SPRACHE: Die eigene Sprache wird an niederländischen Universitäten immer unpopulärer
Amsterdam, LM/NRC/NOS/Trouw, 26. Februar 2019
Am vergangenen Samstag hat die Vrije Universiteit Amsterdam (VU) verkündet, dass der Bachelorstudiengang Niederlandistik eingestellt werden muss, da die seit Jahren rückläufigen Studierendenzahlen im letzten Jahr einen absoluten Tiefpunkt erreicht hatten. Das Desinteresse an der eigenen Sprache und Kultur hat nicht nur das langsame Aussterben des Studiengangs Niederlandistik zur Folge, sondern wirkt sich auch auf den Niederländisch-Unterricht aus – schon jetzt gibt es einen Lehrermangel für das Fach Niederländisch, der in den nächsten Jahren problematische Ausmaße annehmen könnte.
Die Abschaffung des Bachelorstudiengangs Niederlandistik an der VU bestätigt einen traurigen Trend: In nur wenigen Jahren hat sich die Zahl der Niederlandistik-Studierenden halbiert. Im vergangenen Wintersemester meldeten sich nur 201 Studierende für einen Niederlandistik-Bachelorstudiengang an den sechs möglichen Universitäten an. 2011 waren es noch doppelt so viele Studienanfänger gewesen. Und nicht nur die eigene Sprache erfreut sich als Studienfach keiner großen Beliebtheit mehr, zuvor musste die VU über die Jahre hinweg immer mehr Sprachen aus dem Studienprogramm nehmen: Friesisch, Italienisch, Französisch, Deutsch und semitische Sprachen werden dort nicht mehr gelehrt.
Viele Niederlandisten und Wissenschaftler machen sich aufgrund dieser Entwicklung ernsthafte Sorgen. Hans Bennis, der Direktor der Nederlandse Taalunie (dt. „Niederländische Sprachunion“) gibt zu bedenken, dass die niederländische Identität von der eigenen Sprache und Kultur getragen werde. Von Menschen, die in den Niederlanden leben wollen würden, würde man erwarten, dass sie umgehend Niederländisch lernen, während das derzeitige Schulsystem dem Niederländisch-Unterricht immer weniger Bedeutung zuteilwerden lasse. Dies sei doch eine ambivalente Einstellung, so Bennis.
Bennis kritisiert außerdem den Umgang mit dem Schulfach Niederländisch. Niederländisch sei mittlerweile nur noch ein „Servicefach“, das sich anderen Fächern unterordnen müsse. Im Niederländisch-Unterricht lerne man nur noch, gut lesen und schreiben zu können. Über die Sprache und Literatur lerne man nichts mehr, weshalb das Fach für Schüler völlig uninteressant geworden sei. Auch Marc van Oostendorp, Niederlandistik-Professor an der Radboud Universiteit Nijmegen, stimmt Bennis zu. Schüler sollten etwas über die Entstehung der niederländischen Literatur und über die Funktionsweise der Sprache lernen.
An den Universitäten würden sich Studenten zurzeit vor allem für Studiengänge entscheiden, die in englischer Sprache stattfinden. Dies habe nicht nur mit der Sprache zu tun, so van Oostendorp – die Niederlande an sich seien als Studienobjekt einfach nicht beliebt. David Gerritsen, ein Niederlandistik-Student aus Amsterdam, bestätigt diesen Trend: Ein Großteil der niederländischen Studierenden entscheide sich nicht für ein niederländisches Literaturstudium, sondern für das Studium der englischen Literatur. Niederländer leiden ihm zufolge unter einer Art Minderwertigkeitskomplex, was die eigene Kultur und Literatur angehe. Wenn es nach ihm ginge, dürfte man ruhig etwas stolzer auf das eigene literarische Erbe sein.
Van Oostendorp ist ein Mitglied des im November gegründeten Niederlandistik-Rats. Dieser Rat vertritt die sechs Universitäten, die Niederlandistik-Studiengänge anbieten: die Universitäten von Utrecht, Groningen, Leiden, Nijmegen und die beiden Amsterdamer Universitäten. Auch die Taalunie nimmt an den Rats-Sitzungen teil. Zusammen suchen die Beteiligten nach Lösungen für einen attraktiveren Niederländisch-Unterricht und nach Maßnahmen, die die Universitäten selbst ergreifen können. Van Oostendorp möchte gerne ein gemeinsames Niederlandistik-Profil erstellen. Es solle nicht mehr das Ziel sein, um Studierende zu konkurrieren, sondern generell Studierende dazu zu ermutigen, Niederlandistik zu studieren – egal an welcher Universität.
Das Hauptziel sei es, wieder mehr Studierende für das Fach begeistern zu können, denn selbst wenn alle derzeitigen Studenten den Weg wählen würden, Niederländisch-Lehrer zu werden, gäbe es zukünftig trotzdem einen akuten Lehrermangel für das Fach. Tatsächlich entscheide sich sowieso nur ein Teil der Studierenden für die Lehrerlaufbahn, andere würden später bei Verlagen arbeiten oder journalistischen Tätigkeiten nachgehen. Bennis wünscht sich eine Kampagne, die für die eigene Sprache wirbt. Er möchte das Interesse an der eigenen Sprache erneut wecken, denn sonst könnte es bald dazu kommen, dass es nur noch Niederländisch-Lehrer gibt, die aus dem Ausland kommen.