Nachrichten November 2017


WIRTSCHAFT: Die Metamorphose des Zwarte Piet

Dokkum. SB/VK/NRC. 14. November 2017.

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Der Zwarte Piet verlangt den Niederländern Flexibilität ab, eine alte Diskussion geht in eine neue Runde, Quelle:NiederlandeNet/CC BY-NC-SA 2.0

Die jährlich wiederkehrende Diskussion um den Zwarte Piet ist in den Niederlanden schon fast zu einer Tradition in der Tradition geworden. Für die einen ist der traditionell schwarze Gehilfe des Sinterklaas eine rassistische Karikatur, die Anno 2017 nicht mehr akzeptabel ist, für die anderen ist er Teil der niederländischen Kultur und gute Tradition, die es mit allen Mitteln zu verteidigen gilt. Dieses Jahr fällt die Diskussion etwas gemäßigter aus und es zeichnet sich ab, dass jede Gemeinde ganz anders mit diesem sensiblen Thema umgehen wird.

Schwarze Pieten, rußbefleckte Pieten, bunte Pieten, Pieten mit Kopftüchern und spanische Edelmann-Pieten. Der Gehilfe des Sinterklaas, der für niederländische Kinder fast ebenso wichtig ist, wie der Chef-Geschenkeüberbringer selbst, kennt mittlerweile viele Erscheinungsformen. Das resultiert aus den heftigen Debatten, die in den letzten fünf Jahren in der niederländischen Gesellschaft über diese Thematik geführt wurden. Viele finden den früher strafenden, heute drolligen schwarzen Gehilfen des Sinterklaas rassistisch und eine inakzeptable Verhöhnung der Menschen, die im Zeitalter des Kolonialismus von den Niederländern versklavt wurden. Für andere wiederum sind die Zwarte Pieten niederländisches Kulturgut. Die Diskussion um den Zwarte Piet war in den Niederlanden von Anfang an viel mehr als eine Diskussion um ein Kinderfest. Sie hat offenbart wie viel Frustration es innerhalb der Gesellschaft um Fragen der Integration gibt. Die einen suchen ihre ureigene Identität, die anderen fühlen ich davon ausgeschlossen. So unangenehm und schmerzhaft die Diskussionen auch gewesen sein mögen, eines haben sie bewirkt, nämlich das historische Bewusstsein der Niederländer zu schärfen.

Dieses Jahr scheint die Diskussion um den Zwarte Piet das erste Mal seit langer Zeit weniger stark emotional aufgeladen zu sein. In Dokkum, wo am 18. November die „intocht“, das heißt, die Ankunft des Dampfbootes aus Spanien mit dem Sinterklaas und den Pieten an Bord, stattfinden wird, wurde gerade einmal eine einzige Demonstration für diesen Tag angekündigt. Nur die Stiftung „Nederland Wordt Beter“ (die Niederlande werden besser) hat angekündigt für eine Zukunft ohne Rassismus und Diskriminierung zu demonstrieren. Die extrem rechte Nederlandse Volks-Unie (NVU), die in vorangegangenen Jahren regelmäßig für den Erhalt des traditionellen Zwarte Piet demonstrierte, hat hingegen keine Aktionen angekündigt.

Insgesamt scheinen sich die Gemüter etwas beruhigt zu haben. So auch intern beim „Sinterklaasjournaal“ - einer Nachrichtensendung für Kinder, die jedes Jahr ausgestrahlt wird und für die Kleinsten das Allergrößte ist. Letztes Jahr war die aufgeheizte Diskussion beim NTR, dem öffentlich-rechtlichen Sender, der die Kindersendung ausstrahlt, intern noch aus dem Ruder gelaufen. Gleich drei langjährige Protagonisten der Sendung (zwei Pieten und ein Berichterstatter) kündigten, weil sie in der „Zwarte-Pieten-Frage“ anderer Ansicht waren als der NTR.
Mit rund 700.000 Zuschauern jede Woche lastet auf dem Sinterklaasjournal tatsächlich hoher Druck. Letztes Jahr hatte es der Sender mit „gekleurde Pieten“, also bunten Pieten versucht. Diese werden 2017 wohl aber schon nicht mehr zu sehen sein. „Es passte zu wenig in die Tradition und sah nicht schön aus“, sagte ein Sprecher des Kinderprogramms. Obwohl bereits am gestrigen Montag die erste Folge des Sinterklassjournaals ausgestrahlt wurde, ist noch nicht klar, wie der Sender, der eine „bunte Gesellschaft von Helfern“ für dieses Jahr angekündigt hatte, das Problem lösen wird. Das Schiff des Sinterklaas war laut Drehbuch in ein Unwetter geraten und die Kontaktaufnahme mit ihm und den Pieten daher noch nicht möglich. Es bleibt also bis nächste Woche noch spannend, was sich der NTR in der Frage der Pieten überlegt hat.

Ansonsten ist innerhalb dieser Grundsatzfrage viel Flexibilität gefragt. Das spiegelt sich vor allem im Umgang der Gemeinden mit dem Thema wieder. In den meisten Gemeinden wird der Zwarte Piet zwar nach einer Umfrage des Algemeen Dagblad schwarz bleiben, in anderen aber, wird er in ganz anderer Gestalt zu sehen sein. Vor allem die Randstad, also der dichtbevölkerte Westen des Landes, ist für ein Umdenken. So wird Amsterdam statt Zwarte Pieten dieses Jahr spanische Edelmänner auf die Straßen schicken, die so neutral wie möglich aussehen sollen. Aber auch an dieser Lösung ist sogleich Kritik lautgeworden. Die Landelijk Platform Slavernijverleden, eine Institution, die sich mit  der Sklavereivergangenheit der Niederlande beschäftigt, verwies zum Beispiel auf die Kolonialvergangenheit Spaniens, die auch mit Sklaverei verbunden war. Aber auch aus dem Pro-Lager erschallt Kritik. Immerhin waren es Spanier gewesen, die während des 80-jährigen Krieges in vielen Teilen der Niederlande mit Waffengewalt gewütet hatten. Ein Zwarte Piet, der keine Konflikte heraufbeschwört, so Sander van Walsum von der niederländischen Tageszeitung de Volkskrant, müsste erst noch geboren werden. Auch in Den Haag wird kein einziger schwarzer Piet dabei sein. Die Stadt entschied sich für die Variante der rußverschmierten Pieten, die mal mehr mal weniger schwarze Flecken haben im Gesicht, weil schließlich jeder Kamin unterschiedlich stark verschmutzt ist. In Utrecht wird es hingegen wohl noch Zwarte Pieten geben, aber für nächstes Jahr wurde bereits ein anderer Piet angekündigt. Welche Pieten am 18. November im friesischen Dokkum vom Boot hüpfen werden, ist noch nicht bekannt.

Jede Gemeinde geht also anders mit dem sensiblen Thema um. Ebenso verhält es sich bei den niederländischen Supermärkten und Kaufhausketten. Hema, die erste Kette, die den Zwarte Piet (der natürlich auch als Werbefigur sehr beliebt ist und häufig auf Geschenkpapier gedruckt ist) aus dem Sortiment verbannte, ist letztes Jahr bereits zu dem rußbefleckten Piet übergegangen. Auch Aldi, Lidl und Blokker haben den rußbefleckten Piet mittlerweile als Alternative in ihr Sortiment aufgenommen, sie bieten allerdings auch weiterhin den traditionellen Zwarte Piet auf Geschenkpapier gedruckt an. In rund 20 Geschäften im Land wird es dieses Jahr sogar einen Piet mit Kopftuch zu kaufen geben. Wieviel Flexibilität der Umgang mit dem „Piet-Problem“ den Niederländern abverlangt, wird am Beispiel Albert Heijn deutlich. Ob und in welcher Form Sinterklaas und Piet auf Produkten vorkommen unterscheidet sich bei der großen niederländischen Supermarktkette von Region zu Region. Die jeweiligen Manager wüssten schließlich am besten, was in ihrer Umgebung gewünscht und akzeptiert sei und was nicht. So kann es vorkommen, „dass die Pieten in einem Geschäft in Brabant beispielsweise ein bisschen anders aussehen als die Pieten in einem Geschäft in Den Haag“, so Menno van der Vlist, Sprecher des Mutterkonzerns Ahold.