POLITIK: Klima-Abkommen wird zum Zankapfel der Koalition

Den Haag, SF/NRC/VK/NOS/DT, 14. Januar 2019

„Überlebt das Kabinett Rutte III 2019?“ Zu drastischeren Worten hätte Haagse Zaken, der Podcast der niederländischen Tageszeitung NRC Handelsblad, nicht greifen können. Denn in Den Haag wütet gerade ein handfester Streit am Kabinettstisch der Koalition von Mark Rutte (VVD). Die Linksliberalen von D66 wollen gemeinsam mit der ChristenUnie eine weltweite Vorbildfunktion in Sachen Klimapolitik einnehmen. Doch der Fraktionsvorsitzende der Konservativliberalen, Klaas Dijkhoff (VVD), drückte am Wochenende demonstrativ auf die Bremse. Die Wahrscheinlichkeit, die Ziele des Pariser Klima-Abkommens eins zu eins von den Niederlanden verwirklicht würden, tendiere gegen null, so Dijkhoff im Interview mit De Telegraaf. Gleichzeitig holt er zum Angriff gegen den D66-Fraktionschef, Rob Jetten, aus: Dieser solle endlich mit seiner Quengelei aufhören, so Dijkhoff. Ein Aufkündigen der Koalition schloss Dijkhoff indes nicht aus.

Widersprüchlicher könnte die Situation im politischen Den Haag gerade nicht sein. Während für Rob Jetten die Klimapolitik das Topthema auf der Regierungsagenda ist, hat Klaas Dijkhoff für Klimaschutz nur wenig übrig. Ähnlich gespalten ist die Lage bei den beiden christdemokratischen Koalitionären: Gert-Jan Segers der christsozialen ChristenUnie pocht auf das Einhalten der Klimaverträge. Sybrand Buma, Spitzenmann des konservativen CDA, allerdings spottet über „proseccotrinkende Tesla-Fahrer“, die keinen Sinn für die Nöte derjenigen hätten, die am Monatsende ihre Stromrechnung kaum bezahlen könnten. Einzig Premier Rutte bleibt gelassen. In der Talkshow Buitenhof gab er am Sonntag zu Protokoll, dass „vier Parteien über manche Dinge unterschiedlich denken, aber im Grunde dieselben Ziele verfolgen.“ Er sei davon überzeugt, dass die Koalition nicht am Klimastreit zerbrechen werde.

Etwas befremdlich wirken die nach Versöhnung bemühten Sätze aus Ruttes Mund schon. Denn VVD-Fraktionschef Dijkhoff setzt auf verbale Aufrüstung im Koalitionsstreit. „Wenn ich vor der Wahl stünde, dass ich entweder den Bürgern oder der Koalition die kalte Schulter zeigen müsste – ich würde die Bürger nie im Stich lassen“, so Dijkhoff gegenüber De Telegraaf. Neben einem möglichen Aufkündigen der Koalition tätigte Dijkhoff noch andere umstrittene Anspielungen: Die Koalitionäre könnten zwar recht gut miteinander reden, doch in wesentlichen Standpunkten lägen sie meilenweit auseinander. Aus diesem Grund würden die Verhandlungen über die Klimapolitik der Regierung noch „hitzig“, ist sich Dijkhoff sicher. Starke Worte, findet das eigentlich recht wirtschaftsnah eingestellte NRC Handelsblad. Die Tageszeitung sieht in Dijkhoffs Auslassungen einen neuen Höhepunkt in der „VVD-Großsprecherei“.

Darüber hinaus, so NRC Handelsblad, leide Dijkhoffs Chuzpe an zwei Schönheitsfehlern. Zum einen sei es logisch, dass die niederländische Regierung nicht alle der rund sechshundert Maßnahmen umsetzen könne, die im Pariser Abkommen festgelegt seien. Zum anderen fege Dijkhoff die Klimaziele als unbezahlbar vom Tisch, obwohl sie noch gar nicht von den Umwelt- und Wirtschaftsbehörden gegengerechnet seien. Hinzu kommt, dass seit dem Urgenda-Urteil dazu angehalten ist, einen aktiveren Klimaschutz zu gewährleisten (NiederlandeNet berichtete). Hinter den Angriffen vermutet die Tageszeitung ein ganz anderes Kalkül: „Klima ist ein Thema, bei dem die VVD – die Partei der Autofahrer – angreifbar ist. Für kommende Wahlen könnte es große Folgen haben, wenn sich die VVD einer weitreichenden, ‚linken‘ Klimapolitik annehme“, so Lamyae Aharouay und Barbara Rijlaarsdam, die für NRC Handelsblad über den Koalitionszwist berichten.

Der Verweis auf die Wahlen ist nicht von der Hand zu weisen. Im März finden Provinzialwahlen statt, die Einfluss auf die Zusammensetzung der Ersten Kammer haben. Im Mai 2019 folgen die Europawahlen. Dijkhoff fische deshalb in rechten Gewässern nach Wählerstimmen, denn die Konkurrenten von Forum voor Democratie und PVV lehnen das Klima-Abkommen von Paris strikt ab. Wähler versuche auch Jetten für D66 zu gewinnen, der jedoch GroenLinks Wähler abzugraben versucht – auch wenn er immerzu bekräftigt, dass es bei der Klimapolitik „um die Zukunft unserer Kinder“ und eben nicht um Wahlkampf gehe.

Die linken Oppositionsparteien können sich indes den Spott über das koalitionsinterne Gestreite nicht verkneifen. Der Grüne Jesse Klaver wirft Dijkhoff „Heuchelei im Höchsttempo“ vor, schließlich seien es VVD-Politiker gewesen, die das Klima-Abkommen in Paris ausgehandelt hatten. Dem stimmte Lilian Marijnissen von der linken SP zu. Dijkhoff weine Krokodilstränen, weil die VVD dafür verantwortlich sei, dass die Stromrechnungen immer höher würden. Lodewijk Asscher von der sozialdemokratischen PvdA nannte es „blanken Hohn“, dass sich Dijkhoff von einem Vertrag distanziere, für den seine eigene Partei gekämpft habe. Asschers Ratschlag: „Mach dich an die Arbeit oder aus dem Staub.“