Nachrichten OKTOBER 2017
DEMOKRATIE: Den Niederlanden steht ein neues Referendum bevor
Amsterdam. SB/VK/NRC/Trouw. 10. Oktober 2017.
Den Niederlanden steht nach dem Ukraine-Referendum vom April 2016 ein neue Volksbefragung bevor. Diesmal geht es um das Gesetzt „Wet voor inlichtingen- en veiligheidsdiensten“, kurz Wiv, welches die Befugnisse der niederländischen Sicherheitsdienste in Bezug auf das Sammeln und Speichern von Daten erheblich ausweiten soll. Das Gesetzt tritt am 01. Januar 2018 offiziell in Kraft, könnte allerdings in Form eines konsultativen Referendums noch einmal auf dem Schreibtisch des neuen Kabinetts Rutte III landen. Initiiert haben die Bürgerinitiative fünf Amsterdamer Studenten. Auf dem langen Weg hin zu einem nationalen Referendum haben sie völlig unerwartet prominente niederländische Unterstützung erhalten.
Seit 2015 gibt es in den Niederlanden das Gesetzt „Wet raadgevend referendum“, welches niederländische Staatsbürger die Möglichkeit gibt, der Regierung korrigierende Ratschläge zu geben. Die Ergebnisse dieser Referenden sind zwar nicht bindend, aber sie haben durchaus politisches Gewicht. Einfach über die Volksstimme hinwegzusehen, können sich Politiker schließlich schon allein wegen Beliebtheitswerten innerhalb der Bevölkerung nicht erlauben. Das letzte konsultative Referendum, wie nichtbindende Referenden auch genannt werden, betraf den Assoziationsvertrag zwischen der EU und der Ukraine. Damals hatte die Initiative GeenPeil das Referendum organisiert, dessen „nein“ Den Haag auf europäischer Bühne stark in Verlegenheit gebracht hatte und für die Regierungskoalition sehr unbequem war. Seitdem wurde in den Niederlanden viel über den Sinn und Unsinn von Referenden diskutiert – legitimes und wünschenswertes Mittel für mehr Demokratie, oder inadäquates Instrument, das komplexe Sachverhalte auf ein unzureichendes schwarz-weiß verengt?
Wissenschaftler der Universität Tilburg, die sich dem Thema unter der Frage „Volksentscheid – demokratischer Segen oder Fluch“ auf breiter akademischer Basis angenähert haben, kommen zu dem Schluss, dass Referenden einen positiven Einfluss auf die niederländische Demokratie haben. Allerdings seien Anpassungen nötig. So zum Beispiel könne sich die festgelegte Wahlbeteiligung von minimal 30 Prozent kontraproduktiv auswirken. Viele, die damals für den Assoziationsvertrag gewesen waren, waren dem Referendum ferngeblieben, weil sie darauf spekuliert hatten, dass die 30 Prozent nicht erreicht würden. Hier könnte den Wissenschaftlern zu Folge eine Änderung hin zu einer Unterstützungsquote von bspw. 25 Prozent Abhilfe schaffen. Auch schlagen die Wissenschaftler vor, weiterführende Fragen in die Abstimmung zu integrieren, sodass mehr Klarheit darüber entsteht, wie das jeweilige „ja“ oder „nein“ zustande gekommen ist. Beim abgelehnten Assoziationsvertrag mit der Ukraine blieb den politisch Verantwortlichen teilweise nicht viel mehr übrig, als über die Gründe für den negativen Ausgang des Referendums zu spekulieren. Als letzte Maßnahme schlagen die Studienleiter vor eine „second public-opinion“, also ein zweites Referendum zum selben Thema abzuhalten, sodass das Volk die Gelegenheit hat, sich im Falle des Falles selbst zu korrigieren. Die Überlegung stammt vermutlich aus den Erfahrungen mit dem Brexit, den viele Briten nicht hatten kommen sehen.
Dass darüber diskutiert wird, ist wichtig, steuern die Niederlande doch gerade wieder auf ein nationales Referendum zu. Diesmal geht es um die Ausweitung der Befugnisse der niederländischen Sicherheitsdienste AIVD (Algemene Inlichtingen- en Veiligheidsdienst) und MIVD (Militaire Inlichtingen- en Veiligheidsdienst). Ab 01. Januar 2018 ist es diesen Diensten aus Gründen der inneren Sicherheit erlaubt, Kommunikation, die über Glasfaserkabel läuft, zu kopieren und zu speichern. Dass diese gesetzliche Anpassung notwendig ist, wird indes auch von Niemandem bestritten. Die derzeitige Gesetzgebung stammt noch aus dem Jahr 2002 und ist völlig veraltet, da es den digitalen Entwicklungen keine Rechnung trägt. So ist es den Geheimdiensten bislang lediglich erlaubt nicht-kabelgebundenen Kommunikation abzufangen, was zum Beispiel die Kommunikation über Smartphones ausschließt.
Der heikle Punkt ist aber ein anderer. Was die fünf Studenten und mittlerweile tausende Unterzeichner ihrer Petition an dem Gesetz stört, ist, dass es den Geheimdiensten erlaubt sein wird ,Abhörmaßnahmen durchzuführen, die nicht zielgerichtet sind. Das Ganze kann man sich in etwa vorstellen wie ein großes Fangnetz, dass die Geheimdienste auswerfen, um relevante Kommunikationsvorgänge aufzuspüren. Dabei sammeln und speichern die Behörden aber auch Daten von gänzlich unverdächtigen Personen, weshalb das Referendum in den Niederlanden auch unter dem Namen „Sleepnetreferendum“ (Schleppnetzreferendum) geführt wird. Das und die Tatsache, dass die Daten drei Jahre lang gespeichert werden sollen, ruft in den Niederlanden Widerstand hervor – zum Vergleich: In Deutschland dürfen Daten maximal 90 Tage gespeichert werden, in Großbritannien sechs Monate.
Am gestrigen Montag haben die Initiatoren des Referendums bekannt gegeben, dass sie die für ein Referendum nötigen 300.000 Stimmen erzielt haben. Die Deadline läuft noch bis zum 16. Oktober, bis dahin wollen die Gegner des Gesetzes noch so viele Unterschriften wie möglich sammeln. Diese müssen nämlich nach Ablauf der Frist beim Kiesraad abgegeben werden. Der prüft, ob die Unterschriften alle rechtens sind. Die Namen der Unterzeichner müssen beispielsweise stimmen und doppelte Unterschriften sind sogar strafbar. Beim Ukrainereferendum waren rund 10 Prozent der Unterschriften ungültig. Ein Puffer sollte deswegen aus Sicht der Initiatoren unbedingt erreicht werden. 350.000 geben die fünf Studenten dann auch als Zielmarke an.
Dass die Petition überhaupt 300.000 Stimmen bekommen hat, war vor anderthalb Wochen so überhaupt nicht zu erahnen gewesen. Trotz vieler Anstrengungen auf Seiten der Initiatoren lief die Aktion schleppend an – bis am 01. Oktober eine unerwartete SMS eintraf. Der in den Niederlanden sehr populäre Satiriker Arjen Lubach (bekannt aus Zondag met Lubach – einem Format vergleichbar mit der deutschen heute show) riet ihnen am Abend seine Show an zu sehen und ihre Seite www.sleepwet.nl technisch auf hohe Besucherzahlen vorzubereiten. Tatsächlich widmete Lubach dem Thema 13 Minuten in seiner abendlichen Sendung und rief die Zuschauer zum Unterzeichnen der Petition auf. Hatten sonst durchschnittlich pro Tag etwa 4.500 Menschen die Petition unterzeichnet, waren es nach der Show von Lubach ca. 22.000 pro Tag. Auch namhafte Organisationen wie Amnesty International, politische Parteien wie beispielsweise die linke SP und die niederländische Interessensvertretung für Journalisten und Ärzte, die um ihre Möglichkeit zur Geheimhaltung bangen, unterstützen mittlerweile die Bürgerinitiative.
Sollte der Kiesraad sein o.k. geben, ist es recht wahrscheinlich, dass das „sleepnetreferendum“ mit den Kommunalwahlen am 21. März zusammenfällt. Für die Gegner des Gesetztes wäre das vorteilhaft, da es die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Wahlhürde von 30 Prozent erreicht wird. Dabei könnte es sein, dass das das „sleepnetreferendum“ auch das (vor-)letzte Referendum dieser Art in den Niederlanden sein wird, da das neue Kabinett sich noch bis Juli 2018 dafür entscheiden kann, das Gesetzt „Wet raadgevend referendum“ wieder abzuschaffen. Dann könnte es allerdings passieren, dass es auch über diese Frage noch zu einem Referendum kommt. Über einen Nexit, der nach dem Brexit-Schock oft diskutiert wurde, könnte es auf diesem Weg übrigens nicht kommen: Die Möglichkeit eines Referendums bezieht sich nur auf neue Gesetzgebungen. Spätestens 10 Wochen nachdem ein Gesetz angenommen wurde, muss das Referendum in die Wege geleitet werden.