Nachrichten August 2017


SPORT: Frauen schießen Holland in den Fußballhimmel - Nutzt den Hype jetzt

Utrecht. SB/NRC/TROUW/VK. 08. August 2017.

Europameister im eigenen Land – ein Traum, der sich am Sonntag für das niederländische Frauen-Fußballnationalteam bewahrheitet hat. In der Grolsch Veste in Enschede schlugen die niederländischen Löwinnen die Däninnen am Ende eines packenden Spiels mit einem souveränen 4:2. Endlich gab es einmal wieder etwas für „Fußball-Holland“ zu feiern, die Euphorie war groß, die Farbe der Wahl - Oranje. Mahnende Stimmen warnen allerdings davor, sich auf diesem furiosen Triumpf auszuruhen: Nutzt den Hype der Stunde, sonst wird der Frauenfußball sehr rasch wieder in die Bedeutungslosigkeit absinken.

Es war Fußballkunst auf höchstem Niveau; ein packendes und ansprechendes Spiel, welches die Niederländerinnen am Sonntag in Enschede ablieferten. Dabei waren die Niederländerinnen im traditionellen orangenen Trikot bereits nach der 6. Minute durch einen von Nadia Nadim verwandelten Strafstoß in Rückstand geraten. Es war das erste Mal, dass die Nationalspielerinnen der Niederlande während dieses Turniers zurücklagen. Mit dieser neuen Situation ging die Mannschaft von Nationaltrainern Sarina Wiegman allerdings überaus ruhig um. Bereits vier Minuten später gelang Vivianne Miedema der Ausgleich. Einen großen Anteil an diesem Treffer hatte die Flügelflitzerin Shanice van de Sanden, die bereits das ganze Tournier über, mit ihren Sprints und passgenauen Vorlagen, Werbung für sich gemacht hatte. In der 27. Minute durfte Oranje erneut jubeln, nachdem Shootingstar Lieke Martens ihr Team mit einem Distanzschuss in Führung brachte. Das Spiel ging rasant weiter. Fünf Minuten später stand es bereits 2:2, durch einen Treffer der Dänischen Kapitänin Pernille Harder. Kurz nach der Halbzeit gingen die Löwinnen durch einen kaltschnäuzig verwandelten Freistoß von Sherida Spitse erneut in Führung. In der 88. Minute war es schließlich erneut Vivianne Miedema, die den Niederländerinnen den Sieg sicherte.

Europameister! Seit Sonntag dürfen die niederländischen Nationalspielerinnen sich zum aller ersten Mal so nennen. Bis dahin waren die Fußballerinnen nie weiter als bis zum Halbfinale gekommen. Die letzten sechs Europameisterschaften hatte Deutschland gewonnen, das dieses Mal im Viertelfinale gegen Dänemark überraschend ausschied. Zum ersten Mal Europameister sein und das dann auch noch im eigenen Land. Eine Kombination, die den Fernsehanstalten Quotenrekorde am laufenden Band bescherte. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Niederlande, NOS (Nederlandse Omroep Stichting) veröffentlichte Zahlen, nach denen 80 Prozent der Menschen, die am Sonntag den Fernseher an hatten, das Finale gesehen haben. Die Stiftung Kijkonderzoek zählte 4,1 Millionen Zuschauer beim Finale Niederlande – Dänemark. Damit erreichte das Finale der Europameisterschaft der Frauen beinahe die Zuschauerzahl des Trostfinales der Männer bei der Weltmeisterschaft 2014. Das Abschlussspiel, das den Männern den Titel des Vizeweltmeisters bescherte, hatten damals 6,4 Millionen Menschen an ihren Bildschirmen verfolgt. Insgesamt haben 10,2 Millionen Niederländer (von rund 17,2 Millionen Einwohnern) angegeben „etwas“ von den Spielen der Oranje-Frauen mitbekommen zu haben.

Der Frauenfußball ist innerhalb des zurückliegenden dreiwöchigen Fußballfestes in den Niederlanden ungekannt populär geworden. Das hat sich auch gestern gezeigt, als die Fußballerinnen In Utrecht frenetisch gefeiert wurden. Erst fuhren die siegreichen Spielerinnen mit dem Boot durch die Utrechter Grachten, die von tausenden Menschen in „Oranje“ gesäumt waren. Anschließend ging es zur Siegesfeier in den Lepelenburg Park, ebenfalls in Utrecht. Der Park platze aus allen Nähten. 12.000 Menschen passen dort hinein, aber es waren mehr gekommen als 12.000. Viele gingen also wieder nach Hause, um sich die Feier im Fernsehen anzugucken, andere blieben und verfolgten das Spektakel auf großen Leinwänden außerhalb des Parks. Die Gemeinde Utrecht sprach am späten Montagabend von 22.000 Menschen, die die Stadt orange gefärbt hätten. Dass es so kommen würde hatten im Vorfeld die wenigsten gegalubt. Selbst Mittelfeldspielerin Danielle van de Donk hatte gedacht, dass „kein Mensch kommt“, wie ihre Mutter scherzend erzählt und sie fügt an: „Wir wussten schon lange, dass sie Fußball spielen können – jetzt weiß es auch der Rest des Landes.“

Die einen freuen sich über den vollen Park, die anderen kritisieren die Entscheidung des niederländischen Fußballbunds KNVB. Warum schließlich haben die Frauen nicht, genauso wie die Männer eine Rundfahrt durch die Amsterdamer Grachten bekommen, fragt sich so mancher? Die Bilder von 1988 sind schließlich ins kollektive Gedächtnis der Niederlande eingegangen. Daan Schippers vom KNVB sagt dazu, dass man Amsterdam für eine Siegesfeier keinen Moment lang erwogen habe. Niemand habe ahnen können, dass es die Kickerinnen dermaßen erfolgreich sein würden und dass sie im Laufe des Turniers so populär werden würden. Und wahrlich: die Spielerinnen der Nationalelf sind mittlerweile zu landesweiten Berühmtheiten geworden, aber war der Erfolg der Frauen wirklich so unwahrscheinlich? Nein, sagt Vera Pauw, Ex-Bundestrainerin. Sie meint: „Die Wahl für diesen Ort symbolisiert wieder einmal wie der Frauenfußball wahrgenommen wird. Es wird nicht gesehen, wie groß der Sport schon ist.“ Außerdem hätten die Verantwortlichen nicht damit gerechnet, dass die Niederländerinnen den Titel gewinnen könnten, obwohl es genug Anzeichen dafür gegeben habe, dass es die Mannschaft höchstwahrscheinlich sehr gut machen werde. Schippers hingegen glaubt, dass man zumindest in diesem Moment „Äpfel nicht mit Birnen vergleichen sollte.“ Wie man es auch drehe und wende, Männerfußball sei noch stets viel beliebter: „Frauenfußball ist ein anderer Sport. Die Löwinnen bekommen also auch ein anderes Fest.“ Lieber ein übervoller Lepelenburg Park als halbausgestorbene Grachten in Amsterdam, so etwa könnte man wohl die Logik der KNVB Verantwortlichen zusammenfassen.

Die Tournier-Siegerinnen dürfte all das am Montag nicht gestört haben, sie genossen den Hype den sie mit ihrer Leistung in den Niederlanden entfacht hatten. Bei aller Feierlaune hörte man aber auch immer wieder mahnende Stimmen durch die Jubelrufe hindurch. Jan van Halst, Direktor des FC Twente, das als erstes Team im Jahr 2007 einen professionellen Frauenbereich gegründet hatte, sagte beispielsweise: „In der Polonaise mitlaufen ist schön. Alles wieder aufräumen und dafür sorgen, dass eine zweite Polonaise kommt, ist allerdings etwas anderes.“ Er plädiert dafür, dass noch weitere „Frauenfußballbollwerke“, wie in Enschede (FC Twente) errichtet werden. Auch Daphne Koster denkt, dass der KNVB nun die Initiative ergreifen müsse, um den Enthusiasmus und die derzeitige Bereitschaft in diesem Feld etwas zu erreichen in gute Bahnen zu lenken. Es ist in der Tat ein kleines Zeitfenster, welches der Frauenfußball für sich nutzen muss. Wie Minke Booij, Managerin des Frauenfußballs des KNVB feststellt, sei es in den Niederlanden mit nahezu jedem Sport so, dass er für kurze Zeit große Popularität erlangen könne, wenn es Erfolge zu feiern gäbe, aber dann schnell wieder in der Versenkung lande, allein und ausschließlich beim Männerfußball sei das anders. Die Verantwortlichen sollten also schnell reagieren und die Gunst der Stunde nutzen, um den Frauenfußball mit dem Titel im Rücken voranzubringen.