Nachrichten August 2017
CYBERKRIMINALITÄT: Niederländische Polizei infiltrierte Online-Schwarzmarkt im Darknet
Den Haag. SB/NRC/VK. 03. August 2017.
Unterwelt 2.0 - Im Darknet, einem verschlüsselten Teil des Internets, wird täglich mit Drogen, Waffen und Daten in Millionenhöhe gehandelt. Einer dieser illegalen Marktplätze war, wie letzte Woche bekannt wurde, von der niederländischen Polizei infiltriert worden. Weil die digitale Infrastruktur der Niederlande zur besten weltweit zählt, laufen viele illegale Geschäfte über niederländische Server. Cyberkriminalität ist ein dynamisches und somit rechtlich schwieriges Feld - Wie gehen die Niederlande mit dem Problem um? Und woran fehlt es noch?
Vor eineinhalb Wochen leuchtete auf den Bildschirmen der Besucher des schwarzen Online- Markplatzes Hansa plötzlich ein sinkendes Schiff auf. Darunter war zu lesen: „Diese verdeckte Seite wurde übernommen und wird seit dem 20. Juni kontrolliert“ – Absender war die niederländische Polizei. Einen Monat lang hatte die Polizei die Seite im Darknet unter ihrer Kontrolle, nachdem die zwei mutmaßlichen Betreiber der Seite in Deutschland festgenommen worden waren. Die Übernahme war so lautlos vonstattengegangen, dass die Kunden der illegalen Seite keine Chance hatten, etwas davon mitzukriegen.
Wochenlang hatte die Justiz dadurch Gelegenheit, die Aktivitäten der Vertreiber von Waffen und Drogen zu überwachen. Es ist das erste Mal, dass die Polizei einen solchen Markt im Geheimen übernahm. Vier Drogendealer waren am Tag der Übernahmeoffenlegung direkt verhaftet worden. Weitere 500 Käufer stehen nach Aussage der Polizei unter Beobachtung. Die Polizei geht davon aus, dass noch weitere Verhaftungen folgen. Auf die Spur kamen die Behörden den Betreibern der Seite durch einen Tipp von einer Cybersicherheitsfirma. Anschließend war es Spezialisten gelungen, die Kommunikation zu entschlüsseln, so konnte die Polizei Adressen und Konversationen zwischen Käufern und Verkäufern mitlesen, so Martijn Egberts, Kopf der Cyber-Abteilung des Openbaar Ministerie. Beteiligt an der Aktion war allerdings nicht nur die niederländische Polizei, auch das FBI, Europol und der Amerikanische Drogenbekämpfungsdienst DEA hatten hieran mitgewirkt.
Der illegale Marktplatz mit Namen Hansa war sprunghaft gewachsen, nachdem die Vorgängerseite Alphabay am 4. Juli durch eine internationale Polizeiaktion offline gesetzt wurde. Alphabay war seit dem Ende von Silk Road 2013 der größte illegale Marktplatz im Darknet gewesen. Zwischen 600.000 und 800.000 Dollar wurden dort täglich gehandelt. In einer gemeinsam koordinierten Aktion von kanadischen, amerikanischen und thailändischen Behörden konnte der mutmaßliche Betreiber der Seite in Thailand festgenommen werden. Der 26-jährige Alexandre Cazes wurde einige Tage nach seiner Verhaftung tot in seiner Zelle aufgefunden. Er hatte sich erhängt. Vier Lamborghinis, drei Wohnungen und rund 10 Millionen Euro wurden konfisziert, so berichtete die lokale thailändische Zeitung The Bangkok Post. Nachdem Alphabay offline gegangen war, verlagerten die Anbieter ihre Dienste auf Hansa. Die Seite stand wegen der enormen Anzahl an „Alphabay-Flüchtlingen“ mehrere Male fast vor dem Kollaps. Immer wieder kam es zu technischen Problemen. Hansa galt zu der Zeit für Anbieter und Käufer von illegalen Produkten noch als vertrauenswürdigste Seite im Darknet. Dass die Seite bereits infiltriert war, ahnte keiner der User. Aber auch andere, kleinere Player im Geschäft witterten nun ihre Chance. So warb die Seite RS Club Market, nachdem Alphabay offline gegangen war, mit Rabattaktionen, wobei Mitglieder dazu animiert wurden, neue Mitglieder anzuwerben, so der Sicherheitsdienst Digital Shadow.
Die Niederlande sind wegen ihrer herausragenden digitalen Infrastruktur, die zur besten weltweit zählt, ein Knotenpunkt in der Unterwelt 2.0. Wilbert Paulissen, Chef der Landelijke Recherche des Teams Hightech Crime, sagt dazu: „Das bedeutet, dass wir viele Anfragen für Rechtshilfe von Ländern bekommen, die sehen, dass da etwas auf niederländischen Servern stattfindet. Das ist einer der Gründe, warum wir viel in unser Cyberteam investiert haben.“ Dieses Team wurde 2007 gegründet. Damals bestand das Team High Tech Crime aus gerade einmal 30 Mitarbeitern. Jetzt seien es schon 120, so Paulissen. Das Team besteht einerseits aus Polizeibeamten mit einer Affinität für Technik und zum anderen aus IT-Experten. Aber Cybersicherheit ist ein dynamisches Feld, dem ständigen Wandel unterworfen und rechtlich schwer zu fassen. Heute erst titelte die niederländische Zeitung de Volkskrant, dass es zu wenig Richter gäbe, die sich mit Cyberkriminalität auskennen. Viele Richter wüssten nicht einmal, was eine IP-Adresse ist. Da immer mehr Delikte online, oder mit technischen Mitteln begangenen werden, könnte das schon sehr bald ein großes Problem werden. Der Koordinator des Kenniscentrum Cybercrime in Den Haag, Christiaan Baardman, forderte deswegen eine gesonderte Rechtsabteilung für Cybercrimedelikte in der niederländischen Judikative.
Auch das Vorgehen der Polizei mit Bezug auf Hansa ist alles andere als unumstritten. Darf die Polizei einen Monat lang eine Seite auf der im Minutentakt illegale Transaktionen stattfinden leiten? „Wir haben lange intern darüber gesprochen, ob das zu verantworten ist“, sagte Martijn Egbert. Sorgen müssen er und seine Abteilung sich vermutlich nicht machen, denn auch das Openbaar Ministerie und das college van procureurs-genaeraal, eine spezielle Prüfungskommission für polizeiliche Infiltrationen, hatte der Aktion im Vorfeld zugestimmt. Und das, obwohl die Polizei sich zumindest zweier Straftaten schuldig gemacht hat: Dem weißwaschen von Geld und dem illegalen Transport von Drogen. Außerdem berührt das Vorgehen der Polizei noch einen anderen Grenzbereich, nämlich das Verbot zur Anstiftung strafbarer Handlungen. Dass ein Beamter sich an die Straße stellt, Rauschgift anpreist, verkauft und den Käufer anschließend festminnt, ist schließlich auch verboten. Das Argument, man habe nicht selbst mit Drogen gehandelt, sondern lediglich eine Seite betrieben auf der andere handeln, ist insofern problematisch als dass dies auch das Argument ist, was reguläre Betreiber solcher Seiten gerne verwenden. Trotzdem meint Jan-Jaap Oerlemans, der an der Uni Leiden über digitale Fahndungsbefugtheiten promoviert hat, dass es fragwürdig sei, ob in einem solchen Falle überhaupt von einer Anstiftung gesprochen werden könne, die Polizei habe schließlich keine Werbung für Hansa gemacht und die Menschen die auf die Seite kamen, hätten sowieso Drogen kaufen wollen.“ Verbrechen in der Unterwelt 2.0 bleiben ein schwieriges Unterfangen und Cyberkriminalität ein Feld in das in den nächsten Jahren, nicht nur in den Niederlanden, viel investiert werden muss.