POLITIK: Kabinettssitzung: Rutte will mit Vorsicht zu neuer Normalität

Den Haag, SW/NRC/VK, 16. April 2020

Obwohl der Lockdown in den Niederlanden noch mindestens bis zum 28. April andauert, wurde auch bei der gestrigen Kabinettssitzung über Lockerungen der Beschränkungen diskutiert. Ministerpräsident Rutte ließ sich zu keinen verbindlichen Aussagen hinreißen, betonte jedoch erneut, dass sich alle neuen Maßnahmen an einem Personen-Mindestabstand von 1,5 Metern orientieren müssten.


Rutte erklärte gegenüber den anwesenden Journalisten, dass man hoffe, das Maßnahmenpaket bei der nächsten Zusammenkunft des Kabinetts etwas erweitern zu können. „Aber das werden dann beschränkte Lockerungen sein“, so der Ministerpräsident. Darüber hinaus warnte er und gab zu verstehen, dass es auch möglich wäre, dass sich zunächst nichts verändere. Immerhin dürfe man nicht vergessen, dass immer noch mehr Patienten auf den Intensivstationen liegen würden, als es normalerweise die Kapazität zulasse. „Halten Sie durch“, war dann auch die Botschaft des VVD-Mannes an seine niederländischen Mitbürger. „Mit Selbstbeherrschung, Behutsamkeit und gesundem Verstand halten wir die Situation in den Krankenhäusern unter Kontrolle.“


Um die Komplexität der Problematik aufzuzeigen, mit der sich die Regierung gegenwärtig beschäftigen muss, nahm Rutte das Szenario der Schulöffnung als Beispiel. Wenn diese wieder den Betrieb aufnehmen würden, spürten dies nicht nur die Kinder. „Es wird eine Erleichterung für Familien sein, aber was bedeutet das für den Zug- und Busverkehr, für Fahrradwege, für den Trubel in Parkanlagen, für das Risiko, dass Menschen aufeinandertreffen?“ Laut de Volkskrant sei die Neuöffnung von Grundschulen nach den Schulferien derzeit realistischer als die Fortsetzung des weiterführenden Unterrichts. Damit würde man entgegen der Bestrebungen in Deutschland handeln. Die Gründe liegen offensichtlich darin, dass der Verkehr innerhalb der Umgebung bleiben, die Schüler während der Pausen auf dem Schulgeländer verweilen und der Druck auf den öffentlichen Nahverkehr kaum zunehmen würde. Außerdem befürwortet, einer Umfrage der Fernsehsendung EenVandaag nach, die Hälfte aller Eltern die Wiedereröffnung der Grundschulen. Für Rutte ist allerdings klar: „Wir werden das alles gut durchdenken müssen, bevor wir diesen Schritt gehen. Sonst ist das Risiko viel zu groß, dass wir dem Virus neuen Sauerstoff geben.“


Ein Leben, in dem der Abstand zu anderen Personen nicht weniger als 1,5 Meter betragen darf, wird bis zur Entwicklung eines Impfstoffs wohl die Realität sein. Betriebe und Institutionen sollen deshalb bereits jetzt damit beginnen, einen Plan auszuarbeiten, wie sie die Maßgaben umsetzen können. Dass dadurch eine zweite Infektionswelle allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, ist Rutte auch klar. Deshalb sei es möglich, dass die Lockerungen zurückgedreht werden, wenn die Verbreitung des Virus wieder schneller zunehme. Als Orientierung ziehe man dafür drei Kriterien zu Rate: Die Kapazität des Gesundheitssystems, der Schutz von Älteren und Menschen mit schlechtem Gesundheitszustand und eine Übersicht über die Verbreitung des Virus.


Dass an letzterem weiterhin gearbeitet werde, gab Gesundheitsminister de Jonge zu verstehen. Die Testkapazität solle sich, wie angekündigt, bald vergrößern können. Zurzeit seien etwa 6000 Test am Tag möglich. Aufgrund fehlender Materialen kann die theoretisch durchführbare Testmenge von täglich über 17.000 noch nicht erreicht werden. „Wir sind jeden Tag mit dem Einkauf beschäftigt, da arbeiten wir sehr hart dran“, so de Jonge. Eine hohe Anzahl von ebensolchen Corona-Tests ist, laut Experten, auch für die Funktionalität der geplanten Covid-19-App der Regierung vonnöten. Diesbezüglich gebe es bereits viele Bewerbungen zur Entwicklung, aus denen man in der nächsten Woche eine Auswahl zu treffen hoffe. Zuvor will allerdings das Parlament über die Vor- und Nachteile einer digitalen Unterstützung debattieren. Bezüglich der Mundschutzmasken, die in Ländern wie Belgien und Deutschland nun ausdrücklich empfohlen werden, bleiben die Niederlande weiterhin zurückhaltend. De Jonge begründete dies mit der Einschätzung von Gesundheitsexperten, die zur gleichen Konklusion kämen. Nicht nur, dass sie eine „Scheinsicherheit“ suggerieren würden, sondern auch: „In den Niederlanden besteht eine Knappheit und wir wollen, dass die Menschen im Gesundheitssystem die Masken benutzen können.“


Zu guter Letzt verabschiedete das Kabinett zwei neue Hilfspakete. 300 Millionen Euro wurden für den Kultursektor freigeräumt und 650 Millionen Euro sollen in den Agrarsektor, unter anderem den besonders getroffenen Zierpflanzenanbau, fließen.