POLITIK: Wahlen zur Tweede Kamer am 17. März

Den Haag, BJ/NRC/Trouw/Kiesraad, 22. Februar 2021

Auch wenn in Zeiten der Coronakrise vieles anders ist, bleibt eins gleich: In Demokratien wird gewählt. In den Niederlanden stehen nach vier Jahren die Parlamentswahlen wieder vor der Tür. In rund einem Monat sollen die Wahlen zur Tweede Kamer stattfinden. Bis dahin bleibt die niederländische Regierung unter dem Ministerpräsidenten Mark Rutte (VVD), nach ihrem Rücktritt im Zuge der Kindergeldaffäre, kommissarisch im Amt. Das NiederlandeNet wird in den kommenden Wochen intensiv über den Wahlkampf, die Wahl und die anschließende Regierungsbildung berichten. Am Wahltag, dem 17. März 2021, organisiert das Zentrum für Niederlande-Studien eine Online-Wahlparty. Interessierte sind herzlich dazu eingeladen, an der Wahlparty ab 20.15 Uhr über Zoom teilzunehmen.

Rekordanzahl: 37 Parteien stehen zur Wahl
An den Wahlen zur Tweede Kamer am 17. März 2021 dürfen 1.579 Kandidaten von 37 Parteien teilnehmen. Diese Rekordzahlen gab der Kiesraad (Beratungsausschuss für Wahlrechtsfragen) am 5. Februar 2021 bekannt. Es ist die größte Anzahl an Parteien, die seit dem Zweiten Weltkrieg an den Wahlen zur Tweede Kamer teilnimmt. Bei den letzten Wahlen im März 2017 traten 28 Parteien und 1.116 Kandidaten an.
Bis zum 21. Dezember 2020 hatten sich 41 Parteien beim Kiesraad mit ihrem Parteinamen für die kommenden Wahlen registriert. Am 1. Februar 2021 gaben die registrierten Parteien ihre Kandidatenlisten für die Wahlen ab. Jedoch erfüllten 35 Parteien nicht alle Bedingungen für die Teilnahme an der Wahl, wie die Unterstützungserklärung, die Abgabe von weiteren Dokumenten oder die Überweisung der Kaution. Da vier Parteien ihre Versäumnisse nicht korrigierten, wurden sie von den anstehenden Parlamentswahlen ausgeschlossen: Healthy Earth, Zorgend Nederland, EVERT! und De Jongeren Partij. Von den teilnehmenden 37 Parteien sind 17 nicht in allen Wahlkreisen vertreten.

Nachfolgend erfolgt eine Auflistung der 37 Parteien, die an den Wahlen für die Tweede Kamer am 17. März 2021 teilnehmen dürfen. Die Reihenfolge der Parteien basiert auf der Anzahl der Stimmen, welche die Parteien bei der letzten Wahl erhielten.
1. Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD)
2. Partij voor de Vrijheid (PVV)
3. ChristenDemocratisch Appél(CDA)
4. Democraten 66 (D66)
5. GroenLinks (GL)
6. Socialistische Partij (SP)
7. Partij van de Arbeid (PvdA)
8. ChristenUnie (CU)
9. Partij voor de Dieren (PvdD)
10. 50PLUS
11. Staatkundig Gereformeerde Partij (SGP)
12. DENK
13. Forum voor Democratie (FvD)
14. BIJ1
15. JA21
16. Code Oranje
17. Volt
18. NIDA
19. Piratenpartij (PPNL)
20. Libertaire Partij (LP)
21. JONG
22. Splinter
23. BoerBurgerBeweging (BBB)
24. NLBeter
25. Lijst Henk Krol (LHK)
26. OPRECHT
27. JEZUS LEEFT
28. Trots op Nederland (TROTS)
29. U-Buntu Connected Front (UCF)
30. Blanco lijst met als eerste kandidaat Zeven, A.J.L.B.
31. Partij van de Eenheid (PvdE)
32. DE FEESTPARTIJ (DFP)
33. Vrij en Sociaal Nederland (VSN)
34. Wij zijn Nederland (WZNL)
35. Modern Nederland (MN)
36. De Groenen
37. Partij voor de Republiek (PvdR)

Zersplitterte politische Landschaft
Auch wenn mit 37 Parteien ein neuer Rekord erreicht wurde, ist eine große Anzahl an Parteien in den Niederlanden nicht unüblich. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern sind in den Niederlanden traditionell mehr Parteien vertreten. Dies ist eine Folge des niederländischen Wahlsystems, welches es kleinen Parteien relativ leicht macht, ins Parlament zu gelangen. Im Gegensatz zu der Fünfprozenthürde bei den Bundestagswahlen in Deutschland existiert in den Niederlanden bei den Wahlen zur Tweede Kamer nur eine niedrige Sperrklausel. Eine Partei muss 0,67 Prozent der Stimmen erreichen, um einen der 150 Parlamentssitze zu erlangen. In der Vergangenheit fiel die große Anzahl an Partei in den Niederlanden jedoch weniger auf, da das politische Hauptfeld von den dominierenden christdemokratischen, sozialdemokratischen und liberalen Parteien bespielt wurde. In den späten siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts erhielten die Christ- und Sozialdemokraten gemeinsam mit der liberalen VVD rund 80 Prozent der Stimmen. Weitere Parteien waren für die Koalitionsbildung kaum oder gar nicht notwendig.

Die liberalen und sozialistischen Parteien profitierten in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts auch von der sogenannten Entsäulung der niederländischen Gesellschaft. Vor der Entsäulung spielte sich das Leben der Niederländer in einer der vier sogenannten Säulen ab: eine katholische, eine protestantische, eine sozialdemokratische und eine liberale oder neutrale. Diese Säulen beeinflussten sowohl das zivilgesellschaftliche Leben als auch die Religion und die Gestaltung der Politik. Im Laufe der sechziger Jahre fand jedoch im Rahmen der Entsäulung ein gesellschaftlicher Wandel statt. Dieser Aufbruch der Säulen geht mit einem Bedeutungsverlust der Kirchen und veränderten wirtschaftlichen Bedingungen aufgrund der Automatisierung und Rationalisierung einher. Durch den Zerfall der Säulen öffnete sich auch die politische Landschaft neuen Strömungen. Neben den traditionellen Strömungen der Liberalen sowie Sozial- und Christdemokraten betraten in den vergangenen Jahrzehnten auch „grüne Parteien“ (u.a. GroenLinks und Partij voor de Dieren) und in jüngster Zeit populistische Gruppierungen verschiedener Couleur die politische Bühne. Eine weitere Folge ist, dass es in den Niederlanden keine große Partei mehr gibt. Bei den letzten Wahlen zur Tweede Kamer im Jahre 2017 wurde die VVD mit 21,3 Prozent mit Abstand die größte Partei. Darauf folgten mit der PVV, dem CDA, D66, GL und der SP fünf mittelgroße Parteien, welche zwischen 13,1 und 9,1 Prozent der Stimmen erhielten.

Unberechenbarkeit des Wählers
Neben der großen Anzahl an politischen Parteien ist auch eine gewisse Unberechenbarkeit des Wählers kennzeichnend für die Niederlande. Dadurch unterliegen die Parteien bei Wahlen enormen Schwankungen. Auch wenn es bereits in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu großen Wählerwanderungen kam, wird im Hinblick auf die gewaltigen politischen Umbrüche in den Niederlanden zumeist auf das Jahr 2002 verwiesen. Bei der Wahl zur Tweede Kamer im Mai 2002 mussten die zuvor an der Regierung beteiligten Parteien, die sozialdemokratische PvdA, die konservativ-liberale VVD sowie die sozialliberalen D66 herbe Stimmenverluste hinnehmen. Die zweitstärkste Kraft bei diesen Wahlen wurde die nur wenige Monate vor der Wahl gegründete Lijst Pim Fortuyn (LPF). Sowohl bei der Wahl im Jahre 2002 als auch bei den Wahlen 1994 und 2006 waren die Schwankungen unter den niederländischen Wähler sehr groß. Dies trifft auch auf den Zeitraum nach 2006 zu. Die PvdA fiel beispielsweise von 35 Prozent im Jahre 2012 auf weniger als 6 Prozent im Jahre 2017. Damit scheint sich die Aussage des Politikwissenschaftlers Peter Mair aus dem Jahre 2008 über die Wähler in den Niederlanden zu bestätigen: „Das einzig Berechenbare an der niederländischen Wählerschaft ist ihre Unberechenbarkeit. Ihr einziges stabiles Merkmal ist ihre Instabilität.“

Prognose: Rutte weiterhin Ministerpräsident
In den aktuellen Wahlumfragen zeichnet sich ein deutlicher Trend für die Partei des kommissarischen Ministerpräsidenten Mark Rutte ab. In den Umfragen steigt die VVD um drei bis sieben Prozentpunkte. Diese guten Prognosen stehen auch mit Ruttes Image als Krisenmanager im Zusammenhang. Die Bevölkerung scheint weiterhin großes Vertrauen darin zu haben, dass Rutte die Niederlande durch die Coronakrise bringt. Zudem scheint Rutte auch von dem premierbonus zu profitieren. Dieser beinhaltet die Annahme, dass die Niederländer einen führungsstarken, amtierenden Ministerpräsidenten bevorzugen. Dadurch scheinen die Chancen gut zu stehen, dass Rutte auch nach dem 17. März wieder Ministerpräsident wird.

Zudem scheinen die Wähler Rutte nicht persönlich für die kindertoeslagenaffaire (dt. Kindergeldaffäre) verantwortlich zu machen. Der Fall des Kabinetts Rutte III scheint die Präferenzen der Wähler nicht drastisch beeinflusst zu haben. Im Vergleich mit früheren Umfragen zeichnet sich aktuell ein relativ stabiles Bild ab. Die VVD ist mit rund 25 Prozent der Stimmen mit Abstand die größte Partei. Auf Platz zwei liegt mit rund 13 Prozent zurzeit die PVV. Dicht gefolgt vom CDA mit rund 12 Prozent. Im Mittelfeld liegen gegenwärtig hauptsächlich links-orientierte Parteien: D66 mit rund 9 Prozent, GL mit rund 7,5 Prozent, SP mit rund 7 Prozent und die PvdA mit rund 8 Prozent der Stimmen. Darauf folgt eine größere Gruppe mit kleineren Parteien: CU mit rund 4,5 Prozent, PvdD mit rund 3,5 Prozent, FvD und SGP mit rund zwei Prozent und DENK sowie 50PLUS und JA21 mit rund einem Prozent der Stimmen.

Laut diesen Prognosen scheinen auch die vormaligen Koalitionspartner des kommissarischen Ministerpräsidenten Mark Rutte (VVD) den Fall des Kabinetts relativ gut überstanden zu haben. Die CU legt mit rund einem Prozent zu. Der CDA scheint sich um die 12 Prozent zu stabilisieren, was dem Ergebnis der vorherigen Wahl im Jahre 2017 entsprechen würde. Lediglich D66 scheint Stimmen zu verlieren, da gerade ein Verlust von drei Prozent zu verzeichnen ist. Bei den Oppositionsparteien scheinen sowohl SP als auch GL und 50 PLUS jeweils um die ein bis zwei Prozent der Stimmen zu verlieren. Die PvdA scheint hingegen momentan mit rund zwei Prozent der Stimmen ein wenig zuzunehmen.

Online-Wahlkampf
Der Wahlkampf der Parteien gestaltet sich aufgrund der Corona-Krise anders als normal. Er wird nun hauptsächlich online geführt. Dementsprechend kommt den Debatten der Spitzenkandidaten eine große Bedeutung zu. Je nachdem, wie gut sich die Kandidaten verkaufen, können die Parteien mit einem Anstieg oder Rückgang der Zustimmungswerte rechnen. Jedoch werden auch die Debatten von der Coronkrise beeinflusst. Der kommissarische Ministerpräsident Mark Rutte (VVD) gab bekannt, dass das Kabinett abgesprochen habe, im Hinblick auf Auftritte in Talkshows zurückhaltend zu agieren.

Neben der Form des Wahlkampfes beeinflusst die Coronakrise auch die Themen des Wahlkampfes. Sowohl die Coronakrise als auch die wirtschaftliche Krise werden wichtige Themen sein. Aber auch internationalen Bedrohungen sollten die Parteien ihre Aufmerksamkeit schenken. In einer Studie des Clingendael Instituts (Niederländisches Institut für Internationale Beziehungen) wurden rund 9.300 Niederländer gefragt, wie bedrohlich sie 17 Trends einschätzen. Aus der Bedrohungshierarchie ergibt sich, dass der Migrationsdruck auf die Außengrenzen der Europäischen Union, der Aufstieg Chinas zur Großmacht und der Klimawandel als die drei größten Bedrohungen angesehen werden. Während sich die Parteien bezüglich der Bedrohung durch China größtenteils einig sind, ist die politische Landschaft in Bezug auf die Themen Migration und Klimawandel stark polarisiert. Deshalb ist zu erwarten, dass der Wahlkampf auch zum Teil über diese beiden internationalen Bedrohungen gehen wird.

Wahlen während der Coronakrise

Um das Risiko der Verbreitung des Coronavirus am Wahltag so klein wie möglich zu halten, wurden weitere Maßnahmen getroffen. Mit diesen Maßnahmen soll die Gesundheit der Wähler und Wahlhelfer sowohl während des Besuchs im Wahllokal als auch beim Auszählen der Stimmen geschützt werden. Wähler und Wahlhelfer müssen sich vor dem Betreten des Wahllokals einem Gesundheitscheck unterziehen, bei dem sie Fragen über ihre Gesundheit beantworten. Wenn eine dieser Fragen mit „Ja“ beantwortet wird, darf das Wahllokal nicht betreten werden. Wahlhelfer dürfen dann ihre Arbeit nicht ausüben und Wähler dürfen nicht persönlich im Wahllokal ihre Stimme abgeben. Werden alle Fragen mit „Nein“ beantwortet, darf das Wahllokal betreten werden. Bei der Einrichtung der Wahllokale wurde darauf geachtet, dass Wähler und Wahlhelfer den vorgeschriebenen Mindestabstand von 1,5 Metern einhalten können. Außerdem befindet sich zwischen beiden eine gläserne Trennwand. Vor dieser zeigt der Wähler auch sein gültiges Identitätsdokument, mit dem er sich ausweist. Zudem gibt es in jedem Wahllokal einen zusätzlichen Wahlhelfer, der auf die Einhaltung der Regeln achtet. Er stellt sicher, dass es in den Wahllokalen nicht zu voll wird und bittet die Wähler, ihre Hände zu desinfizieren.

Neben der persönlichen Abgabe der Stimme am Wahltag im Wahllokal gibt es weitere Möglichkeiten zu wählen. Wähler, die älter als 70 Jahre sind, erhalten einen sogenannten Stempluspas. Mit diesem kann die Risikogruppe bereits am 15. oder 16. März wählen. Zudem können sie ihre Stimme abgeben, indem sie einem anderen Wähler eine entsprechende Vollmacht erteilen. Ein Wähler darf maximal drei davon erhalten. Außerdem können sie auch per Brief wählen. Einige Fraktionen in der Tweede Kamer wie die SP, GL und die PvdD würden die Möglichkeit der Briefwahl gerne auf alle Risikogruppen ausweiten. Vor Gericht wurde diese Forderung jedoch abgelehnt.

Trotz dieser Maßnahmen bestehen bei einigen Bürgermeistern Zweifel an der Sicherheit der Wahlen. Diese Zweifel wurden durch die Ausbreitung der britischen Virusmutation verstärkt. Laut dem Direktor des staatlichen Gesundheitsinstitut RIVM, Jaap van Dissel, könnte die britische Variante zu einer dritten Welle führen. Kritiker haben Bedenken, dass die Wahlen zu einem neuen Superspreader-Event werden. Zudem befürchten sie, dass Wähler aus Angst vor dem Virus zu Hause bleiben könnten. Bereits Anfang Januar meldete Peil.nl, dass 10 Prozent der Wähler aufgrund des Coronavirus nicht zur Wahl gehen würden. Andere Experten schätzen sogar, dass dies auf bis zu 30 Prozent der Wähler zutreffen würde. Da diese Wähler dann keine Möglichkeit hätten, über die Corona-Politik der niederländischen Regierung abzustimmen, steht auch die Frage im Raum, ob die Wahlen vertagt werden sollten.

Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, die Wahlen für die Tweede Kamer zu verschieben. Der nächstmögliche Termin für die Wahlen wäre dann Ende Juni 2021. Das Parlament und das Kabinett können diese Entscheidung bis spätestens eine Woche vor dem Wahltermin treffen. Eine Verschiebung der Wahlen macht das Kabinett von den Entwicklungen des Coronavirus sowie von den Empfehlungen des Raad van State (unabhängiges beratendes Organ der Gesetzgebung unter Vorsitz von König Willem-Alexander), des Kiesraads (Beratungsausschuss für Wahlrechtsfragen) und des Outbreak Management Teams (OMT; regierungsberatendes Gremium in Sachfragen zur Coronapandemie) abhängig. Laut dem kommissarischen Ministerpräsidenten Mark Rutte (VVD) gebe es keinen Anlass, den Plan für die Wahlen zu verändern, es sei denn, es sei epidemiologisch unvermeidbar. Hinter dieser Aussage könnte auch die Auffassung des Kabinetts stehen, dass die Wähler gerade in Zeiten einer Krise die Möglichkeit haben sollten, ihre Meinung über die Politik zu äußern.


Literatur:

Baalen, Carla/Friso Wielenga/Markus Wilp. Eine zersplitterte Landschaft. Amsterdam 2018.

Deen, Bob/Houtkamp, Christopher/ Sie Dhian Ho, Monika. Nederlanders bezorgd over het buitenland in de aanloop naar de verkiezingen. Polarisatie over migratie en klimaat, consensus over China. Den Haag 2021, online unter: https://www.clingendael.org/sites/default/files/2021-02/Barometer_Alert_Dreigingshi%C3%ABrarchie_febr2021_def.pdf, eingesehen am 22.02.2021

Ipsos. Politieke Barometer. Nog 7 weken tot de verkiezingen: Stilte voor de storm? Online unter: https://www.ipsos.com/nl-nl/politieke-barometer, eingesehen am 22.02.2021

Louwerse, Tom. Peilingwijzer. Online unter: https://peilingwijzer.tomlouwerse.nl/p/laatste-cijfers.html, eingesehen am 22.02.2021