POLITIK: Endbericht zu Kindergeldaffäre rückt staatliche Einrichtungen in schlechtes Licht

Den Haag, SW/NOS/NRC/VK, 17. Dezember 2020

In den Niederlanden hat die Untersuchungskommission kindertoeslagenaffaire (dt. Kindergeldaffäre) der Zweiten Kammer am heutigen Donnerstag ihren Endbericht veröffentlicht. Darin werden die höchsten Institutionen des Landes einer großen Verantwortung für den Skandal bezichtigt, gefolgt von dem Resümee, dass die Grundprinzipien des Rechtsstaats verletzt worden seien.

Die acht Kommissionsmitglieder unter Leitung des CDA-Parlamentariers Chris van Dam haben damit ihre Untersuchung zu den Vorgängen rund um den Kindergeldbezug tausender niederländischer Eltern zwischen den Jahren 2014 und 2019, bei der sie in den letzten Wochen unter anderem auch Ministerpräsident Rutte befragten, beendet. Wie das NiederlandeNet bereits mehrmals berichtete, kam es in dem genannten Zeitraum bei zahlreichen administrativen Vorgängen zu falschen Verdächtigungen des Betrugs seitens des Staats gegenüber den Empfängern, sodass Zahlungen gestoppt oder sogar zurückverlangt wurden.

„Mit Überraschung und letztlich großer Entrüstung“ habe man feststellen müssen, dass die betroffenen Eltern jahrelang keine Chance gehabt hätten, zu ihrem Recht zu kommen, erläuterte die Kommission. Die Weise, in der sie behandelt worden seien, habe in keinem Verhältnis zu den Vorwürfen gestanden. Der politische Wunsch von Kabinett und Parlament, ein System gegen Sozialbetrug aufzubauen, habe eine rigorose Gesetzgebung geschaffen, die individuelle Situationen nur unzureichend beachte.

Auch das Finanzministerium, und damit auch die viel kritisierte Steuerbehörde (nl. belastingdienst), wird von den Volksvertretern gerügt. Man habe nur in „außerordentlich beschränktem“ Maße Informationen preisgegeben, während die Bearbeitung der Vorgänge viel zu sehr auf die Masse ausgerichtet gewesen sei. Der rechtsstaatliche Gedanke, dass der Situation jedes Individuums nach gerecht entschieden werden müsse, sei auch hier missachtet worden. Nicht viel anders kommt daneben das Sozialministerium, zuständig für die Verwaltung des Kindergelds, im Urteil weg. Auch ihm wird vorgeworfen, seine Verantwortlichkeit in nur äußerst dürftiger Weise wahrgenommen zu haben.

Zu guter Letzt gerät ebenso der Raad van State, Beratungsorgan der Regierung und höchstes Verwaltungsgericht der Niederlande, in dem Bericht ins Kreuzfeuer: „Die Verwaltungsrechtsprechung hat jahrelang einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung der rigorosen Ausführung der Gesetzgebung zum Kindergeld geliefert. Damit hat die Verwaltungsrechtsprechung seine wichtige Funktion des (Rechts-)Schutzes von individuellen Bürgern vernachlässigt.“

Dass Eltern „jahrelang machtlos gegenüber mächtigen Institutionen des Rechtsstaats“ gestanden hätten und die Regierung ihnen nicht zur Seite gesprungen sei, liegt laut der Kommission vor allem an der schlechten Informationsübermittlung innerhalb der Verwaltung. Verantwortliche Staatssekretäre und Minister seien deshalb nicht ausreichend unterrichtet worden und hätten den Ernst der Lage nicht vollständig erkannt. Allerdings habe insbesondere Eric Wiebes, damaliger Staatsekretär für Finanzen, bereits seit August 2017 von den unrechtmäßigen Vorgängen gewusst. Dass es bis heute für Mitglieder der Zweiten Kammer schwierig sei, Einsichten in den Fall zu erlangen, zeige des Weiteren auch die mangelhafte Informierung nach außen. Man habe auch aus juristischen oder politischen Ambitionen heraus „verspätete, unvollständige und falsche Informationen“ an Parlament und Untersuchungskommission weitergegeben.

Der Bericht endet mit einem dringenden Appell an alle Teile des Staats, zu hinterfragen, wie derartiges Unrecht in Zukunft verhindert und das nun entstandene kompensiert werden könne. Konsequenzen sind derzeit noch nicht abzusehen. Eric Wiebes, der inzwischen das Ministerium für Wirtschaft und Klima leitet, wird zwar mit einem Rücktritt in Verbindung gebracht, ist aber eben auch nicht mehr für das betroffene Ressort zuständig. Denkbar scheint es deshalb, dass erst einmal die zu dem Thema geplante Kammerdebatte um den 15. Januar abgewartet wird. Ein geschlossener Rücktritt des Kabinetts, der laut der NOS auch im Raum stehen soll, scheint jedenfalls unwahrscheinlich – auch aufgrund der noch immer alles bestimmenden Coronakrise.