Reformen reagiert wurde bzw. wird. Die Haushaltsrechtsreformen werden daraufhin untersucht, ob sie die Funktionsmängel beseitigen konnten. Darüber hinaus geht es in der Arbeit darum, welche Gründe dafür verantwortlich sind, daß einerseits manche Funktionsdefekte bestehen blieben, obwohl Reformen durchgeführt wurden, und andererseits notwendige Reformen gescheitert sind. (Bearbeiterin: Dipl.-Vw'in S. Strube, mittlerweile Referentin beim Wissenschaftlichen Institut für Kommunikationsdienste, Bad Honnef)

2. Finanzverfassung
Im Rahmen der Anwendung ordnungspolitischer Grundsätze und der Kollektivgütertheorie werden Anforderungen an eine Finanzverfassung formuliert. Insbesondere werden Bereitstellungsaufgaben und -kompetenzen des Staates im Allokations-, Distributions- und Stabilisierungsbereich normativ untersucht, aus denen sich Regelungsdefizite der geltenden Finanzverfassung ableiten lassen. Hier liegen die konkreten Anknüpfungspunkte der Arbeiten zu gebietskörperschaftlichen Steuersystemen, zur EU-Finanzverfassung und zur ökonomischen Analyse des Staatsorganisationsrechts. Dipl.Vw. Ulrich Wibbeke (Senatsverwaltung für Finanzen, Berlin) untersucht in seiner Studie, welche Organisationsregeln, d.h. Regeln für die Zuteilung von Entscheidungs-, Aufgaben-, Einnahmen- und Ausgabenverantwortung, sich aus der Theorie des Föderalismus und der Kollektivgütertheorie ableiten lassen und wie sie auf die Bundesrepublik Deutschland angewendet worden sind bzw. angewendet werden sollten.

3. Privatisierung und Deregulierung
Die ordnungspolitischen Grundsätze werden auf die Fragen der Privatisierung, Deregulierung und Entbürokratisierung angewendet.

4. Weiterentwicklung des Beurteilungsinstrumentarium für die staatliche Tätigkeit
Zur Beurteilung staatlicher Maßnahmen gibt es eine Reihe von Kennziffern und Untersuchungsmethoden. Die adäquate Abbildung des Umfangs staatlicher Tätigkeit ist vor dem Hintergrund der Klagen über unangemessene Belastung der privaten Wirtschaft eine wichtige Aufgabe. Prof. Grossekettler macht zu diesem Problemgebiet in seiner Berichterstattung über die Finanzpolitik der Deutschen Wiedervereinigung einige neue Vorschläge. Auf eine bessere Erfassung der bislang außerhalb jeder Berichterstattung liegenden Nebenkosten von Gesetzen zielt das Promotionsvorhaben von Dipl.-Vw. Christian Langer. Er untersucht die in den meisten OECD-Staaten außerhalb Deutschlands angewendeten Verfahren zur Gesetzesfolgenabschätzung und überprüft Möglichkeiten ihrer Verknüpfung mit einer prinzipiengeleiteten Wirtschaftspolitik ordoliberaler Prägung. Ein weiterer Bereich, in dem die Beurteilung staatlicher Tätigkeit große Fortschritte macht, ist das sog. Neue Steuerungsmodell der Kommunen. Dipl.-Vw. Frank Placke untersucht in seiner Dissertation die Möglichkeiten interkommunaler Produkt- und Effizienzvergleiche. Sie werden mit der Einführung einer Kostenrechnung bei den Kommunen möglich und können eine sinnvolle Bezugsgröße für die Zuweisungen des Kommunalen Finanzausgleichs der Bundesländer darstellen.

5. Funktionen von Genossenschaften im Zuge der Privatisierung
Als eine Verbindungsstelle zwischen den beiden Hauptforschungszweigen Allokations- und Wettbewerbstheorie läßt sich die Organisationsform Genossenschaft bezeichnen. Die Rolle dieses Verbandstyps bei der Bereitstellung von Kollektivgütern im Falle eines Versagens der wettbewerblichen Angebotsorganisation wird in dieser Forschungsrichtung herausgearbeitet. Im Rahmen eines Drittmittelprojektes untersucht Dipl.-Vw. Olaf Lüke (Institut für Genossenschaftswesen) die Chancen für alte und neue Genossenschaften im Zuge der Privatisierung. Sein Ziel ist es, die bestehenden Möglichkeiten für die Übernahme zu privatisierender Staatsaufgaben durch Genossenschaften und die dabei fördernden und hemmenden Kräfte in Gesellschaft und Recht herauszuarbeiten.

Beteiligte Wissenschaftler:

Prof. Dr. Heinz Grossekettler (Leiter), Dipl.-Vwe Sven Janßen, Michael Kübbeler, Christian Langer, Olaf Lüke, Annette Orth, Frank Placke, Sonia Strube, Ulrich Wibbeke

Veröffentlichungen:

Grossekettler, H. (1997): Finanzausgleich über den EU-Haushalt. Rechtfertigung und Größenordnungen, in: R. Caesar (Hg.): Zur Reform der Finanzverfassung und Strukturpolitik der EU, Baden-Baden, S. 111-140. - (1998): Anforderungen an die Struktur einer föderalistischen Finanzverfassung vor dem Hintergrund des weltweiten und vor allem europäischenStandortwettbewerbs, Münster (Volkswirtschaftliche Diskussionsbeiträge, #268)

--,: Flexibilisierung von Genehmigungsverfahren, Transaktionskosten und Koordinationseffizienz in dynamischer Sicht, Münster (Volkswirtschaftlicher Diskussionsbeiträge, #252). Erschien 1999 unter gleichem Titel in: D. Schmidtchen/ H.-J. Schmidt-Trenz (Hg.): Vom Hoheitsstaat zum Konsensualstaat. Ökonomische Analyse der Flexibilisierung von Genehmigungsverfahren, Baden-Baden, S. 31-46. - (1998): Staatsaufgaben aus ökonomischer Sicht, Münster (Volkswirtschaftliche Diskussionsbeiträge, #274)

--,: Die ersten fünf Jahre. Ein Rückblick auf die gesamtdeutsche Finanzpolitik der Jahre1990 bis 1995, in: Finanzarchiv, N.F., Bd. 53 (1996/97), S. 194-303.

Grossekettler, H. (1998): Genossenschaften, Wettbewerb und Privatisierung, in: Jäger, W. (Hg.): Freiheit und Bindung als Grundlagen der marktwirtschaftlichen und demokratischen Ordnung. 50 Jahre Institut für Genossenschaftswesen der WWU, Münster, S. 210-226.

Weitere Veröffentlichungen: Unter Mitarbeit von Prof. Grossekettler entstanden im Berichtszeitraum mehrere Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium. Im einzelnen: - Umweltsteuern aus finanzwissenschaftlicher Sicht, Mai 1997. - Gemeinsame Stellungnahme der Wissenschaftlichen Beiräte beim BMF und BMWi zur Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer, Oktober 1998 - Gutachten zur Reform der internationalen Kapitaleinkommensbesteuerung, Dezember 1998

 
 
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Hans-Joachim Peter
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Datum: 2000-03-13