GESELLSCHAFT: Adoptivkind verklagt niederländischen Staat wegen Ungereimtheiten bei Adoption
Den Haag, SF/NRC/VK/NOS, 15. Januar 2019
Wer bin ich? Identität ist für jeden Menschen ein zentrales Anliegen. Gerade bei Adoptivkindern, die keinen Kontakt zu ihren leiblichen Eltern haben, drängt sich im Laufe ihres Lebens immer wieder die Frage auf, wo ihre Wurzeln liegen. So auch bei Dilani Butink: Die 26-jährige Niederländerin wurde im Jahr 1992 von einem niederländischen Ehepaar in Sri Lanka adoptiert. Vor einem Jahr stellte sie jedoch Unstimmigkeiten in ihren Geburtsdokumenten fest. Trotzdem soll der niederländische Staat sehenden Auges ihre Adoption zugelassen haben. Jetzt hat Butink die Niederlande verklagt. Es gehe ihr um Gerechtigkeit, sagt sie.
Als Butinks Adoptiveltern nach Sri Lanka reisten, begaben sie sich in der Absicht dorthin, einen kleinen Jungen zu adoptieren. Doch bei ihrer Ankunft war die Adoption des Jungen plötzlich nicht mehr möglich. Ein Vermittler ermöglichte es jedoch, dass Dilani Butink zur Adoption freigegeben wurde. Erst 2017, als Butink selbst Sri Lanka bereiste, erfuhr sie erst von den Ungereimtheiten bei ihrer Adoption. Ihre Geburtspapiere seien gefälscht worden, weshalb es nun unmöglich sei, ihre biologischen Eltern im Geburtsland aufzutreiben. Jetzt fordert Butink vom niederländischen Staat, dass er sich zu seiner Schuld bekennt. Wider besseren Wissens sollen die Niederlande die unrechtmäßige Adoption zugelassen haben. Darüber hinaus möchte Butink erreichen, dass sich der Staat am Auffinden der Eltern von adoptierten Kindern beteiligt. Sie fordert die Einrichtung einer DNA-Datenbank, die die Suche nach den leiblichen Eltern erleichtern soll. Zuletzt möchte Butink vom Staat entschädigt werden. Welche Form diese Entschädigung annehmen soll, ist nicht bekannt. Die Entschädigung spiele auch nur eine untergeordnete Rolle, sagte Butink der Nachrichtensendung NOS-Journaal. Es gehe ihr ums Prinzip.
Dass Butink mit ihrem Schicksal alleine ist, erscheint unwahrscheinlich. Die investigative TV-Format Zembla deckte im September 2017 auf, dass es ab den Achtziger Jahren in Sri Lanka mehrere sogenannter Babyfarms gab. In derartigen Einrichtungen wurden Frauen geschwängert, um die Nachfrage nach Kindern für westliche Eltern zu stillen. Gegen Geld sollen die Frauen dann ihre Kinder nach der Geburt abgegeben haben. Gerüchten zufolge geschah dies aber auch ohne Bezahlung und gegen den Willen der Eltern. Des Weiteren sollen Frauen in sri-lankischen Geburtskliniken den Adoptiveltern vorgetäuscht haben, die leiblichen Mütter der Kinder zu sein. Auch wurde über die Geschwister von den Adoptionsorganisationen bei der Vermittlungsprozedur kein einziges Wort verloren.
Insgesamt wurden rund 11.000 Kindern in den Achtzigern und Neunzigern aus den sri-lankischen Babyfarms adoptiert. Die Niederlande waren das größte Zielland der Adoptivkinder: Etwa 4.000 Kinder wurden dort von Adoptiveltern aufgenommen. Wie viele Kinder vom damals grassierenden Adoptionsbetrug betroffen sind, ist indessen ungewiss. Fakt ist, dass die meisten Geburtsdokumente aus der damaligen Zeit gefälscht worden sind. So fielen bei den Zembla-Recherchen Reisedokumente auf, bei denen die Geburtsdaten der Kinder von Hand verändert worden waren.
Schon 1987 schöpfte der niederländische Kinderschutzbund Verdacht und forderte eine Untersuchung der Adoptionen aus Sri Lanka. Doch niemand ist damals den Vermutungen nachgegangen. Lisa-Marie Komp, die Anwältin Butinks, ist sich allerdings sicher: Der niederländische Staat wusste von den unlauteren Praktiken – oder hätte zumindest davon wissen können. Der Vorwurf: Den Niederlanden war bekannt, die meisten Adoptionen aus Sri Lanka von kommerziell tätigen Privatorganisationen durchgeführt worden waren, die finanziell von den Vermittlungen der Kinder profitierten. Darüber hinaus berichteten niederländische Medien seinerzeit ausführlich über die vermuteten Missstände.
Komp fügte hinzu, dass der niederländische Staat nicht der alleinige Angeklagte sein wird. Auch die Stiftung Kind en Toekomst (Kind und Zukunft), die Adoptiveltern ins Ausland vermittelt, wird sich vor Gericht verantworten müssen. Kind en Toekomst reagierte noch nicht auf die Anschuldigungen. Aber auch aus der Politik ist momentan wenig über den Fall zu hören: Sander Dekker, Minister für Rechtsschutz von der rechtsliberalen VVD, möchte sich über das schwebende Verfahren derweil noch nicht äußern. Allerdings: Schon Ende letzten Jahres kündigte er nach der Ausstrahlung der Zembla-Reportage an, eine Kommission einzuberufen, um Verbesserungen bei internationalen Adoptionen vorzunehmen.
Dass es sich bei Sri Lanka um einen traurigen Einzelfall handeln könnte, ist nur wenig glaubhaft. Auch aus anderen Ländern – Bangladesch, Indonesien, Brasilien – kamen in den Achtziger und Neunziger Jahren vergleichsweise viele Adoptivkinder in die Niederlande. Bei 42 der 70 Kinder aus Brasilien war man sich schon in den Achtzigern sicher, dass die Adoption illegal verlaufen war. Die Organisation Mijn Roots (Meine Wurzeln), die sich für die Rechte indonesischer Adoptivkindern engagiert, möchte ebenfalls einen Prozess gegen den niederländischen Staat anstrengen. Die Journalistin Anouk Eigenraam, die selbst aus Südkorea adoptiert worden ist, hält es zudem für wahrscheinlich, dass bei zahlreichen Kindern aus Äthiopien, Indien, Uganda, China und Südkorea die Adoption grob fehlerhaft verlaufen ist. Eigenraam bezweifelt indes, dass Rechtsschutz-Minister Dekker mit kosmetischen Verbesserungen an den Adoptionsprozeduren Erfolg haben wird. Ohne eine radikale Kehrtwende wird sich aus ihrer Sicht nichts ändern.