Nachrichten Mai 2014


ASYLPOLITIK: Niederländische Bürgermeister fordern „faire“ Asylregelungen für Kinder

Amsterdam/Den Haag. KL/DT/NU/NRC/VK. 14. Mai 2014.

In den Niederlanden formiert sich seit vergangener Woche zunehmender Widerstand gegen die Asylpolitik der Regierung in Den Haag. Auf Initiative des Bürgermeisters der Gemeinde Bunnik, Hans Martijn Ostendorp (CDA), wurde eine Online-Petition ins Leben gerufen, die inzwischen mehr als der Hälfte aller 403 niederländischen Bürgermeister unterschrieben hat – am gestrigen Dienstag stand der Zähler auf 244. In der Petition wird der niederländische Staatssekretär für Sicherheit und Justiz Fred Teeven (VVD) darum gebeten, sich bereits abgelehnte Asylanträge von Familien mit Kindern erneut anzusehen.

Der politische Hintergrund für den öffentlichen Appell der Bürgermeister ist kompliziert. Im Zuge der Regierungsbildung mit der rechtsliberalen VVD hatte die sozialdemokratische PvdA darauf gedrängt, Ausnahmeregelungen für Familien mit Kindern im Koalitionsvertrag festzuschreiben, deren Asylantrag eigentlich bereits abgelehnt wurde. Besonders für Familien mit gut integrierten Kindern sollte es trotzdem eine Aufenthaltsgenehmigung geben. Diese Vereinbarung wird in den Niederlanden kurz „Kinderpardon“ genannt. Um von dieser Regelung profitieren zu können, müssen die Betroffenen jedoch eine Reihe detaillierter Anforderungen erfüllen. So müssen sie vor ihrem 18. Geburtstag mindestens fünf Jahre in den Niederlanden gewohnt haben, zum Zeitpunkt des Koalitionsvertrags (29. Oktober 2012) jünger als 21 Jahre alt gewesen sein und sie müssen den Asylantrag mindestens fünf Jahre vor ihrem 18. Geburtstag gestellt haben.

Damit aber noch nicht genug. Obendrein fallen ausschließlich minderjährige Asylbewerber unter das „Kinderpardon“, die fünf Jahre lang ohne Unterbrechung unter direkter Aufsicht des niederländischen Staats standen – Antragsteller unter Gemeindeaufsicht gehören also nicht dazu. Ein solcher Zuständigkeitswechsel bei der Aufsicht kann beispielsweise erfolgen, wenn eine Familie das Asylbewerberheim verlässt. Diese Klausel hat dazu geführt, dass knapp die Hälfte der im Jahr 2012 gestellten Anträge abgelehnt wurde, gegenwärtig stehen daher ungefähr 600 Kinder vor einer Abschiebung in das Herkunftsland ihrer Familien.

Der Kinderschutzbeauftragte der Zweiten Kammer Marc Dullaert äußerte vergangene Woche heftige Kritik an der aktuellen Regelung, wörtlich nannte er sie „idiotisch“. Aus seiner Sicht gewährleisten auch die Gemeinden eine angemessene Aufsicht. Schließlich seien die Gemeinden auch ein Teil des Staats, sonst könnten soziale Aufgaben nicht an sie übertragen werden, was in anderen Fällen aber häufig geschehe. „Diese Kinder sind ganz normal zur Schule gegangen, waren in Sportvereinen aktiv und hatten Kontakt zu einem Sozialarbeiter, sie haben sich also sehr wohl im Blickfeld des Staats aufgehalten“, sagte Dullaert gegenüber de Volkskrant.

Die niederländischen Bürgermeister vertreten in ihrer Petition ebenfalls die Ansicht, dass die betroffenen Kinder bereits vollständig in die niederländische Gesellschaft integriert sind und deshalb ein Sonderbleiberecht erhalten sollten. Aber auch Interessenverbände und Oppositionsparteien in der Zweiten Kammer stemmen sich gegen die Abschiebung der Familien mit Kindern. Inzwischen begehrt sogar die Basis der sozialdemokratischen PvdA dagegen auf und verlangt eine „großzügigere“ Handhabung der Regelungen und eine stärkere Berücksichtigung von Härtefällen. Das würde jedoch die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag grundsätzlich in Frage stellen.

Der PvdA-Fraktionsvorsitzende Diederik Samsom hat am vergangenen Sonntag auf einer Parteiveranstaltung in Amsterdam mitgeteilt, dass er eine Ausnahmeregelung für die betroffenen Kinder zwar prinzipiell unterstütze. Die formalen Anforderungen für das Pardon würden jedoch nicht abgeschwächt. Letztlich würden alle Grenzen, die man bei der Asylpolitik ziehe, wiederum Grenzfälle mit sich bringen. Samsom geht davon aus, dass rund 100 Kinder zusätzlich in den Niederlanden bleiben dürfen.

Bereits vergangene Woche hatte Premierminister Mark Rutte (VVD) die direkte staatliche Aufsicht für Asylbewerber verteidigt. Da die Gemeindeaufsicht sehr unterschiedlich ausfalle, gleiche die Situation auf dieser Ebene einem „Flickenteppich“. Auf Staatsebene sei die Politik hingegen einheitlich, daher habe man sich für diese Ebene entschieden. Rutte befürchtet zudem, dass der Konsens in der Asylpolitik auf dem Spiel stehe, wenn abgewiesene Asylbewerber einfach im Land verbleiben könnten.

In einem Brief hat der zuständige Staatssekretär Teeven inzwischen alle Bürgermeister, die die „Kinderpardon“-Petition unterschrieben haben, dazu aufgefordert, ihm mehr Informationen über konkrete Fälle in ihren Gemeinden zu geben. Damit meint er offensichtlich Details, die der niederländischen Einwanderungsbehörde, dem Immigratie- en Naturalisatiedienst (IND), noch nicht vorliegen. Die Bürgermeister sollen ihm bis Anfang kommender Woche antworten. Erneut wies Teeven darauf hin, dass die Regelungen des „Kinderpardons“ nicht angepasst würden, er werde sie jedoch „großherzig“ umsetzen.

Zuletzt stand die Asylpolitik 2011 im Blickpunkt der niederländischen Öffentlichkeit. Damals ging es um die geplante Abschiebung des aus Angola stammenden Mauro Manuel (NiederlandeNet berichtete).