Nachrichten OKTOBER 2017
POLITIK: Die Koalitionsverhandlungen des neuen niederländischen Kabinetts sind so gut wie abgeschlossen
Den Haag. EF/VK/NRC/NOS. 05. Oktober 2017.
Seit der Wahl der Tweede Kamer in den Niederlanden am 15. März wurde bezüglich möglicher Koalitionen viel diskutiert. Nun, 204 Tage später, scheint ein Ende der Koalitionsverhandlungen in Sicht zu sein: Das Ergebnis dieser Verhandlungen ist das Kabinett Rutte III, bestehend aus den niederländischen Parteien VVD, CDA, D66 und ChristenUnie. Über die großen politischen Fragen sind sich alle vier Parteien einig geworden.
Eine der letzten Hürden, die es innerhalb eines Regierungsabkommens zu verhandeln galt, war die Arbeitsmarktpolitik. Doch auch hier konnte man schließlich eine Einigung erzielen. Das neue Kabinett möchte die Arbeitgeber kleinerer Betriebe dazu animieren, Arbeitnehmern schneller unbefristete Arbeitsverträge anzubieten. Darüber hinaus sollen Kleinbetriebe bei der Zahlung von Krankengeldern entlastet werden. Die Zahlung soll auf ein Jahr beschränkt werden. Das zweite Jahr, welches bislang ebenfalls allein durch den Arbeitgeber getragen werden musste, soll kollektiv verteilt werden. Das heißt, dass Arbeitgeber künftig in eine Art Versicherung einzahlen, die schließlich für ein zweites Krankheitsjahr eines Mitarbeiters zum Tragen kommt. Die Einzahlung ist für alle Arbeitgeber von Kleinbetrieben verpflichtend. Die Grenze, bis wann ein Betrieb als klein gilt, liegt bei 20 Mitarbeitern. Alle Betriebe mit mehr Mitarbeitern sind wie bisher zu einer Lohnfortzahlung von zwei Jahren verpflichtet.
Auch im Hinblick auf die Steuern stehen Neuerungen auf dem Plan. Die Besteuerung von Konsumgütern soll steigen, die Besteuerung der Löhne sinken. Durch ein neues Steuersystem der Bruttolöhne, wird es in Zukunft möglicherweise nur noch zwei Steuerklassen geben. Dabei liegt die niedrige Steuerklasse bei rund 35 Prozent, die höhere knapp unter 50 Prozent. Darüber hinaus möchten die Parteien gerade die Menschen in den Fokus nehmen, die in ihrer Freizeit Überstunden verrichten. Da das aktuelle Steuersystem so ausgerichtet ist, dass sich Überstunden finanziell nur wenig rentieren, möchte man auch hier steuerliche Veränderungen vornehmen.
Der sogenannte btw-Tarif, im deutschen Mehrwertsteuer genannt, soll für diejenigen Güter angehoben werden, die bislang mit nur 6 Prozent besteuert wurden. Zusätzlich soll in den Niederlanden die in Deutschland bereits bekannte LKW-Maut erhoben werden und auch über höhere Steuerbelastungen von Energie wurde gesprochen. Die Vermögenssteuer hingegen wird herabgesetzt und der Freibetrag von 25.000 Euro auf 30.000 erhöht.
Weitere wichtige Bereiche innerhalb der Politik des Kabinetts Rutte III sind Bildung, Verteidigung, Polizei und Nachhaltigkeit. Insbesondere die Pläne für den Bildungsbereich wurden in den Medien stark fokussiert. Dazu gehört unter anderem, dass Schulen dazu verpflichtet sind, die niederländische Nationalhymne ‚het Wilhelmus‘ zu unterrichten. Außerdem sollen, wie gestern bekannt gegeben wurde, zusätzlich 770 Millionen Euro in die Bildung investiert werden, die sich wie folgt verteilen: Rund 500 Millionen Euro kommen den Grundschulen zugute. Darüber hinaus sollen 270 Millionen Euro in höhere Lehrergehälter investiert werden. Ein viel diskutierter Punkt in den niederländischen Medien, bedenkt man, dass Lehrkräfte von niederländischen Grundschulen bereits zuvor für den heutigen Donnerstag einen Lehrerstreik angekündigt haben. Grund für die Niederlegung ihrer Arbeit ist die zu hohe Arbeitsbelastung und die zu niedrigen Löhne. Gewerkschaften forderten in diesem Zusammenhang für den Bildungssektor zusätzliche 1,4 Milliarden Euro, die sich auf Lohnerhöhungen für Lehrkräfte (900 Millionen Euro) und die Verminderung der Arbeitsbelastung (500 Millionen Euro) verteilen. Ob es sich nun bei den zusätzlichen 770 Millionen Euro, die das neue Kabinett in den Bildungssektor investiert, um einen strategischen Zug handelt oder aber ein Entgegenkommen für die Streikenden darstellen soll, sei dahingestellt. Nichtsdestotrotz findet der landesweite Lehrerstreik statt. Dieser befindet sich aktuell in vollem Gange.
Bezüglich der vielfach diskutierten medizinisch-ethischen Fragen, wie die Sterbehilfe nach einem ‚erfüllten Leben‘, haben VVD, CDA, D66 und ChristenUnie abgesprochen, keine neuen Änderungen mit in die Regierungspläne aufzunehmen. Wohl aber möchte man Raum schaffen für Stammzellen- und Embryoforschung. Neben medizinisch-ethischen Fragen und der großen politischen Fragen rund um den Arbeitsmarkt, gab es eine weitere große Hürde, die es zu überbrücken galt: die Flüchtlingsfrage. Keine einfache Aufgabe, denn schließlich ist eben an dieser Frage eine Koalition mit GroenLinks gescheitert. Zusammen mit der ChristenUnie konnten VVD, CDA und D66 jedoch zu einer Einigung kommen. Das neue Kabinett wird in jedem Fall weiterhin europäische Migrationsabkommen wie zuvor mit der Türkei unterstützen und verdoppelt die Anzahl der Flüchtlinge, die sich in den Niederlanden niederzulassen dürfen von 500 auf 1000 pro Jahr. Dabei geht es vor allem um Menschen, die bereits über einen längeren Zeitraum in einer Flüchtlingsunterkunft im Ausland untergebracht sind.
Die kommenden Tage dienen dazu, weitere Details zu diskutieren und schließlich die ausgehandelten Vereinbarungen in Form eines Koalitionsvertrages zu Papier zu bringen. Zu Beginn der kommenden Woche, werden die vier potentiellen Regierungsfraktionen schließlich dazu angehalten, sich offen für dieses Regierungsabkommen auszusprechen. Am Dienstag folgt schließlich eine Pressekonferenz in der Tweede Kamer, in der sich Mark Rutte (VVD), Sybrand Buma (CDA), Alexander Pechthold (D66) und Gert-Jan Segers (ChristenUnie) bezüglich ihrer Bestrebungen innerhalb des neuen Kabinets Rutte III zu Wort melden werden. In derselben Woche folgt in der Tweede Kamer außerdem eine Debatte mit dem Informateur Gerrit Zalm, in der Mark Rutte zum designierten Ministerpräsident ernannt wird, der daraufhin die jeweiligen Minister ernennen wird. Erwartungen zufolge tritt das neue Kabinett Rutte III in der Woche des 23. Oktobers dieses Jahres in Kraft. Damit bricht dieses Kabinett bezüglich der Länge der Koalitionsverhandlungen in den Niederlanden alle Rekorde. Im Vergleich dazu: Das Zustandekommen des Kabinetts Van Agt I dauerte im Jahr 1977 208 Tage. Bei der Formation des Kabinetts Rutte III sind bereits Stand heute 204 Tage vergangen.