RECHT: Gericht verbietet Betrugsbekämpfung mit Hilfe des Computerprogramms SyRi wegen Eingriffs in Privatsphäre
Den Haag, SW/NOC/NRC/VK, 05. Februar 2020
2014 wurde in den Niederlanden ein Gesetz zur Einführung des Betrugsbekämpfungssystem SyRi (Systeem Risico Indicatie [dt.: System Risiko-Hinweis]) verabschiedet. Es ermöglicht, dass eine Gemeinde in ausgesuchten Ortsteilen Personendaten bündelt, um mit Hilfe dieser Betrug mit Sozialhilfen und Steuern zu verhindern. Am Dienstag hat das Gericht in Den Haag das Computersystem verboten, da es gegen den Europäischen Vertrag über die Menschrechte verstoße und einen Mangel an Transparenz aufweise.
SyRi ist bei Anwendung in der Lage, verschiedene Daten über Bürger zu sammeln und einen Algorithmus gebrauchend, auszuwerten. Zu dem aufgegriffenen Datenbestand zählten bisher unter anderem Angaben über die Arbeit, Haftstrafen, Wohneigentum, Einbürgerung, Wohnbedingungen und die Ausbildung. Das System bestimmt unter Benutzung des errechneten Ergebnisses, welches Profil ein erhöhtes Risiko für betrugsähnliches Fehlverhalten besitzt.
Der Algorithmus ist ein von dem Sozialministerium eingeführtes Projekt, das vor allem den Betrug mit Kindergeld eindämmen sollte. Es wurde in Rotterdam, Eindhoven, Haarlem und Capelle aan den IJssel benutzt und insbesondere in Problemvierteln eingesetzt. Bis heute hat das System jedoch nicht den erhofften Erfolg gebracht: seit 2014 wurde kein einziger Betrugsfall durch dessen Inbetriebnahme aufgeklärt, unter anderem aufgrund technischer Probleme. Mitte 2019 stoppte Rotterdam das Programm darüber hinaus in einigen Stadtteilen eigenmächtig, da eine Undeutlichkeit über die Vereinbarkeit mit Persönlichkeitsrechten vorherrschte, so die niederländische Tageszeitung de Volkskrant.
Das Gericht urteilte nun, dass es dem Staat Recht gebe, wenn es um die Notwendigkeit einer Kontrolle des Betrugs mit sozialen Mitteln und des Antastens der nationalen Solidarität ginge. Der Zweck, den SyRi unterstütze, sei „wesentlich“ für das niederländische Sozialsystem und der Gebrauch von neuen Technologien wünschenswert. Nichtsdestotrotz kritisierten die Richter in den Haag, dass das Programm unzureichende Sicherheit darüber biete, welche Daten verwendet werden würden, so das NRC Handelsblad. Selbst für das Gericht sei „unkontrollierbar“, wie SyRi wirklich arbeite. Dies führe dazu, dass eine „faire Balance“ zwischen dem gesellschaftlichen Nutzen und dem Einwirken auf die Privatsphäre nach Europäischem Recht nicht mehr gewährleistet sei. Wenn die Transparenz in dem Rechenvorgang beeinträchtigt sei, könnten „unbeabsichtigte diskriminierende und stigmatisierende Effekte auftreten“.
„Das ist eine sehr wichtige Anerkennung unserer Beschwerden, dass dieses Mittel stigmatisierend für bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie Menschen mit Sozialhilfeunterstützung oder Migrationshintergrund, ist“, so Kitty Jong vom Gewerkschaftsbund FNV. Acht verschiedene Parteien waren dafür verantwortlich, dass der Prozess angestoßen wurde. Für den UNO-Gutachter Philip Alston könnten in anderen Ländern, motiviert durch das Urteil, Aktivisten bald nachziehen: „Durch die Anwendung universaler Menschenrechte setzt dieses niederländische Gericht einen Standard.“ Der Ausgang des Verfahrens könnte allerdings auch in den Niederlanden Auswirkungen auf zukünftige „Datenbündelungsgesetze“ haben, die zurzeit in Arbeit sind.
Eine Berufung von Seiten des Staates ist nicht ausgeschlossen.