Nachrichten August 2017
RECHT: Dürfen Reisedaten von Studierenden an Dritte weitergegeben werden, um Sozialbetrug entgegenzuwirken?
Amersfoort. EF/VK/NRC/NOS. 22. August 2017.
In den vergangenen Jahren sind die Reiseinformationen von hunderten von Studenten mittels Translink, dem Unternehmen hinter der OV-Chipkaart, an das Bildungsministerium weitergegeben worden. Dies geschah auf Anfrage der niederländischen Aufsichtsbehörde des Bildungsministeriums Dienst Uitvoering Onderwijs (DUO), die untersucht hatte, ob Studierende durch eine falsche Angabe ihres Wohnortes Ausbildungsförderung erschleichen.
Durch die Weitergabe von Daten weicht das Unternehmen Translink, welches die Reisedaten von OV-Chipkaart-Benutzern speichert, von den politischen Bestimmungen ab, die besagen, dass personenbezogene Reisedaten von OV-Chipkaart-Benutzern nur dann an Dritte weitergegeben werden dürfen, wenn eine Erlaubnis von mindestens einem niederländischen Amtsanwalt oder sogar einem Richter vorliegt. Die Reisegesellschaft Maatschappij voor Beter OV ist der Ansicht, dass die Privatsphäre von OV-Benutzern nun viel zu sehr offen gelegt wurde und forderte heute von der niederländischen Datenschutzbehöre Autoriteit Persoonsgegevens diesbezüglich weitere Untersuchungen. Der Datenschutz rund um die OV-Chipkaart sei schließlich schon immer ein sehr sensibler Punkt gewesen und das, obwohl Translink nach der Einführung der OV-Karte im Jahr 2006 versprochen hatte, dass der Datenschutz der OV-Kunden oberste Priorität habe. „Die Privatsphäre von OV-Benutzern ist bei Translink und demnach bei allen Transportunternehmen in den Niederlanden nicht in guten Händen“, sagte der Vorsitzende der Reisegesellschaft Rikus Spithorst. Er frage sich, ob vielleicht bereits die Daten von tausenden von Menschen ohne die Erlaubnis eines Amtsrichters an Dritte weitergegeben wurden.
Translink gestand diesbezüglich, dass die Behörde DUO bereits seit einiger Zeit rund fünf bis zehn Auskünfte pro Woche eingefordert habe, um an Reisedaten von Studenten zu gelangen. Diesen wiederholten Versuchen wurde letztlich nachgegeben – bis schließlich ein Student, den man des Betrugs bezichtigte, in Den Haag vor Gericht trat. Ihm wurde von DUO vorgeworfen, sich eine höhere Ausbildungsförderung erschlichen zu haben, indem er fälschlicherweise angab, nicht mehr bei seinen Eltern zu wohnen. Durch die Analyse der Reisedaten konnte die Behörde allerdings nachweisen, dass er falsche Angaben bezüglich seines Wohnorts machte und noch immer bei seinen Eltern wohnt. Das Gericht urteilte in diesem Fall im Mai, dass die Behörde DUO gegen die Datenschutzbestimmungen verstoßen habe. Der Student brauchte aus diesem Grund auch keine Ausbildungsbeihilfe zurück zu bezahlen und bekam auch keine Geldstrafe auferlegt.
Die Behörde hat nun Berufung gegen das Urteil des Gerichts in Den Haag am obersten Gerichtshof in den Niederlanden, den Centrale Raad van Beroep, eingelegt. Laut der Behörde des Bildungsministeriums gebe es für das Abrufen von Reisedaten durchaus eine rechtliche Grundlage, nämlich im Algemene wet bestuursrecht (im Allgemeinen Verwaltungsgesetz), welches das Verhältnis zwischen dem Staat und den individuellen Bürgern regelt. Außerdem stelle die Behörde, so DUO, ihre Anfragen nicht aus reiner Willkür. Die Studierenden, deren Daten von DUO gefordert würden, fielen alle unter ein bestimmtes Risikoprofil und würden auch nur im Falle eines konkreten Verdachts genauer unter die Lupe genommen. Insgesamt wurden in dem Zeitraum von August 2015 bis Mai 2017 Reisedaten von insgesamt 377 Studierenden eingesehen. Duo sei es laut eigenen Angaben sehr wichtig, die betrügerischen Studenten aufzuspüren, da viele öffentliche Gelder auf dem Spiel stünden. Aus anderen, vorherigen Untersuchungen aus dem Jahr 2013 gehe schließlich hervor, dass von 7.000 kontrollierten Studierenden 3.300 Studierende falsche Angaben zugunsten der Höhe ihrer Ausbildungsförderung gemacht hatten.
Auch die Firmenanwälte von Translink seien laut dem Pressesprecher des Unternehmens der Meinung, dass das allgemeinen Verwaltungsgesetz DUO eine Rechtsgrundlage biete und die Bildungsinstanz das Recht habe, Informationen über OV-Benutzer anzufordern. Translink sei sogar dazu verpflichtet gewesen, die Reisedaten an DUO weiterzugeben, da es sich bei dieser Behörde um eine Aufsichtsbehörde handele. Er betonte dennoch, dass der Datenschutz der OV-Kunden für Translink ein sehr wichtiges Anliegen sei. Aus diesem Grund habe Translink seit Ende des vorherigen Monats die Datenschutzbestimmungen auf der Startseite ihrer Website noch einmal genau erläutert.
Aufgrund des vorläufigen Gerichtsurteils aus Den Haag und der eingelegten Berufung seitens DUO verzichtet die Aufsichtsbehörde zurzeit auf diese Kontrollmethode, mit der sie Studenten, die Sozialbetrug begehen, auf die Schliche zu kommen möchte. Dennoch bleibt DUO weiterhin der Meinung, dass dies ein geeigneter Weg sei, um dem Missbrauch von Ausbildungsförderung von außer Haus wohnenden Studierenden entgegenzuwirken. Da vor zwei Jahren allerdings eine Regelung eingeführt wurde, die bezüglich der Höhe der Ausbildungsförderung nicht mehr zwischen zuhause und auswärts wohnender Studierender unterscheidet, kann diese Methode zur Überführung nur bei den Studierenden angewendet werden, deren Studienbeginn bereits mehr als zwei Jahre zurückliegt.
Neben den Vorwürfen des unrechtmäßigen Umgangs mit personenbezogenen Daten wird die gesamte Aktion vor allem von der bereits erwähnten Reisegesellschaft Maatschappij voor Beter OV als unverhältnismäßig beschrieben. Ein Pressesprecher dieser Gesellschaft meldete sich im Rahmen des niederländischen Nachrichtenmagazins NOS Radio 1 Journaal folgendermaßen zu Wort: „Diese Methode ist unverhältnismäßig. Dass man Reisedaten ausfindig macht, um einen Mörder oder einen großräumigen Betrüger zu fassen, das kann ich noch verstehen.“ Für die Enttarnung von Studierenden sei das Verfahren ihm zufolge aber völlig überzogen. Ob diese Kontrollmethode dennoch eine Chance hat, wird sich zeigen. Schließlich ist der Prozess durch das Einlegen der Berufung noch nicht abgeschlossen.