POLITIK: Niederländisches Parlament erkennt als erstes in der EU Genozid an Uiguren an
Den Haag, SW/NOS/VK, 26. Februar 2021
Das niederländische Parlament hat als erstes in Europa am vergangenen Donnerstag die Menschrechtsverletzungen gegen Uiguren in China als Genozid eingestuft. Seit mehreren Jahren gibt es glaubwürdige Hinweise darauf, dass die muslimische Minderheit systematisch durch den chinesischen Staat unterdrückt, interniert und misshandelt wird.
„Dies ist die größte Masseninhaftierung von ethnischen Minderheiten seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagt Sjoerd Sjoerdsma, dessen D66 zusammen mit der ChristenUnie die Initiative für einen entsprechenden Abstimmungsantrag innerhalb der Zweiten Kammer stellte. „Jeder Tag mehr, an dem dies weitergeht, ist ein Tag zu viel. Wir können nicht wegsehen.“ Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass das kommissarische Kabinett bis zu den Parlamentswahlen in drei Wochen nicht mehr an Koalitionsabsprachen gebunden ist, konnten die beiden Regierungsparteien eine Mehrheit innerhalb des Parlaments erreichen. Der Koalitionspartner VVD stimmte dem Antrag, ebenso wie die rechtpopulistischen Fraktionen, nicht zu.
In der Vergangenheit war die Politik eher zurückhaltend gegenüber derartig öffentlichkeitswirksamen Beschlüssen eingestellt. Die Zweite Kammer verabschiedete im letzten Jahr zwar einen Aufruf, den Import von Kleidung zu stoppen, die mit Hilfe uigurischer Zwangsarbeit hergestellt wurde, jedoch stieß dies auf Widerstand seitens der zuständigen Ministerin für Auslandshandel, Sigrid Kaag (D66). Insgesamt ist die Regierung bemüht, Vorsicht um das Verhältnis mit China walten zu lassen. Außenminister Blok (VVD) spricht zwar in Bezug auf die Situation der Uiguren von „weitegehenden Menschenrechtsverletzungen“, sieht von einer Einstufung als Genozid aber ab. Möglicherweise aber war nun die Entscheidung der Kammer auch durch Ambitionen für die anstehende Parlamentswahl in drei Wochen motiviert.
Außerhalb der EU entschieden sich bereits die USA und Kanada zu der Genozid-Klassifizierung. Aus vorangegangenen Recherchen von unter anderem der New York Times und der BBC wird ersichtlich, dass China eine Politik der kulturellen Vernichtung und Entwürdigung gegen die Uiguren zu fahren scheint. Auch wenn die Regierung alle Anschuldigungen von sich weist und nur unbestreitbare Maßnahmen als Extremismus- oder Terrorismusbekämpfung rechtfertigt, gilt es doch als belegt, dass Familientrennungen und Vergewaltigungen in Straflagern keine Seltenheit darstellen.
Dass Frauen zur Sterilisation gezwungen werden und die Behörden eine gewisse Art der Eugenik betreiben, war sodann der entscheidende Faktor für viele Parlamentarier, von einem Genozid zu sprechen. Demgegenüber bestreit Blok eigenen Angaben zufolge zwar nicht die schwere einer solchen Tat, allerdings sehe er es als noch nicht erwiesen an, dass die Geburtensteuerung auch mit einer genozidalen Absicht ausgeführt werde. Abgesehen davon, mache er die Verantwortung für die Feststellung eines Genozids nicht in erster Linie in der Politik fest, sondern bei den Gerichten.
Die chinesische Botschaft in Den Haag zeigte sich von dem Beschluss der Zweiten Kammer jedenfalls erbost: „Die Fakten sprechen für sich, Genozid in Xinjiang ist eine regelrechte Lüge.“ In den vergangenen Jahren sei der Lebensstandard der uigurischen Bevölkerung stetig verbessert worden. Die Abgeordneten des Parlaments erhielten harsche Kritik: „Dies zeigt vollständig ihre Unwissenheit und Voreingenommenheit, ebenso wie ihren Egoismus und starrsinnigen Verstand, gegenüber China.“