Nachrichten August 2017


UMWELT: Windräder - eine Entscheidung zwischen grüner Energie und grüner Landschaft

Niederlande. Franziska Seufert/VK/NRC. 25. August 2017.

Windräder sind eine beliebte Quelle zur Gewinnung erneuerbarer Energie – natürlich besonders in windreichen Gegenden wie den Küstenprovinzen der Niederlande. Sie sind jedoch weniger beliebt, wenn es darum geht, einen geeigneten Standort für eines oder mehrere der Räder zu finden. Die Niederlande sind als Land der traditionellen Windmühle bekannt und auch Windräder findet man in Mengen, sodass man meinen könnte, sie seien akzeptierte Bestandteile der Umgebung. Ab 2020 sollen auf diese windige Weise 6.000 Megawatt an Energie gewonnen werden, um dem Bedarf von vier Millionen Haushalte nachzukommen. (Bereits im Juni 2013 berichtete NiederlandeNet über die Frage zur Ausweitung von Windenergie.) Jede der niederländischen Provinzen, ob an der Küste oder landeinwärts, windreich oder windarm, muss einen Beitrag zur Windenergiegewinnung leisten. Zur Zeit wurden und werden dafür zahlreiche neue Räder errichtet, aber das für 2020 gesetzte Ziel scheint nicht mehr erreicht werden zu können. Wie kommt es dazu?

Die niederländische Tageszeitung NRC Handelsblad berichtet, dass die Bauprojekte in allen Provinzen in Verzug geraten sind. Planungen und Besprechungen seien noch nicht abgeschlossen, Umweltverträglichkeitsprüfungen noch nicht vollzogen und Genehmigungen noch nicht eingeholt. Vom Bauen kann also noch nicht die Rede sein. Ende des Jahre 2016 hatte man rund  die Hälfte der geplanten Windräder gebaut, aber die Verantwortlichen sehen ihre Chancen schwinden, dass der Zeitplan eingehalten werden kann. Einer der Gründe dafür sei der Mangel an Unterstützung und Akzeptanz seitens der Bevölkerung und der lokalen Behörden.

Schon seit mehreren Jahren gibt es immer wieder Zeitungsberichte über protestierende Bürger und Gemeinden. Unmut und Widerstand sind in den vergangenen Jahren immer größer geworden. Während die meisten Menschen zwar prinzipiell nichts gegen Windenergie haben und nachhaltig handeln wollen, will doch niemand Windräder sehen und das schon gar nicht aus der Nähe. „Aus der Nähe“ kann in den Niederlanden  eine Entfernung von nur 350 Metern bedeuten. Dabei handelt es sich um eine Lärmschutzbestimmung. Dies ist die einzige Regelung, die bezüglich  einer festgelegten Distanz zu Wohngegenden beim Windradbau besteht. Die Höhe kann etwas variieren, liegt jedoch im Allgemeinen bei etwa  200 Metern. Anwohner beschweren sich bei der Gemeinde oder versuchen mit Hilfe der Gemeinden gegen den Bau der Windriesen vorzugehen.

Das NRC Handelsblad berichtet von einem Beispiel aus der Provinz Zuid-Holland: Im Sommer 2013 konnten die Anwohner der Orte Geervliet und Heenvliet Baugeräusche über den Deich hinweg hören und dachten sich Nichts weiter dabei, bis auf einmal acht Windräder errichtet wurden. Die Gemeinde Nissewaard, zu der die Orte gehören, wusste von nichts. Wie das sein kann? Die Windräder sind von der angrenzenden Gemeinde Rotterdam errichtet worden, genau auf der Grenze zu den Dörfern in Nissewaard. Die Bewohner können die Räder von überall aus sehen – aus dem historischen Ortskern, von der Hauptstraße oder vom Wohnzimmer aus. Und wenn man sie einmal nicht sehen könne, dann höre man das kontinuierliche Summen, beschweren sich die Anwohner der anderen Seite vom Deich. Sie fragen sich, warum die Windräder nicht im Meer oder auf der sogenannten Maasvlakte (dem Industrie- und Hafengebiet von Rotterdam) hätten stehen können.

Das Problem scheint wirklich die Platzfindung zu sein. Niemand möchte die Turbinen in der Nähe wissen und andere Faktoren schränken die Standortwahl weiter ein: Einige Gemeinden hatten mit ihrer Provinz ursprünglich einen ‚windakkord‘ abgeschlossen, aber zogen ihre Einstimmung zu den Windrädern auf Grund von Bürgerprotesten zurück. Andere Gemeinden reichten von Anfang an Anträge ein, nach denen „absolut keine Windturbinen (in die Gemeinde) kommen dürften“, sodass es für die Behörden im Nachhinein schwer ist etwas in Gang zu setzen. Eine weitere Strategie, um Anwohnerbeschwerden aus dem Weg zu gehen, ist, Standorte zu finden, die so wenig Widerstand hervorrufen wie möglich. Solche Orte sind dann häufig Gemeindegrenzen oder Deiche. Aber auch dort kann es Einwände von den entsprechenden Verantwortlichen geben. Windräder dürfen nicht die durch Deiche gegebene Sicherheit gefährden, zu nah an Straßen oder Rohrleitungen stehen oder den Luftraum und die Radarfelder der Verteidigung stören. Für Naturschutzgebiete gibt es gesonderte Auflagen.

Es gibt also nur bestimmte Stellen, an denen Räder an Land gebaut werden könnten und dort gibt es viel Widerstand. Jede Instanz, ob Bürgerinitiative oder Gemeinde, kann mit eigenen Standortvorschlägen kommen. Adri Bom, Provinzialausschuss-Abgeordnete des CDA sagt, dass, wenn von keiner Instanz Vorschläge kämen, der Staat selber Standorte wählen muss. Diese würden mit sehr viel Bedacht ausgewählt. Es ginge um Richtlinien, den Erhalt offener Landschaft und die Bevölkerungsdichte. Letztere sei gerade in der Provinz Zuid-Holland sehr hoch, was umgekehrt mit besonders hohem Energieverbrauch einhergeht. Der hohe Energieverbrauch fordert dringend neue Energiequellen. Bom vermutet, dass die Behörden die Dringlichkeit nicht deutlich genug gemacht hätten. Die Diskussion handele zu viel von Standorten und zu wenig von Notwendigkeit. Die Abgeordnete gibt zu, dass die Behörden die lokalen Instanzen nicht richtig mit einbezogen hat, um schneller handeln zu können – der beste Weg, um Widerstand zu garantieren.

Das ist genau der Punkt, den die Bürger und Gemeinden beanstanden – nicht informiert oder miteinbezogen zu werden. Es heißt, die Politik würde nicht zuhören, Provinzen kein ‚nein‘ akzeptieren und niemand würde Anwohner über den Bau von Windrädern informieren. Dafür ist der Fall in Geervliet und Heenvliet nur ein Beispiel, denn „Gemeinden bauen Windräder am Liebsten in den Hinterhof anderer Gemeinden“, so die Überschrift eines Artikels im NRC Handelsblad. Die Nachbarn werden dabei häufig nicht gewarnt. Der oben genannte Fall ist in den Niederlanden so bekannt, dass die Unterstützung in anderen Orten schwinde und man  daraufhin versucht, sich entsprechend vorzubereiten. Christel Mourik, im Provinzialausschuss für VVD, wurde als Sprecherin für die Insel Voorne-Putten eingesetzt. Sie verstehe, dass man es nie allen Recht machen könne und die Behörden denken könnten, dass sich eine Insel gut als Standort eigne. Gleichzeitig hieß es man müsse offene Grünflächen erhalten und das wäre das Ziel der Bewohner – die Insel so grün wie möglich zu halten. „Die Provinz machte deutlich, dass sie Wohl oder Übel an ihrem Vorhaben festhalte“, berichtet Mourik. Daraufhin hätte man eigene Standortvorschläge eingereicht und hofft, dass diese berücksichtigt würden.

Der Widerstand gegen die Windräder ist jedoch nicht nur Angelegenheit zwischen Bürgern und Politik, er betrifft auch den Windenergiesektor. Im Juli diesen Jahres reagierte der niederländische Windenergie Verband NWEA (Nederlandse Windenergie Associatie) mit folgendem Vorschlag auf den Gegenwind von der lokalen Bevölkerung: Anwohner sollen in ein frühes Planungsstadium von neuen Windprojekten an Land miteinbezogen werden, bei denen Bürger und Betriebe dann in 50 Prozent des Projektes investieren können. Betroffenen diese Möglichkeit zu bieten „hilft bei der Akzeptanz“, so ein Sprecher der NWEA. Es sei natürlich kein risikofreies Unterfangen, könne aber durchschnittlich 10 bis 12 Prozent Ertrag für die investierenden Anwohner bringen.

Ob letztendlich durch Mitspracherechte oder Gewinnanteile – Energiebranche und Politik versuchen dem wachsenden Widerstand gegen Windräder in den Niederlanden mit Kompromissen entgegenzuwirken.