KULTUR: Erste Schritte zur möglichen Rückgabe von Raubkunst
Amsterdam, LM/NRC/VK/Trouw, 12. März 2019
Das Nationale Museum für Weltkulturen (NMVW) der Niederlande hat am vergangenen Donnerstag eine neue Richtlinie zur Rückgabe kolonialer Raubkunst veröffentlicht. Die Richtlinie umfasst Kriterien, mithilfe derer bestimmt werden soll, ob ein Kunstobjekt an das Herkunftsland zurückgegeben werden muss. Darüber hinaus will das NMVW nicht ausschließlich auf die Inanspruchnahme der betroffenen Länder warten, sondern die eigenen Sammlungen auch selbst nach Raubkunst durchforsten. Auch das niederländische Rijksmuseum gab nun bekannt, nicht auf die Forderungen der Herkunftsländer warten, sondern selbst aktiv werden zu wollen. Erste Gespräche mit Sri Lanka und Indonesien sind bereits geplant.
Das NMVW ist ein Zusammenschluss des Amsterdamer Tropenmuseums, des Museums für Völkerkunde in Leiden und des Afrika Museums in Berg en Dal. Zusammen haben die Museen in der vergangenen Woche einen Leitfaden zur Rückgabe von kolonialer Raubkunst veröffentlicht. Direktor Stijn Schoonderwoerd zufolge stamme fast die Hälfte dieser Museumssammlungen – ungefähr 200.000 Objekte – aus einem kolonialen Kontext. Allerdings gehe es nicht ausschließlich um Museumsstücke, die mit der kolonialen Vergangenheit der Niederlande zu tun hätten, sondern auch um Objekte von indigenen Gemeinschaften, wie den Maori, Aborigines und den amerikanischen indigenen Völkern.
Die Restitution der „kolonialen“ Kunst ist zurzeit in ganz Europa ein wichtiges Thema. Deutschland hat den Umgang mit diesem Thema im Koalitionsabkommen aufgenommen, in Frankreich hat Präsident Macron gesagt, alles, was damals geraubt worden sei, müsse zurück gegeben werden. Doch zu nationalen Richtlinien sei es in diesen Ländern noch nicht gekommen, schlussfolgert die niederländische Tageszeitung Trouw. Auch in den Niederlanden gibt es keine nationale Richtlinie zum Umgang mit Raubkunst, deshalb wage das NVMW einen Sprung ins kalte Wasser, so Schoonderwoerd.
Vor allem die Angst davor, von unzähligen Einforderungen überrannt zu werden, könne zur Untätigkeit führen, erklärt Schoonderwoerd. Doch um dieser Untätigkeit entgegenzuwirken, würde das NMVW den Spieß umdrehen und selbst tätig werden. Mithilfe klarer Richtlinien sollen die Anfragen bearbeitet werden. Die Praxis werde dann zeigen, wie viele Anfragen tatsächlich eingehen und wie kompliziert die verschiedenen Fälle sind. Schließlich könne man für die Niederlande dann aufgrund der gemachten Erfahrungen eine nationale Richtlinie erstellen. Eine solche Richtlinie sei auf jeden Fall notwendig, meint Schoonderwoerd, denn die gebe es schließlich auch für die Raubkunst des Nazis.
Am Leitfaden des NMVW für Rückgabeforderungen hat der Zusammenschluss der Museen seit dem vergangenen Sommer gearbeitet. Über die Form und den Inhalt wurde mit anderen niederländischen Museen, den betroffenen Ländern, die Ansprüche geltend machen könnten, Experten und dem Kulturministerium gesprochen. Am Ende ist noch immer der Staat der Eigentümer der Sammlungen, sodass der Minister letztendlich den Beschluss fassen muss, ob ein Objekt zurückgegeben wird, oder nicht. Auf die Frage der Tageszeitung Trouw, was sich für die Länder, die Kunstobjekte zurückfordern wollen, geändert habe, wenn der Minister am Ende sowieso das letzte Wort habe, antwortet Schoonderwoerd: „Noch nie wurde explizit gesagt, dass die Rückgabe von Kunstobjekten eine Option ist. Neu ist auch, dass wir angeben können, welche Kriterien wichtig sind. Es war immer möglich, Ansprüche zu stellen, aber bisher war nicht bekannt, wie lange die Bearbeitung einer solchen Forderung dauert und nach welchen Kriterien diese beurteilt wurde.“
Das Amsterdamer Rijkmuseum gehört nicht zum NMVW und wählt eine eigene Vorgehensweise. Taco Dibbits, der Museumsdirektor des Rijksmuseums, bezeichnet den Leitfaden zwar als einen guten ersten Schritt, aber möchte nicht darauf warten, dass sich die ehemaligen Kolonien melden. Stattdessen hat das Rijksmuseum mit Sri Lanka und Indonesien bereits Kontakt aufgenommen. Martine Gosselink, Leiterin der Geschichtsabteilung, reist in zwei Wochen nach Sri Lanka, um dort mit Wissenschaftlern über die mögliche Rückgabe bestimmter Kunstobjekte aus der Sammlung des Rijksmuseums zu sprechen. Noch in diesem Frühling wird Gosselink ebenfalls nach Indonesien reisen. Dibbits zufolge sei es nicht möglich, die verschiedenen Fälle von den Niederlanden aus zu regeln. Man müsse in den betroffenen Ländern mit den Experten sprechen und jeden Fall einzeln beurteilen.
In der Sammlung des Rijksmuseums befinden sich ungefähr 4.000 Objekte mit kolonialer Herkunft – doch nicht alle diese Objekte seien auf eine umstrittene Art und Weise ins Museum gekommen, so Dibbits. Letztendlich kann auch das Rijksmuseum nicht selbst beschließen, welche Objekte zurückgegeben werden, denn auch hier gilt am Ende natürlich das Urteil des Ministers.