Nachrichten August 2017


POLITIK: Dokumentation über Jesse Klaver wird wegen mangelnder Objektivität nicht ausgestrahlt

Hilversum. SB/VK/TROUW/NRC. 29. August 2017.

Jesse Klaver war der strahlende Star der Parlamentswahlen vom 15. März in den Niederlanden. Den „Jessias“ nannten die einen ihn ehrfurchtsvoll, die anderen spottend. Am 4. September sollte eine Dokumentation über ihn auf dem öffentlich-rechtlichen Sender BNN-VARA ausgestrahlt werden. Seit Sonntag ist allerdings klar „Jesse“ wird so schnell weder bei BNN-VARA, noch irgendwo anders laufen. Der Vorwurf an die Dokumentation ist der, dass es ihr an Objektivität mangele. Von rechts wird gar die Verdächtigung der (linken) Propaganda laut. Musste der Sender die Notbremse ziehen?

Der erst 31-jährige Jesse Klaver erschien vielen Niederländern in den dunklen Wintertagen diesen Jahres als Lichtgestalt am politischen Firmament. Endlich einer der es anders machen wollte, der Veränderung anstrebte, einer der es schafft die Leute zu mobilisieren und mitzureißen. Tatsächlich gelang es Klavers Partei, GroenLinks, am Ende einer sehr professionellen Kampagne sich von 4 auf 14 Sitze zu verbessern. Freilich: regieren wollte Klaver nicht mit VVD, CDA und D66. Nichts desto trotz ist GroenLinks nicht zuletzt durch Klaver zu einem echten politischen Schwergewicht avanciert.

Über den jungen Ausnahmepolitiker sollte am 4. September eine Dokumentation auf BNN-VARA ausgestrahlt werden. BNN-VARA gehört zum publieke omroep, was mit den öffentlich-rechtlichen Sendern in Deutschland vergleichbar ist. Oberstes Gebot ist also auch hier journalistische Objektivität und politische Unvoreingenommenheit. Gerade hieran mangele es der 52-minütigen Dokumentation allerdings, so der Vorwurf, der vor allem aus dem rechten Lager erklingt. Unter anderem Fleur Agema von der PVV und Thierry Baudet, Vorsitzender des Forum voor Democratie, beklagten den Mangel an Objektivität des publieke omroep. Der ehemalige Parlamenstpräsident Frans Weisglas (VVD) nannte die Tatsache, dass BNN-VARA eine Dokumentation über Klaver ausstrahlen wollte, „unerhört“.

Diese Vorwürfe kommen nicht aus heiterem Himmel. Denn der Regisseur des Films, Joey Boink, war bis zum 1. Mai diesen Jahres bezahltes Mitglied von GroenLinks. Darüber hinaus verbindet ihn zu Jesse Klaver eine persönliche Freundschaft. Der Fall liegt allerdings so, dass aus dieser Tatsache nie ein Geheimnis gemacht wurde. Am Anfang der fertigen Dokumentation ist ein Ausschnitt zu sehen, in dem Boink den Zuschauer von seiner „Doppelrolle“ in Kenntnis setzt. Dieser war nämlich während der Wahlkampagne als Klavers persönlicher „Bewegtbildleiter“ tätig. In dieser Rolle begleitete Boink seinen Chef, der in dieser Zeit auch zu seinem Freund wurde, ein Jahr lang mit der Kamera. Diese Bilder verarbeitete er in den Social-Media-Kanälen von GroenLinks, mit der Intention Wähler zu gewinnen. Aus dem Korpus dieser Bilder, die zwischen Juni 2016 und Mai 2017 entstanden sind, und insgesamt 75 Stunden Videomaterial enthalten, entstand schließlich auch die Dokumentation „Jesse“. BNN-VARA wusste um die Umstände unter denen Boink an seine Bilder gekommen war und bis zum letzten Freitag schien das auch kein Problem zu sein. Am darauf folgenden Sonntag zog der Sender, die Ankündigung die Dokumentation wie geplant am 4. September auszustrahlen allerdings überraschend zurück. Dem waren intensive Gespräche mit der NPO (Nederlandse Publieke Omroep) vorausgegangen.

Frans Klein, der Direktor des Sektors Fernsehen innerhalb der NPO, sagte: „Zwei kleine neue Tatsachen gaben für uns den entscheidenden Ausschlag. Der Macher der Dokumentation stand auf der Lohnliste von GroenLinks und er war befreundet mit Klaver.“ Es sei schließlich so, wie es das Sprichwort sage, so Klein weiter: „wiens brood men eet, wiens woord men spreekt (Bedeutungsgemäß so viel wie: wessen Brot man isst, dessen Wort man spricht). Das passt nicht zusammen mit einem wertfreien, objektiven, journalistischen Produkt.“
Was man innerhalb der BNN-VARA also unter einigen Bedingungen (wie der, die Doppelrolle von Boink offen zu legen) für unbedenklich gehalten hatte, sah man ein paar Treppen weiter oben, bei der Leitung des NPO als sehr problematisch an. Eine der wenigen, die die Dokumentation gesehen haben ist Shula Rijxman, die Vorstandschefin des NPO. Sie sagte gegenüber den Medien, dass der Inhalt der Dokumentation nicht das Problem sei, aber man könne es schlicht nicht riskieren an der Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Sender Zweifel aufkommen zu lassen. Die Ankündigung „Jesse“ nicht auszustrahlen kann daher durchaus als Notbremse gesehen werden.

Der Regisseur und der Produzent (Doxy) sind über die Entscheidung der NPO erbost und vermuten man habe sich dort von rechten Kritikern beeinflussen und unter Druck setzen lassen. Klein bestreitet das. Mit Druck von außen habe die Entscheidung nichts tun. Immerhin habe es schon etliche Dokumentationen über Politiker bei den öffentlich-rechtlichen Sendern gegeben. So zum Beispiel die über den ehemaligen PvdA-Chef Wouter Bos im Jahr 2007, oder die über Emile Roemer, den Parteiführer der linken SP. Der heikle Punkt in dieser Angelegenheit sei schlicht, dass auf Seiten des Senders nicht kontrolliert werden könne, ob Boink die Kamera in Momenten, die für GroenLinks bzw. Jesse Klaver wenig vorteilhaft wirken könnten, ausgeschaltet habe.

Joey Boink weiß mit diesem Vorbehalt wenig anzufangen: „Ich bin nie auf die Idee gekommen, dass meine Beziehung zu Jesse mich daran hindern könnte, genau die Geschichte zu erzählen, die ich vor Augen hatte.“ Boink sieht seine persönliche Nähe zu Klaver und GroenLinks sogar als Vorteil, der es ihm ermöglichte eine einzigartige Perspektive auf den Menschen Klaver zu haben: „Ich habe diesen Film nur machen können, weil ich für GroenLinks gearbeitet habe. Ich saß in Den Haag im Zimmer neben Jesse. Nur weil ich involviert war, konnte ich besondere Momente miterleben, die einem Außenstehenden nie zu Teil geworden wären.“ Damit hat Boink sicherlich recht. So wurde er Zeuge spontaner Momente, die ein Journalist, der nur bei geplanten Drehtagen vor Ort ist, bestimmt nicht hätte einfangen können. Selbst bei höchst intimen Momenten, wie der Beerdigung von Klavers Mutter, war Boink dabei. Das war auch das, was BNN-VARA anfangs so euphorisiert hat. Die Nähe des Regisseurs, die einen einzigartige Einsichten auf den Menschen hinter dem Politiker Klaver hätte liefern können, wurde allerdings am Ende zum Todesstoß für das Projekt.

Im Moment ist die Frage danach, ob „Jesse“ irgendwann abseits des öffentlich-rechtlichen Spektrums zu sehen sein wird, beispielsweise im Kino oder auf You-Tube, noch offen. BNN-VARA besitzt nach wie vor die Rechte an „Jesse“. Die Chance, dass „Klaver Fans und Gegner“ das exklusive Material doch noch zu sehen bekommen ist allerdings nicht besonders groß, denn: „auch wenn wir den Film ins Internet stellen, würde das Diskussionen über unsere Unabhängigkeit nach sich ziehen“, so ein Sprecher der BNN-VARA.