Nachrichten August 2017


POLITIK: Nach der Abschiebung einer armenischen Mutter ohne ihre Kinder fordern viele Politiker eine Anpassung der Kinderpardon-Regelung

Amersfoort. EF/VK/NRC/Trouw. 15. August 2017.

Die Abschiebung einer armenischen Mutter aus den Niederlanden hat am Montag für politische Turbulenzen gesorgt. Die Frau wurde durch ihre Abschiebung von ihren zwei minderjährigen Kindern Howick (12) und Lili (11) getrennt. Zwar hat das Gericht die Abschiebung und damit die Trennung einer Mutter von ihren minderjährigen Kindern befürwortet, ob diese Entscheidung jedoch politisch vertretbar ist, wird sich im Laufe der nächsten Tage zeigen. Die Kinder wohnen bereits seit neun Jahren in den Niederlanden und verbleiben zurzeit an einer unbekannten Adresse. Innerhalb der aktuellen Koalitionsverhandlungen wird diese Abschiebung allerdings nun zu einem heiklen Thema und steht in einer Reihe mit Themen wie Bildung, Gesundheitsfürsorge, Einkommensverteilung und Integration.  

Am vergangenen Dienstag begann das Spektakel rund um die Armenierin Armina Hambartsjumian, als sie verhaftet und in ein Abschiebungszentrum nach Zeist gebracht wurde. Zuvor wohnte sie mit ihren Kindern, die zur Zeit ihrer Verhaftung nicht zu Hause waren, in einer Unterkunft für Asylsuchende in Amersfoort. Den Aufenthaltsort ihrer Kinder wollte die Frau nicht nennen. Aus diesem Grund wurde sie am Montag um 8.00 Uhr ohne Kinder in ein Flugzeug in Richtung der armenischen Hauptstadt Jerewan gesetzt. Der Fraktionsvorsitzende der D66 Alexander Pechtold und Gert-Jan Segers, Parteichef der ChristenUnie, können sich laut ihrer Aussage vom Montag sehr wohl vorstellen, dass sich nun viele Menschen Sorgen machen. Die beiden Politiker plädieren schon sehr lange dafür, dass das sogenannte Kinderpardon – eine Regelung, die Kindern von Asylsuchenden, die bereits mehr als fünf Jahre in den Niederlanden wohnen, einen Verbleib in den Niederlanden erlaubt, gelockert werden solle. Familien wie die von Howick und Lili sollen damit eher eine Chance erhalten, in den Niederlanden bleiben zu können. Die VVD und der CDA, zwei Parteien, die zurzeit mit der D66 und der ChristenUnie über eine mögliche Koalition verhandeln, können einer Lockerung des Kinderpardons jedoch nichts abgewinnen. Dennoch hielten sich Pechtold und Segers eher bedeckt über die Diskussion innerhalb der Verhandlungen.

Der Druck auf die Politiker wächst. Viele fordern von ihnen, einen deutlichen Standpunkt bezüglich der armenischen Familie einzunehmen. Hunderte Menschen, darunter  auch viele Klassenkameraden von Howick und Lili, demonstrierten in den letzten Tagen unter anderem am Gebäude der Tweede Kamer gegen die Abschiebung der beiden Kinder. Viele hoffen, durch diese Demonstrationen großen gesellschaftlichen Druck auf die Regierung auszuüben und dadurch eine Abschiebung junger Menschen zu verhindern. Vorherige emotionsgeladene Abschiebungsversuche wie bei dem angolanischen Jungen Mauro konnten durch eben diesen Druck aufgehalten werden. Die SP und GroenLinks hingegen setzen sich in aller Öffentlichkeit für die armenische Familie ein. Jasper van Dijk, ein Mitglied der SP-Fraktion der Tweede Kamer, gibt zwar zu, dass es bedauerlich sei, dass die Mutter den Aufenthaltsort der Kinder verschwiegen habe, ihre Abschiebung und damit die Trennung dieser Familie aber dennoch verhindert hätte werden müssen.

Laut niederländischer Justiz entsprechen die beiden Kinder Howick und Lili nicht den nötigen Anforderungen, um das Kinderpardon-Gesetz in Anspruch nehmen zu können, da die armenische Familie in der Vergangenheit nicht aktiv an einer Rückkehr nach Armenien mitgearbeitet habe. Die Regelung des Kinderpardons trete außerdem nur dann in Kraft, wenn man sich der Aufsicht des Staates entzieht. Auch diesem Kriterium habe die armenische Mutter nicht entsprochen. Der Staatssekretär für Sicherheit und Justiz Klaas Dijkhoff (VVD) sagt dazu: „Die entsprechende armenische Frau hat mehrere Verfahren veranlasst, um in den Niederlanden bleiben zu können. All diese Anfragen wurden abgewiesen. In diesem Zusammenhang hat man ihr gesagt, dass ihr Aufenthalt in den Niederlanden illegal ist und bat sie, die Niederlande zu verlassen. Diese Entscheidung wurde zum ersten Mal im Jahre 2009 gefällt.“ Weiterhin habe sie die Entscheidung getroffen, die Niederlande ohne ihre Kinder zu verlassen. „Wir sind bereit, dafür zu sorgen, dass sie so schnell wie möglich in Armenien wieder vereint werden“, so Dijkhoff.

GroenLinks zufolge sei diese gerichtliche Entscheidung bezüglich des Verbleibs der Kinder nicht ausreichend durchdacht. Howick und Lili seien noch nie in Armenien gewesen. Sie wurden in Russland geboren und kamen vor neun Jahren in die Niederlande, wo sie seitdem leben. „Diese Kinder sind jetzt in den Niederlanden verwurzelt. Und doch müssen sie nun in ein Land zurück, dass sie nicht kennen“; sagt das GroenLinks- und Tweede Kamer-Mitglied Kathalijne Buitenweg. Die Partei reichte zusammen mit der PvdA am Ende des Jahres 2016 eine initiative Gesetzesvorlage ein, die die Interessen der Kinder bei einer Asylanfrage in den Vordergrund zu stellen. Trotz aller Bemühungen, den Kindern von Asylsuchenden gerecht zu werden, steht für GroenLinks eines fest: Die Diskussion rund um Howick und Lili beweise, dass es sich bei dem Kinderpardon in der Praxis nur um einen „toten Buchstaben“ handelt, so Buitenweg. Sie hofft, dass die aktuellen Koalitionsverhandlungen dazu beitragen, das Gesetz rund um das Kinderpardon anzupassen.

Neben der Organisation Defence for Children, die sich für den Verbleib der beiden Minderjährigen in den Niederlanden einsetzt, unterstützt auch die Kinderbeauftragte Margrite Kalverboer die armenische Familie. Sie ließ am Montagmittag verlauten, dass das Kinderpardon-Gesetz umgestaltet werden müsse, um auch diesen Kindern eine ehrliche Chance zu geben. Kalverboer, die von der Abschiebung alles andere als überzeugt ist, untersucht zurzeit, welche Schritte sie unternehmen könne, um dieser Familie zu helfen. „Ein halbwegs kultiviertes Land tut so etwas nicht“, sagt sie im Zusammenhang mit der Abschiebung. Sie plädiert dafür, dass nicht der Staat, sondern die Gemeinde, beispielsweise über die Schulen, die Kinder und Familien beaufsichtigen solle und bei jeder geplanten Abschiebung das Kindeswohl berücksichtigt werden müsse.