Nachrichten August 2017
WIRTSCHAFT: Steigende Zahlen im Tourismussektor - zwischen wirtschaftlichem Erfolg und Massentourismus
Amsterdam. Franziska Seufert/VK/NRC. 21. August 2017.
Der Tourismus in den Niederlanden wächst und gewinnt an Bedeutung für die Wirtschaft des Landes, so die niederländischen Tageszeitungen NRC Handelsblad und De Volkskrant heute. Sowohl Einnahmen, als auch die Anzahl von Arbeitsplätzen sind in den letzten Jahren deutlich gewachsen. So sind beispielsweise die Einnahmen durch die Tourismusbranche seit 2010 um etwa ein Viertel angestiegen. Dies geht aus einer Studie des Centraal Bureau voor de Statistiek (CBS – Zentrales Amt für Statistik in den Niederlanden) hervor, die das niederländische Ministerium für Wirtschaft in Auftrag gegeben hat.
Laut der Studie bringt der Tourismus dem Staat nun jährlich 75,7 Milliarden Euro ein. Das liegt unter anderem an den höheren Touristenzahlen und an der steigenden Kaufkraft dieser Besucher, die sowohl aus dem In- als auch dem Ausland in die Niederlande kommen. Im Jahr 2016 gaben die Touristen aus dem Ausland 21 Milliarden Euro in den Niederlanden aus. Das sind 7 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Niederländer selber ließen sich ihre inländischen Urlaube, Ausflüge und andere Freizeitaktivitäten im letzten Jahr 45 Milliarden Euro kosten. Das ist ein Anstieg von rund 3 Prozent gegenüber dem Wert aus dem Jahr 2015. In dieser Zeit gab es außerdem 13.000 neue Arbeitsplätze, sodass deren Anzahl um 2,1 Prozent auf 641.000 Stellen anwuchs. Dahingegen lag der durchschnittliche Anstieg von Stellenanzahlen auf dem niederländischen Arbeitsmarkt nur bei 1 Prozent. Der Anteil des Tourismussektor am gesamten Arbeitsmarkt nahm damit weiter zu auf 6,4 Prozent.
In der Tourismusbranche handelt es sich dabei allerdings oft um Teilzeitjobs. Dies macht auch den niederländischen Arbeitsmarkt im Tourismus aus. Etwa dreiviertel der Arbeitsplätze bestehen dabei in den typischen Touristengewerben wie Hotels, Gaststättenbetrieben, Reisebüros, Fluggesellschaften und Kunst- und Kulturstätten. Das übrige Viertel besteht aus Beschäftigungen im Bereich des öffentlichen Verkehrs, der Taxibranche und dem Einzelhandel. Etwa die Hälfte aller Stellen befindet sich dabei in der Gastronomie-Sparte, in welcher über die letzten sechs Jahre 20 Prozent mehr Stellen geschaffen werden konnten. Besonders ist, dass es weniger Arbeitnehmer als Arbeitsstellen gibt, und viele Menschen in der Tourismusbranche zwei oder mehr Stellen haben.
Die Zahlen der Studie zeigen auf, dass der Tourismussektor in den vergangenen Jahren viel stärker gewachsen ist als die Wirtschaft an sich. Der Mehrwert des Tourismus (sprich der Ertrag abzüglich der Kosten in der Branche) am niederländischen Brutto-Inlandsprodukt (BIP) beträgt wohlgemerkt 43 Prozent seit 2010 und liegt damit bei 24,8 Milliarden Euro. Im internationalen Vergleich gelten die Niederlande trotzdem nicht als ‚Touristenland‘. In manchen Ländern (unter anderen den Malediven, Seychellen oder Bahamas) macht das Einkommen durch den Tourismus mehr als die Hälfte des BIP aus. Das europäische Land mit dem größten Anteil von Tourismus am BIP ist Kroatien. In Ländern wie Spanien, Frankreich oder Italien macht es auch einen verhältnismäßig größeren Anteil aus als in den Niederlanden.
Trotzdem verzeichnen die Niederlande für sich ein schnelles Wachstum in der genannten Branche. Besonders die großen Städte wie zum Beispiel Amsterdam sind davon betroffen. Diese wachsende Anzahl an Touristen wird als Massentourismus bezeichnet und kann als Belastung empfunden werden. Selbst wenn es sich um größere Städte handelt sind diese häufig nicht auf den heutigen Massentourismus ausgelegt. Amsterdam und zum Beispiel Venedig haben das Problem, dass sie eine relativ kleine Alt- und/oder Innenstadt haben, die vor Jahrhunderten für vielleicht zehntausend Einwohner gebaut wurde, nicht aber für Millionen von Touristen. Auch wenn Städte wie London, Paris oder Istanbul ein höheres Touristenaufkommen zu verzeichnen haben, verteilen sie sich auf der größeren Stadtfläche deutlich mehr als in Amsterdam.
Schon vor knapp drei Wochen erschien in De Volkskrant ein Artikel über den Massentourismus mit Bezug auf Amsterdam. Es wurde die Frage gestellt, ob man „den Touristentsunami“ stoppen oder irgendetwas gegen die Belästigung unternehmen könne. Es hieß jedoch weiter, dass ohne aktive Gegenmaßnahmen keine Veränderung der Lage in Sicht sei. Im Gegenteil, alle heutigen Entwicklungen trieben den Tourismus weltweit voran: Die Kaufkraft von aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie den asiatischen Ländern führe dazu, dass sich immer mehr Menschen das Reisen leisten können. Billigflug-Angebote haben den gleichen Effekt. Letzteres führt, gemeinsam mit dem Trend zu Kurzurlauben, dazu, dass der städtische Tourismus angetrieben wird.
Zahlreiche Menschen kämen für ein Wochenende oder vier bis fünf Übernachtungen in Städte wie Amsterdam, die sich gut für derartige Ausflüge eignen, sagt Albert Postma, Lektor für Freizeitgestaltung und Tourismus an der Hochschule Stenden. Dazu trüge auch die Urbanisierung bei: „Immer mehr Menschen sind an städtisches Leben gewohnt. Dieses wollen sie auch im Urlaub erleben,“ erklärt Postma weiter. Von 2007 bis 2015 wuchs die Zahl aller Städtereisen um 82 Prozent und liegt nun bei 22 Prozent aller Urlaube überhaupt.
Anwohner stören sich an der Menschenmasse, aber vor allem auch an bestimmten Nebeneffekten, die der Massentourismus mit sich bringt. So steigen die Mietpreise so stark, dass die ursprünglichen Bewohner es sich kaum noch leisten können in der Innenstadt zu wohnen. Auch Gebäude außerhalb des Stadtkerns müssten Hotels und Hostels weichen. Diese und andere Aspekte (wie z.B. Airbnb – NiederlandeNet berichtete im Dezember 2016) wirkten sich auf die Lebensbedingungen der Anwohner aus und erzeugten Wut gegenüber dem Tourismus. Jan van der Borg, Dozent für Geographie und Tourismus in Leuven glaubt, dass Proteste aber hauptsächlich mit den Einschränkungen der Lebensbedingungen zusammenhingen und sich nicht gegen die Touristen an sich richten: „Die wütenden Einwohner fahren selber drei oder vier Mal im Jahr in den Urlaub“, beteuert er.