Nachrichten August 2015


JUDENVERFOLGUNG: „Niederlande sollen sich offiziell entschuldigen“

Den Haag. AF/1V/RD/NRC/WSJ. 05. August 2015.

Es wird Zeit, dass sich die Niederlande offiziell bei der jüdischen Gemeinschaft für die Kollaboration mit den deutschen Nazis während des Zweiten Weltkriegs entschuldigen. So Rabbi Abraham Cooper vom Simon Wiesenthal Center Los Angeles und Manfred Gerstenfeld, ehemaliger Vorsitzender des Jerusalem Center for Public Affairs in einem Artikel, der Ende Juli in der internationalen, englischsprachigen Tageszeitung Wall Street Journal erschien. Trotz Sommerlochs sorgte die Forderung für nur wenige Reaktionen in den Niederlanden.

„Inzwischen haben beinahe alle europäischen Länder, die während des Zweiten Weltkriegs von den Deutschen besetzt waren, ihre Kollaboration mit dem Naziregime eingestanden. Die meisten haben sich entschuldigt, zuletzt Luxemburg“, schreiben Cooper und Gerstenfeld in ihrem Artikel, der zwei Tage nach der Erstveröffentlichung in einer leicht bearbeiteten Fassung auch in niederländischer Sprache im NRC Handelsblad erschien. „Die einzige große Ausnahme sind die Niederlande, die sich konsequent verwehrt haben, anzuerkennen, dass ihre Regierung im Krieg – damals im Londoner Exil – kein Interesse am Schicksal ihrer jüdischen Bürger unter der deutschen Besatzung hatte.“

Cooper und Gerstenfeld legen dar, dass in den Niederlande im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern die meisten Juden deportiert wurden. Als die Deutschen die Niederlande im Jahr 1940 besetzten, wohnten dort 140.000 Juden, 102.000 sollten ermordet werden.“ Zwei Mal sei Premier Mark Rutte (VVD) deshalb von Parlamentariern gebeten worden, sich hierfür im Namen der Regierung zu entschuldigen. Noch im Februar 2015 habe er die jüngste Anfrage mit dem Hinweis auf eine Rede, welche Königin Beatrix 1995 vor dem israelischen Parlament gehalten hatte, abgelehnt. In der damaligen Rede sei allerdings, so Cooper und Gerstenfeld, die Exilregierung mit keinem Wort erwähnt worden, weshalb man hieraus ersehen könne, „dass die Niederlande ihre Kollaboration nicht anerkennen will“.

Da sich die Niederlande sowohl 2011 bei den indonesischen Witwen des Dorfes Rawagede entschuldigt hätten (NiederlandeNet berichtete) als auch 2014 bei drei bosnischen Familien für die Vorfälle in Srebrenica 1995, sei „die Weigerung, sich bei den niederländischen Juden und ihren Familien zu entschuldigen, noch rätselhafter“.

Es folgten nur wenige niederländische Reaktionen auf die Forderung Coopers und Gerstenfelds. Weder der jüdische Zentralrat in den Niederlanden (CJO), noch die Rundfunkanstalt Joodse Omroep, noch das Nieuw Israëlietisch Weekblad kommentierten den Artikel.

In den großen landesweiten Zeitungen nahm sich neben dem Reformatorisch Dagblad nur das NRC Handelsblad des Themas an: Der Kommentator des NRC bedauerte, dass Mark Rutte solche Fragen nach einer offiziellen Entschuldigung „kurz und knapp, um nicht zu sagen mürrisch“ beantworte. Jedoch stimme es, dass die aktuelle Regierung nicht für die Missetaten oder die passive Haltung von Bürgern und Betrieben in den Jahren 1940-45 verantwortlich sei. Aus dem Londoner Exil habe die niederländische Regierung keinen substantiellen Beitrag zum Widerstand gegen die Nazis leisten können. Hier sei auch der Unterschied zu den Vorkommnissen in Indonesien, für die man sich entschuldigt habe. Damals hätten niederländische Soldaten im Namen der Regierung Kriegsverbrechen begangen.

Erik Sommers vom Niederländischen Institut für Krieg-, Holocaust und Genozidstudien (NIOD) erklärte gegenüber dem NRC Handelsblad, dass feststehe, dass die niederländische Regierung während der deutschen Besatzungszeit „wenig heldenhaft“ aufgetreten sei. „Gleichzeitig hat beinahe kein Land so viele Auszeichnungen aus Israel bekommen, weil Menschen geholfen wurde, unterzutauchen. Es wurde viel Widerstand geleistet. Das macht eine offizielle Entschuldigung schwierig, da es den Niederländern, die im Widerstand waren, Unrecht täte.“

Historiker David Barnouw erklärte gegenüber Radio EenVandaag: „Ich glaube nicht, dass ein Rabbi aus Los Angeles weiß, was die niederländische jüdische Gemeinschaft will.“ Die calvinistische Kultur in den Niederlanden wäre zudem keine Entschuldigungskultur. Gegenüber dem NRC Handelsblad äußerte Barnouw die Ansicht, die jüdische Gemeinschaft in den Niederlanden habe seit 1945 von der Regierung die Anerkennung und den Schadensersatz erhalten, der ihr zustände. Eine offizielle Entschuldigung würde dem nichts hinzufügen.

Mehrere Leserbriefe im NRC Handelsblad wiesen darauf hin, dass anstelle einer offiziellen Entschuldigung die Finanzierung des geplanten Nationalen Shoahmuseums die wichtigere Geste sei: Im Juni wurden Pläne bekannt, wonach in der Hollandsche Schouwburg in Amsterdam ein neues Nationalmuseum über den Holocaust eingerichtet werden soll. „Wenn die Regierung den Umbau und die Einrichtung des Museums finanziert und den Unterhalt garantiert, ist das für die Geschichte der Juden in den Niederlanden mehr wert als jegliche Entschuldigung von jeglicher Regierung“, so ein Leser aus Schiedam.

Lesen Sie mehr über die geschichtlichen Hintergründe in unserem Dossier: Die Judenverfolgung in den Niederlanden 1940-45

Mehr über Königin Beatrixʼ Rede 1995 vor der Knesset in unserem Dossier Beatrix: Aristokratin in einer Mediendemokratie