Nachrichten Dezember 2015
Rückblick: Diskussionsabend Sterbehilfe in Deutschland und den Niederlanden
Münster. SW. 21. Dezember 2015.

Wie wird Sterbehilfe definiert? Wie gestaltet sich der rechtliche Rahmen dafür in Deutschland? Welche Kriterien gelten in den Niederlanden für ärztlich begleiteten Suizid? Welche moralischen Normen liegen der jeweiligen Gesetzgebung zugrunde? Auf welche Dilemmas stößt man beim Thema Sterbehilfe? Diesen und weiteren komplexen Fragestellungen widmete sich am vergangenen Donnerstagabend eine Diskussionsrunde im Haus der Niederlande in Münster. Unter Leitung von Prof. Dr. Friso Wielenga diskutierten der niederländische Hämatologe Dr. Jenne J. Wielenga von der Levenseindekliniek in Den Haag und sein deutscher Kollege Prof. em. Dr. med. Gerhard Pott aus Nordhorn über Unterschiede bezüglich der Sterbehilfe in Deutschland und den Niederlanden.
Bereits in der Einführung in das Thema wurde betont, dass die Grenze heutzutage nach wie vor wie ein Informationssieb funktioniere und das Wissen über das Land auf der anderen Seite der Grenze deswegen häufig eingeschränkt sei. Dies gilt insbesondere für das Thema Sterbehilfe. So gelten die Niederlande den meisten als ein offenes und tolerantes Land, in dem ein liberaler Umgang mit dem komplexen Thema Sterbehilfe herrscht. Im Vergleich zu Deutschland, wie auch im europäischen Vergleich, mag diese Vorstellung durchaus zutreffend sein, ganz so einfach wie gedacht, ist es jedoch auch in den Niederlanden nicht, wie sich im Laufe des Abends herausstellte.
Um die Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit gerade zu rücken, eröffnete Dr. Wielenga seinen Vortrag mit einer aufschlussreichen Darstellung der rechtlichen Grundlage in den Niederlanden. Dr. Wielenga erklärte dem zahlreich erschienenen Publikum, dass sowohl die Beendigung des Lebens auf Verlangen als auch die Beihilfe zur Selbsttötung in den Niederlanden nur dann straffrei bleibe, wenn sie von einem Arzt durchgeführt werde, wenn die Sorgfältigkeitskriterien des Gesetzes zur Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen erfüllt würden und wenn im Anschluss eine Meldung über den Tod beim Leichenbeschauer erfolge. Diese strenge Gesetzgebung soll, so Dr. Wielenga, dazu beitragen, möglichen Missbrauch und das Entstehen einer gesetzlichen Grauzone zu unterbinden.
Im Anschluss erörterte Professor Pott, wie die Situation sich in Deutschland darstellt, dies auch im Zusammenhang mit der aktuellen Gesetzesänderung, bei der die Gewerbsmäßigkeit der Sterbehilfe verboten wurde. Bereichert wurden die beiden Vorträge dabei durch die jahrelange Erfahrung der beiden Gesprächsteilnehmer mit dem Thema Sterbehilfe. Professor Pott hat sich diesbezüglich zuvor bereits mit einem Vergleich zwischen der deutschen und niederländischen Sterbehilfe befasst und dazu ein Buch (Sterbebegleitung in Europa am Beispiel Deutschlands und der Niederlande) veröffentlicht. Ebenso bereichernd war das persönliche Interesse der beiden Referenten an Philosophie und Ethik, wodurch die Diskussion um einen philosophischen Gesichtspunkt erweitert wurde. So widmeten sich beide Gesprächsteilnehmer der problematischen Frage, wie weit das Recht des Patienten auf ein würdiges Leben reiche und welche Werte und Normen man dabei zugrunde legen könne. In diesem Zusammenhang erörterte Professor Pott die Rolle der Religion und stellte die Frage, wie und ob diese als Normgeberin zu ersetzen sei.
Im Anschluss an die beiden informativen und differenzierten Vorträge folgte eine Diskussion, bei der auch das Publikum zu Wort kam. Eine Vielzahl der vorher angesprochenen Themen wurde dabei aufgegriffen. Dabei wurden juristische Dilemmas benannt, wie zum Beispiel das jüngst verabschiedete Verbot der gewerbsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland. Diesbezüglich wurde kritisch angemerkt, dass die schwammige Formulierung der „Gewerbsmäßigkeit“ womöglich zu einer Untergrabung des Gesetzes führen könne. Aber auch praktische Fragen, wie der Umgang mit Patientenverfügungen in der Praxis, wurden gestellt. Hierbei stellte Professor Pott nachdrücklich klar, dass es für keinen Patienten ein Recht auf lebenserhaltende Maßnahmen gebe. Auch ethische Dilemmas, wie zum Beispiel der Umgang mit Demenzerkrankten, wurde thematisiert. Dr. Wielenga erklärte hierzu, dass es auch für diese „Ausnahme von der Ausnahme“ in den Niederlanden Regelungen gebe und Ärzte angehalten seien, besondere Sorgfalt walten zu lassen. Die zahlreichen Wortmeldungen zeigten, dass Sterbehilfe auch weiterhin ein wichtiges und viele Menschen bewegendes Thema ist, das Aufmerksamkeit verdient.