Nachrichten April 2015


FILMSTART: Niederländischer Naturfilm erzählt nicht die ganze Wahrheit

Essen. KK//dieneuewildnis.de/WAZ/welt.de. 09. April 2015.

Am Donnerstag startet in den deutschen Kinos unter dem Titel „Die neue Wildnis“ ein ganz besonderer Naturfilm aus den Niederlanden. Besonders deshalb, weil sich durch ihn unser Bild von den Niederlanden verändern soll. Besonders auch, weil im Film nur die halbe Wahrheit erzählt wird.

Wildpferd, Rothirsch, Fuchs, Seeadler und Eisvogel – sie sind die Hauptdarsteller des Dokumentarfilms „Die neue Wildnis“. 750.000 Zuschauer sahen den Film in den Niederlanden, wo er im September 2013 bereits Premiere feierte, und machten ihn zum Kassenerfolg. Auch wurde der Film mit dem Rembrandt Award oder dem Publikumspreis beim Niederländischen Filmfestival ausgezeichnet. In der deutschen Version tritt Schauspieler Hannes Jaenicke als Sprecher auf und nimmt die Zuschauer mit auf eine Reise durch die vier Jahreszeiten und durch das Leben auf dem Flevopolder. Regisseur Mark Verkerk und sein 30-köpfiges Team drehten fast zwei Jahre lang in dem Naturschutzgebiet. So entstanden rund 350 Stunden Filmmaterial mit beeindruckenden Aufnahmen, die man sonst nur von Naturfilmen aus anderen Erdteilen kennt. Leben und Tod stehen dabei in enger Verbindung, der Tod des Einen schafft die Lebensvoraussetzungen des Anderen. Die Aufnahmen zeigen Leben und Tod von Wildpferden, Rothirschen, Füchsen und Vögeln bis hin zu Insekten in schonungsloser Nahaufnahme.

Naturschutzgebiet aus dem Meer

Schaut man sich die rund 100 Minuten Film an, dann denkt man im ersten Augenblick nicht an die Niederlande, die ja als am dichtesten bevölkertes Land Europas gelten. Als Drehort für die beeindruckenden Aufnahmen diente das Naturschutzgebiet Oostvaardersplassen, dass sich auf einer Fläche von sieben mal acht Kilometern, etwa 30 Kilometer nordöstlich von Amsterdam in der Provinz Flevoland befindet. Jener Provinz, die die Niederlande nach dem Zweiten Weltkrieg dem IJsselmeer abgewonnen haben. Ursprünglich, so war der Plan, sollte auf dem Gebiet zwischen den Orten Almere und Lelystad ein großes Industriegebiet entstehen, die Ölkrise der 1970er Jahre und der weiche Boden ließen dieses Vorhaben jedoch scheitern. Auf dem Land entstanden schnell Dünen und Moore und viele Tiere und Pflanzen siedelten sich an. 1986 verabschiedete das niederländische Parlament schließlich die Unterschutzstellung der Oostvaardersplassen und man überließ die weitere Entwicklung des Gebietes sich selbst.

Zuvor siedelte man jedoch große Huftiere in den Oostvaardersplassen an, um die Landschaft offen zu halten und einer Verbuschung der trockenen Gebiete entgegenzuwirken. Ihr Bestand hat sich – auch aufgrund fehlender natürlicher Feinde – mit der Zeit aber immer weiter vermehrt. Heute kann man im gesamten Gebiet 3.000 Rothirsche, 1.000 Pferde und 500 Rinder zählen – für das überschaubare Areal eine ganz schön große Anzahl. Etliche Naturschützer kritisieren das Vorgehen in den Oostvaardersplassen aus diesem Grund auch aufs Schärfste.

Kritik von Naturschützern

Mit mittlerweile über 4.500 Tieren habe sich die Population seit dem Jahr 2000 verdoppelt und ist damit viel zu groß für das Gebiet – und für das Nahrungsangebot. Dadurch verenden jährlich mehrere Hundert Tiere qualvoll, sie verhungern einfach. Ludo Hellebrekers von der niederländischen Veterinärvereinigung KNMvD weiß: „Die Tiere sind ein einem abgeschlossenen Gebiet, in einem begrenzten Gebiet – auch wenn es sehr groß ist für niederländische Verhältnisse. Zu einem gewissen Zeitpunkt hat man es mit einer Menge von Tieren zu tun, die größer ist als das Nahrungsangebot.“ Jan Paulides von der Vereniging het Edelhert (dt.: Rothirschvereinigung) konkretisiert das Problem: „In den Oostvaardersplassen steht nicht das ganze Jahr über genügend Futter zur Verfügung. Im frühen Sommer gibt es mehr als genug, aber im Rest des Jahres liegt es unterhalb des Existenzminimums.“

„Wenn man sich dazu entschließt, zuzufüttern, dann wird das Gebiet immer voller und voller. Das ist glaube ich nicht, wo man hin will. Das ist glaube ich auch nicht das, was zu einer gesunden Tierpopulation führt. Das ist auch nicht, was zu einem Naturgebiet führt, das im Gleichgewicht ist“, so Hellebrekers. Kritiker sehen das Wildnis-Projekt daher als gescheitert an. Eine Offenhaltung der Landschaft sei auch durch landwirtschaftliche Viehhaltung möglich.

Darüber hinaus machen die großen Tiere den kleinen den Lebensraum streitig. „Wenn man durch das Gebiet geht, finden sich auf jedem Quadratmeter Spuren von Huftieren. Wenn dort ein Vogel brütet, ist die Chance, dass er aus seinem Nest vertrieben wird, sehr groß“, so Raubvogelexperte Rob Bijlsma in dem kritischen Kurzfilm De Nieuwe Wildernix. Die Tiere stampfen den Boden buchstäblich platt, wodurch kein Raum mehr für kleine Tiere bleibt, meint auch Martijn de Jonge, Fotograf und Publizist, der die Region kennt. Der Film zeigt von alledem nichts – der Tod wird zwar thematisiert, aber als natürlicher Bestandteil des Lebens dargestellt. Dass jedes Jahr hunderte Tiere sterben, bleibt dabei unerwähnt. Eckhard Fuhr sprach in Die Welt über den Film so auch von einer „grandios fotografierten Lüge“. Dies vor allem auch, weil der Film unter anderen mit den Worten „Überraschend und erstaunlich, wie genial das ökologische System auf einem Stück niederländischer Wildnis funktioniert“ beworben wird. Dies suggeriere, dass es funktioniert. Und es suggeriere eine „Wildnis“ ohne menschlichen Eingriff.

Filmpremiere war Start einer Tourismuskampagne

Der Deutschlandstart des Film wird so auch gleichzeitig für den Start einer Tourismuskampagne benutzt, die aktiv für die Niederlande werben soll. Denn die Niederlande haben ein Imageproblem. Zwar sind sie bei den Deutschen als Urlaubsziel beliebt – im vergangenen Jahr machten über 3,9 Millionen Deutsche in den Niederlanden Urlaub –, aber viele Deutsche verbinden nach Ansicht von Anouk Susan, Direktorin des niederländischen Tourismusbüros NBTC in Deutschland, mit dem Nachbarland vor allem Tulpen, Windmühlen und Holzpantinen. Das Land habe aber noch andere Seiten. Susan freute sich bei der Deutschlandpremiere des Films in der Lichtburg in Essen am Mittwoch daher, den Film präsentieren zu können. Die Oostvaardersplassen seien wunderschön, aber bei einigen Deutschen leider noch nicht so bekannt. Mit dem Film will der Tourismusverband das Gebiet bekannter machen. Ein Gebiet, in dem nach ihrer Aussage selbst eine Fotosafari möglich ist – und das mitten in den Niederlanden.

Die Premiere des Films war gut besucht. Neben Regisseur Mark Verkerk und Produzent Ton Okkerse war auch der niederländische Generalkonsul Ton Lansink, die Leiterin der Abteilung Kultur und Kommunikation der niederländischen Botschaft in Berlin, Monique Ruhe, Vertreter der Provinz Flevoland, des NBTC sowie zahlreiche Vertreter aus den Bereichen Kultur und Medien gekommen, um sich den Film anzusehen. Sie zeigten sich beeindruckt von den grandiosen Bildern scheinbar unberührter Natur. Sehr eindrucksvoll war auch die Filmmusik, die in der Lichtburg live vom aus Holland angereisten Metropol Orkest gespielt wurde.

Offizieller Filmtrailer