Nachrichten april 2017


GESELLSCHAFT: Angriff auf homosexuelles Paar in Arnheim - Wie tolerant sind die Niederlande noch?

Arnheim. SB/VK/NOS/NRC. 04. April 2017.

In der Nacht auf Sonntag wurde im der niederländischen Stadt Arnheim  ein Mann zusammengeschlagen, weil er mit seinem Partner Hand in Hand lief. Die mutmaßlichen Täter sind drei 16-Hährige und ein 14-Jähriger. Seit 2009 haben sich die Anzeigen gegen Gewalt gegenüber Homosexuellen beinahe vervierfacht. Das bedeutet zwar nicht zwangsläufig, dass es in den Niederlanden in den letzten Jahren für Homosexuelle gefährlicher geworden ist, trotzdem fragen sich die Niederländer: Wie tolerant sind wir noch?

Der Angriff auf ein homosexuelles Paar in der Nacht auf Sonntag hat in den Niederlanden große Wellen geschlagen. Der 31-Jährige Jasper Vernes-Sewratan und sein 35-Jähriger Partner Ronnie waren nach einer durchfeierten Nacht Hand in Hand über die Nelson Mandelabrücke in Arnheim gelaufen, als ihnen eine Gruppe Jugendlicher entgegenkam. Diese begann das Paar zu beleidigen. Es folgte ein Handgemenge, in dessen Folge Ronnie mit einer Handeisenschere (betonschaar) fünf Zähne ausgeschlagen wurden. Das Paar hatte gegenüber dem Oproep Gelderland gesagt, der Konfrontation bewusst nicht aus dem Weg gegangen zu sein. Am Sonntag erstattete das Paar Anzeige.

Zwei Verdächtige von 20 und 14 Jahren wurden noch in derselben Nacht festgenommen. Vier weitere Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren meldeten sich Sonntag freiwillig bei der Polizei. Es war nicht der einzige Vorfall dieser Art an diesem Wochenende. In Eindhoven wurde ein 18 jähriger festgenommen, weil er unter dem Verdacht steht, eine Person auf Grund ihrer sexuellen Orientierung misshandelt zu haben.

In den Niederlanden zeigt man sich höchst alarmiert über die Vorfälle. Hunderte Männer und Frauen folgten am Montag einem Aufruf der Sportjournalistin Barbara Barend und twitterten unter dem Hashtag #allemannenhandinhand bzw. #handinhand ein Foto, auf dem sie Hand in Hand mit einer anderen Person zu sehen waren. Auch in Den Haag reagierte man reichlich symbolträchtig. Die D66er Alexander Pechtold und Wouter Koolmees gingen am Montag aus Solidarität gegenüber den Opfern Hand in Hand über den Binnenhof zu den Koalitionsverhandlungen. Und auch Jeroen Dijsselbloem und Lodewijk Asscher von der PvdA sah man Hand in Hand am Scheveninger Strand.

Von derlei symbolträchtigen Solidaritätsbekundungen hält Volkskrant Kolumnist Bert Wagendorp allerdings wenig. „Vielleicht sorgt die Bequemlichkeit von derartigen Aktionen gerade für ein unbehagliches Gefühl: Ein Foto und du bist Charlie.“ Besser wäre es seiner Ansicht nach, den Forderungen des COC, dem niederländischen Verein für die Integration von Homosexualität, einer der wichtigsten Organisationen für LGBT-Rechte in den Niederlanden, zu folgen. Das COC hatte nach den Geschehnissen in Arnheim einen Brief an Edith Schippers, die derzeit mit der Regierungsbildung beauftragt ist, geschickt. Darin war zu lesen, dass sich die Zahl der Anzeigen gegen Gewalt gegenüber Homosexuellen zwischen 2009 mit 428 Anzeigen gegenüber 1.574 Anzeigen im Jahr 2015 beinahe vervierfacht habe. Das COC fordert höhere Maximalstrafen für Diskriminierungsdelikte und eine Aufklärung in den Schulen.

Ist es für offen Homosexuelle auf niederländischen Straßen aber auch tatsächlich gefährlicher geworden? Nicht unbedingt, meint Ellie Lust, eine Polizistin, die dem homosexuellenfreundlichen Polizeinetzwerk „Roze in Blauw“ (rosa in blau), angeschlossen ist. Bei Roze in Blauw führt man die gestiegene Zahl der Anzeigen vor allem auf eine höhere Anzeigebereitschaft der Opfer zurück. Trotzdem sei die Dunkelziffer von Menschen, die Opfer von diskriminierender Gewalt würden, noch immer hoch. Es sei daher schwierig, eine zuverlässige Aussage über den Zustand der Sicherheit für Homosexuelle in den Niederlanden zu geben, so Allard Feddes von der Universität Amsterdam. Feddes hat im vergangenen Oktober eine Studie publiziert, aus der hervorgeht, dass die Bereitschaft Anzeige zu erstatten, bei Übergriffen auf Homosexuelle gerade einmal 10 Prozent beträgt. Aus anderen Studien zeichnet sich ab, dass das Sicherheitsgefühl unter den LGBT’s in den letzten Jahren konstant geblieben ist. „Daraus könne man den Schluss ziehen, dass es in den Niederlanden weder sicherer noch unsicherer wird.“, so Feddes weiter.

Nach den Attacken am Wochenende, fragen sich die Niederländern nun: Wie tolerant sind wir eigentlich noch? Die Niederlande gehören neben Dänemark und Schweden zu den Ländern, die am positivsten gegenüber Homosexualität eingestellt sind. Durchschnittlich finden mehr als neun von zehn Niederländern, dass homosexuelle Männer und Frauen ihr Leben so führen sollten, wie sie das selbst wollen. In der polnischen Bevölkerung beispielsweise ist gerade einmal die Hälfte dieser Ansicht. „Wir denken in den Niederlanden, dass wir schon sehr, sehr lange Homosexuelle akzeptieren und das wir nicht umsonst das erste Land waren, welches die Homoehe eingeführt hat“, sagt Lisette Kuyper vom Sociaal en Cultureel Planbureau, „aber wenn man den Prozentsatz der Homosexuellen berücksichtigt, die Opfer von Gewalt geworden sind, lässt sich dieses Bild schwierig aufrecht erhalten“, so Kuyper weiter. Die Diskussion zeigt, dass das Bild der liberalen Niederlande, welches unter anderem schon durch die wiederholt islamfeindlichen Aussagen von Pim Fortuyn und Geert Wilders in den letzten Jahren international ins Wanken geraten ist, nun auch hier Risse zu bekommen droht. Um das Bild wieder gerade zu rücken helfen die symbolischen Aktionen dann vielleicht doch. Die Westervoortsebrug, eine Brücke einer Nachbargemeinde von Arnhem, wurde am Montag in Regenbogenfarben (den Farben der LGBT-Gemeinde) angestrahlt.

Die Informationen zur Tat sollten allerdings noch mit der gebotenen Vorsicht behandelt werden. Noch wurde kein Urteil gefällt und der Anwälte eines Beschuldigten zweifelte die Alleinschuld der mutmaßlichen Täter bereits an: „Wir haben das öfter, dass in den Niederlanden etwas passiert und dass dann eine Partei als Opfer gesehen wird. Die andere Partei ist dann automatisch der Täter. Meistens ist die Wahrheit weitaus differenzierter als das. Wir sollten erst einmal abwarten, was die Ermittlungen ergeben.“