Nachrichten August 2017
SICHERHEIT: Nach dem Terror in Spanien - Niederlande tun sich schwer mit zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen
Amsterdam. SB/VK/NRC. 23. August 2017.
Lieferwagen, die zickzack durch Menschenmengen fahren, um so viele Menschen wie möglich zu töten, sind im Europa unserer Tage leider keine Ausnahme mehr. Trotzdem bleiben die Bilder, die ein solches Attentat produziert, verstörend. So auch die vom vergangenen Donnerstag, als in Barcelona ein weißer Lieferwagen gegen 17.00 Uhr in der belebten Fußgängerzone von La Rambla in eine Traube von Menschen fuhr. 13 Menschen wurden getötet, 120 weitere teils schwer verletzt. Wie bereits nach vorangegangenen Attentaten werden in den Niederlanden und speziell in Amsterdam nun wieder Stimmen laut, die mehr Sicherheit an öffentlichen Plätzen fordern. In den Niederlanden tut man sich allerdings schwer mit solchen Maßnahmen. Warum eigentlich?
Nach Nizza, London und Berlin hat es nun Barcelona getroffen. Wieder einmal wurde ein Wagen im Namen Allahs und des sogenannten IS von religiösen Fanatikern in eine Menschenenge gelenkt. Wieder einmal starben dabei viele Unschuldige und wieder einmal kommt die Frage auf, was man gegen derartige Anschläge unternehmen kann. Auch in den Niederlanden wird die Frage nach der Terror-Prävention zurzeit als sehr dringlich erfahren, obwohl das kleine Land im Westen bislang von terroristischen Attentaten verschont blieb. Es gibt zwar Risikofaktoren, die einen Anschlag zumindest in der Theorie mehr oder weniger wahrscheinlich machen (lesen Sie hier mehr darüber), aber sicherlich ist es auch nicht falsch, zu sagen, dass die Niederlande bis jetzt einfach Glück hatten. So empfindet es auch ein Teil der Bevölkerung, der sich auf „Glück allein“ allerdings nicht verlassen will.
Vor allem in Amsterdam ist die Angst vor terroristischen Anschlägen weitverbreitet. Kein Wunder, wo hier an schönen Tagen die Einkaufsmeilen, Museen und öffentliche Plätze vor Menschen beinahe überlaufen zu scheinen. Nun haben sich Unternehmer und Ladenbesitzer, die in der Amsterdamer Kalverstraat, einer der belebtesten Shoppingmeilen in der Stadt, ansässig sind, an die Gemeinde gewendet. Sie fordern mehr Sicherheitsmaßnahmen, wie das Aufstellen von Betonsperren, um einen Vorfall wie in La Rambla unmöglich zu machen. Solche Maßnahmen allerdings lehnt die Gemeinde Amsterdam ab. Aber warum?
Dafür gibt es einerseits praktisch-pragmatische Gründe, die mehr oder weniger auf der Hand liegen. Jasper Karman, Sprecher der Gemeinde Amsterdam, sagt dazu beispielsweise: „Es ist unmöglich, derartige Maßnahmen für alle Stellen im und außerhalb des Stadtzentrums zu treffen, ohne dabei die Stadt völlig lahm zu legen.“ Die Frage, die die Gemeinde allerdings am meisten beschäftigt, lautet, wo man sinnvolle Betonsperren aufstellt und wo gerade nicht. Ein Fahrer, der beabsichtigt, möglichst viele Menschen in den Tod zu reißen, würde statt in die Kalverstraat vielleicht einfach in die Leidsestraat fahren, wo Bahnschienen verlaufen, die das Aufstellen von Straßensperren von vornherein unmöglich . Daneben gibt es unzählige weitere Straßen in Amsterdam, die belebt genug sind, um potentiell großen Schaden anzurichten. Terrorexperten, wie Ira Helsloot und Peter Knoope unterstützen die Stadt Amsterdam in ihrer Haltung. Hersloot meint: „Die öffentliche Verwaltung ist nicht da, um Märchen zu erzählen. Dann wird es zur puren Symbolik.“ Eine offene Gesellschaft, wie die niederländische, ließe sich schlicht und einfach nicht zu 100 Prozent sichern. Das müsse man einfach akzeptieren. Und auch ihr Kollege Knoope teilt diese Ansicht: „Es sollte informationsbasiert gearbeitet werden. Man sollte auf spezifische Anzeichen achten, aber sicherlich nicht alles kopflos abschotten, ohne, dass es einen konkreten Anlass dafür gibt.“ Das spiegelt ziemlich genau die Haltung der Gemeinde Amsterdam. Sprecher Karman sagt dazu: „Die Sorgen der Ladenbesitzer sind nachvollziehbar, aber solange es keine konkrete Drohung gibt, werden wir keine speziellen Maßnahmen ergreifen, außer denen, die bereits, sichtbar oder unsichtbar, ergriffen wurden.
Neben diesen Erwägungen, lohnt sich allerdings auch ein tieferer Blick in die niederländische Kultur, wenn man verstehen will, warum unsere Nachbarn sich mit derartigen Maßnahmen schwer tun. Traditionell nehmen sich die Niederländer selbst als offene und transparente Gesellschaft wahr. Das reicht von der individualebene, erinnert sei hier an die „Gardinenlosigkeit“ unserer Nachbarn bis hin zur öffentlichen Sphäre. Einige Jahrzehnte war die Tweede Kamer das politische Herz der Niederlande bewusst im Zeichen der Offenheit, Transparenz und Gastfreundschaft inszeniert worden. Die Bürger konnten ihre Repräsentanten sinnbildlich anfassen. Mittlerweile hat sich das gewandelt. Ohne Anmeldung und Kontrolle kommt heute keiner mehr in die heiligen Hallen. Für andere Bereiche gilt das allerdings noch nicht. Die „Eingriffsangst“ in den öffentlichen Raum ist noch immer spürbar. So berichtet beispielsweise die Firma Engelen im niederländischen Limburg, die ihr Geld mit der Produktion, Lieferung und Anbringung von Zäunen und Absperrvorrichtungen verdient, dass der Bedarf zwar gestiegen sei, dass die Hauptabnehmer aber in Belgien und Deutschland säßen. Im Vergleich zu ihren Nachbarländern sind die Niederlande in Sachen Sicherheit also noch ein Stück gelassener, wobei natürlich auch hier die Tatsache eine Rolle spielt, dass es sowohl in Belgien als auch in Deutschland bereits zu Anschlägen gekommen ist und Maßnahmen dementsprechend einfacher durchzusetzen sind.
Die niederländische Zurückhaltung bezieht sich übrigens im Wesentlichen auf permanente Maßnahmen. Bei Events und Großveranstaltungen ist es auch in den Niederlanden mittlerweile Usus Straßensperren einzurichten und andere präventive Maßnahmen zu ergreifen. Am 4. Mai an dem in den Niederlanden traditionell der Wrltkriegstoten gedacht wird, blockierten Lastwägen und Betonsperren die Straßen, ebso verhielt es sich am 15. Mai als der Rotterdamer Club Feyenoord Landesmeister im Fußball wurde und 1000 das in den Straßen der Stadt feierten. Als ein Beamter allerdings im vergangenen Winter Betonpfeiler für den Amsterdamer Weihnachtsmarkt orderte, wurde dieser zurückgepfiffen. Die Betonpfeiler wurden nach drei Stunden wieder abgebaut, da es der Gemeinde zufolge keine konkrete Drohung gegeben habe. Der Anschlag auf einen deutschen Weihnachtmarkt in Berlin hatte nicht ausgereicht, um eine solche Maßnahme zu rechtfertigen.
Die Meinung bei einem so kontroversen Thema, gehen sicherlich weit auseinander. Auffällig ist aber, dass die niederländische Zeitung de Volkskrant einen Leserbrief und einen Kommentar abdruckte, der die passive Haltung der Zuständigen in Sachen Sicherheit stark kritisiert: „es ist ein Zeichen von Unvermögen zur Organisation und ein Mangel an Mut um Verantwortung zu übernehmen.“ Auch die Zeitung NRC Handelsblad kann zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen etwas abgewinnen. Schließlich könnten diese sowohl funktional als auch optisch ansprechend sein (z.B große Pflanzenkübel) und das Stadtbild sogar verschönern. In der Tat könnte dies einer Negativsymbolik entgegenwirken. Trotzdem wird ein Restrisiko immer bleiben. Das ist nun mal der Preis einer offenen und freien Gesellschaft. Das sollte auch beim lautesten Ruf nach Sicherheit nie vergessen werden.