Nachrichten Juni 2017
GESELLSCHAFT: Amsterdam trifft neue Regelung zum Thema Erbpacht
Amsterdam. EF/VK/NRC/Trouw. 29. Juni 2017.
Mehr als 100.000 Amsterdamer Hausbesitzer können sich zum 01. Oktober diesen Jahres von der Erbpacht, die sie an die Gemeinde Amsterdam für das Grundstück bezahlen, auf dem sie ihre Häuser gebaut haben, freikaufen. Nach einem langen Tag mit einem Eilverfahren und zwei schleppenden Debatten stimmten die Koalitionsparteien im Gemeinderat dieser Regelung am Mittwochabend zu. Die neue Regelung wird von vielen Hausbesitzern freudig begrüßt. Bewohner von relativ kostengünstigen Stadtteilen können sich so nämlich für ein paar tausend Euro die Sicherheit erkaufen, niemals wieder einen Erbpachtzins bezahlen zu müssen.
Bei der Stichting Erfpachtersbelangen Amsterdam (kurz: SEBA), eine Interessensvertretung der Erbpächter, und der gesamten Opposition herrschte Mittwochnacht jedoch bittere Enttäuschung über die Art und Weise, mit der das Gremium diese doch sehr umstrittene Regelung durchzuboxen versuchte. Vor allem die Tatsache, dass das Gremium trotz wiederholter Zusagen kein Referendum über den neuen Erbpachtplan einberief, brachte die Stiftung und die Oppositionsparteien in Rage.
Das Thema Erbpacht hat sich in den vergangenen zehn Jahren zu einem der heikelsten Themen im Amsterdamer Rathaus entwickelt. Bereits mehr als 100 Jahre vermietet die Stadt diverse Grundstücke. Die Hausbesitzer, die Wohnungen und Häuser auf diesen Grundstücken errichtet haben, zahlen für eben diesen Grund unter ihren Häusern Miete – und zwar in der Form von Erbpacht. Insgesamt betrifft dies in Amsterdam zwischen 130.000 bis 190.000 Wohnungen und damit beinahe alle Amsterdamer Häuser außerhalb des historischen Zentrums.
Sehr lange wurde dieses System von niemandem beanstandet. Am Anfang dieses Jahrhunderts hat sich die allgemeine Meinung diesbezüglich allerdings verändert. Das Problem, welches immer wieder angeführt wird, ist der starke Anstieg der Erbpacht. Angesichts der Tatsache, dass die Gemeinde die Erbpacht lediglich alle 50 Jahre einfordert, ist mancher Hausbesitzer über die Höhe der zu zahlenden Summe überrascht – vor allem in verhältnismäßig teuren Wohnvierteln. Schließlich geht die Gemeinde davon aus, dass der gesamte Wertanstieg der einzelnen Wohnungen auf den jeweiligen Grundstücken basiert. Zu einem fundamentalen Problem, welches dieses System unhaltbar macht, kam es vor rund einem Jahrzehnt, als viele Banken sich darauf einigten, Häuser, deren Erbpacht in absehbarer Zeit fällig wird, nicht mehr finanzieren zu können.
In dem aktuellen Gremium machten die Parteien D66 und VVD die Erbpacht in Amsterdam zu einem Thema mit höchster Priorität. Als aber der Wethouder Eric van der Burg (VVD) am Anfang diesen Jahres schließlich seinen Plan für einen Übergang zu einer unbefristeten Erbpacht vorstellte, löste er damit eine Revolte bei trausenden von wütenden Erbpächtern aus – meist typische VVD-Wähler aus begehrten Nachbargegenden. In kürzester Zeit meldeten sich rund 5.000 Betroffene zu Wort, die mit der Höhe der Ablösesumme alles andere als zufrieden seien, sagte der Pressesprecher des Wethouders Van der Burg. Sie fanden heraus, dass sie so viel Geld für das Grundstück auf dem ihr Haus steht, bezahlen sollten, dass manche selbst notgedrungen umziehen mussten.
Nach der überwältigenden Kritik stellte das Gremium Anfang Mai eine andere Regelung vor, die ebenfalls das Freikaufen von der Erbpacht beinhaltet, diesmal aber für Haus- und Wohnungsbesitzer bezahlbar sein soll. Damit gestaltet sich dieses System für Pächter wesentlich attraktiver. Darüber hinaus haben Pächter die Möglichkeit, die Ablösesumme sofort oder in Raten zu bezahlen. Doch obwohl dieses Abkaufen der Erbpacht für beinahe alle Amsterdamer Pächter bezahlbar war, stellte sich SEBA dagegen. Schließlich würden Hausbesitzer in teuren Wohnvierteln zum Teil noch immer teilweise mehr als zehntausende Euro bezahlen müssen. Außerdem sei die Methode, mit der der Wert des Grundstücks berechnet werden soll, laut SEBA völlig unzureichend.
Koen de Lange, der Vorsitzende der SEAB, der bereits seit Jahren für ein gerechtes Erbpachtsystem kämpft, ging bis letzte Woche noch davon aus, dass er seinen Widerstand gegen den Erbpachtplan in einem Referendum fortsetzen zu können, da ihm der Gemeinderat in den letzten Jahren mehrmals versicherte, dass er das Recht auf das Abhalten eines Referendums hätte, wenn das neue Erbpachtsystem bezüglich der Höhe der Ablösesummen den Vorschlägen vorheriger Erbpachtspläne ähnelt. In der letzten Woche jedoch, machte ihm das Gremium einen Strich durch die Rechnung, indem es verlauten ließ, dass so ein Referendum rund um die Erbpacht rechtlich nicht möglich zu sein scheint. Die einzige Möglichkeit, ein Referendum durchzuführen, bestünde darin, dass das Gremium selbst ein Referendum einberufen würde. Das wollen Bürgermeister und Wethouder jedoch nicht.
Aus diesem Grund forderte De Lange am Mittwochvormittag mittels eines Eilverfahrens, dass das Gremium das Erbpachtsystem nur zur Abstimmung bringen könne, wenn daran ein Referendum gekoppelt sei. Nach einer Stunde der Beratung gab der Richter jedoch der Gemeinde recht: Die Unterschriften, die De Lange zuvor gesammelt hatte, seien zu alt und die neue Regelung unterscheide sich so stark von der vorherigen, dass die alte Zusage, De Lange könne ein Referendum durchführen, nicht mehr gelte.
Auffallend ist nun die relative Einsamkeit des SEBA-Vorsitzenden. Während er zu Beginn des Jahres noch mit hunderten von Demonstranten vor dem Rathaus stand und Reden in überfüllten Sporthallen vor einem tosenden Publikum hielt, bleiben ihm heute lediglich eine Hand voll Unterstützer. Mehr noch: Ein Großteil der Erbpächter wünschte sich gestern nichts sehnlicher, als dass der neue Erbpachtsantrag angenommen wird. „Das System ist vielleicht schlecht, aber es ist bezahlbar und dann sind wir die Unsicherheit los“, lautet das Argument der Pächter. Der lautstarke Protest ist damit verstummt, da das angepasste Erbpachtsystem für den Pächter wesentlich günstiger ist, als das System davor.