Nachrichten März 2014
PVV: Rede von Geert Wilders aufs äußerste kritisiert [UPDATE]
Den Haag. TM/dpa/NOS/om.nl. 21. März 2014.
Eine Rede des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders, die er am Mittwochabend im Zuge der Kommunalwahlen in Den Haag hielt, hat zu teils heftigen Reaktionen aus Politik, Medien, Kirchen und Gesellschaft geführt. Wilders fragte die Anhänger seiner Partei in einer Art und Weise, die viele an die berühmte Sportpalastrede von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels 1943 erinnerte, ob sie mehr oder weniger Marokkaner in ihrer Stadt und in ihrem Land haben wollen. Das Publikum skandierte darauf lauthals „weniger, weniger, weniger...“. Im Anschluss sicherte Wilders ihnen die Umsetzung dieses Wunsches zu: „Das werden wir dann regeln.“
Kritisches Medienecho
In den sozialen Medien wie Twitter oder Facebook verbreiteten sich die Reaktionen auf Wilders' Aussprachen am Mittwochabend wie ein Lauffeuer. Dabei wurde auch der Vergleich des Rechtspopulisten mit Adolf Hitler nicht gescheut. Und auch viele Zeitungen und andere Medien reagierten auf die Parteiveranstaltung der Freiheitspartei PVV mit ungewöhnlich deutlichen Worten. Der Stellvertretende RTL-Chefredakteur Pieter Klein schrieb Donnerstagmorgen in einem offenen Brief an Geert Wilders: „Du provozierst historische Vergleiche (mit dem zweiten Weltkrieg) wohl überlegt. [...] Geert, schäm dich zutiefst.“ Und auch die nicht gerade als größte Kritikerin von Wilders bekannte Boulevardzeitung De Telegraaf verurteilte die Vorkommnisse in Den Haag gestern zutiefst: „Was Wilders zeigte, hat nichts mehr mit dem normalem Politikbetrieb zu tun.“ Der PVV-Politiker würde hiermit seine eigenen Grenzen überschreiten. Auch das NRC Handelsblad fand in einem Kommentar deutliche Worte: „Indem er einen Saal mobilisiert, 'weniger Marokkaner' zu skandieren, schafft Wilders eine Atmosphäre von Deportation.“ Und auch international führte die Wahlveranstaltung der PVV zu einem breiten Medienecho – egal ob Washington Post in den USA, El Pais in Spanien oder die FAZ in Deutschland.
Auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte (VVD) blieb diesmal nicht bei seinen ansonsten so diplomatischen Tönen gegenüber Geert Wilders. Der ehemalige Parteifreund von Geert Wilders – bis zu Wilders' Austritt 2004 waren beide gemeinsam in der VVD aktiv – sagte noch am Mittwochabend, er bekomme „einen schlechten Geschmack im Mund“ von den Äußerungen Wilders'. Nach Abschluss des EU-Gipfels zur Krimkrise in Brüssel ging der niederländische Premier Donnerstagnacht dann noch einen Schritt weiter und gab bekannt, dass er nicht mehr mit Geert Wilders zusammenarbeiten werde, solange dieser bei seinen Äußerungen zu Marokkanern bleibe. Wilders habe „erneut eine Grenze überschritten“. „Solange das die Meinungen der PVV sind, arbeiten wir nicht mit dieser Partei zusammen.“ Bislang wollte Mark Rutte die Zusammenarbeit mit der PVV nie ausschließen und kommentierte umstrittene Aussagen von Geert Wilders prinzipiell nicht. Von 2010 bis 2012 ließ er sich als Regierungschef einer Minderheitsregierung mit den Christdemokraten sogar von der PVV tolerieren.
Mehr als 100 Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft
Kritik hagelte es aber nicht nur von außerhalb der PVV. Roland van Vliet, einer von 14 verbliebenen Abgeordneten der PVV-Fraktion im niederländischen Unterhaus kündigte am Donnerstag an, sich aus der Fraktion zurückzuziehen und als unabhängiger Abgeordneter weiterzumachen: „Für mich ist es der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. So einfach ist das“, so van Vliet zu seiner Motivation. „Es dreht sich jetzt um eine ganze Bevölkerungsgruppe, die Marokkaner, und nicht mehr um islamistische Auswüchse oder eine Überrepräsentanz in Kriminalstatistiken oder der Sozialhilfe“, begründete der Politiker seine Entscheidung. [UPDATE, 21. März 2014, TM: Freitagnachmittag folgte auch Joram van Klaveren und verließ die PVV-Fraktion. Was zunächst „weniger Islam“ hieß, sei immer mehr zu „weniger Marokkaner“ geworden. Für den Politiker, der seit 2010 der Fraktion angehört, ist die PVV heute nicht mehr das, was sie zu Beginn einmal war. Auch bekam er nach eigener Aussage selbst immer weniger Platz für eigene Standpunkte eingeräumt.]
Bei den Staatsanwaltschaften in etlichen niederländischen Städten gingen unterdessen viele Anzeigen gegen Geert Wilders ein. In Den Haag allein waren es Donnerstagnachmittag bereits mehr als 100. Und auch auf der Website der Polizei meldeten sich mehr als 500 empörte Bürgerinnen und Bürger, um Wilders der Diskriminierung zu beschuldigen. Einer der Initiatoren von Anzeigen gegen Geert Wilders war dabei die Interessenvereinigung von Marokkanern in den Niederlanden, die sich durch Wilders' Äußerungen verletzt fühlte. In einer ersten Reaktion ließ die Staatsanwalt verlauten, dass eine Aussage darüber, ob Wilders' Wortwahl strafbar waren, juristisch schwierig ist. Einerseits spiele hier die grundgesetzliche Meinungsfreiheit eine Rolle, diese gelte aber auch nicht uneingeschränkt, so die Staatsanwaltschaft in einer Pressemitteilung.
Vergleich mit Sportpalastrede Goebbels'
Äußerungen, die die Rede Wilders' in einem Atemzug mit der berühmten Sportpalastrede von Joseph Goebbels sehen, in der dieser das Publikum „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ fragte, weist Geert Wilders entschieden als „widerlich“ zurück. Obwohl sich beide Reden inhaltlich stark voneinander unterschieden, zeigte die Form, die Wilders wählte, tatsächlich einige Parallelen auf. Denn auch Wilders führte seine Zuhörer langsam zum letztendlichen „Weniger Marokkaner“ hin. So fragte er seine Anhängerschaft zunächst, ob die Leute mehr oder weniger Europäische Union wünschen. Anschließend wollte er wissen, ob sie mehr oder weniger Sozialdemokratie wollen. Erst die dritte Frage drehte sich um die Marokkaner. Alle drei Fragen wurden von lauten „weniger, weniger“-Rufen sowie Jubel und Applaus begleitet.
Professor Friso Wielenga vom Zentrum für Niederlande-Studien der Universität Münster bezeichnete die Parallele gegenüber der Nachrichtenagentur dpa überzogen: „Ich finde, Goebbels hat schon eine andere Qualität“, so der Historiker. „Lassen wir die Kirche mal im Dorf.“ Nach Ansicht des Wissenschaftlers sei Geert Wilders kein Antisemit, habe die Grenzen zum Rassismus aber überschritten. Aus diesem Grund sollten Politiker und die niederländische Öffentlichkeit Wilders' Äußerungen nach Ansicht von Friso Wielenga sehr scharf kritisieren und hart mit ihm ins Gericht gehen. Für einige Relativierung sorgte unterdessen auch der NOS-Reporter Joost Vullings, der am Mittwoch in Den Haag vor Ort war. Nach Vullings Äußerung fügte Geert Wilders, nachdem er das Podium verlassen hatte, seiner Aussage noch etwas hinzu: „Er sagte auf dem Podium: wollt Ihr weniger Marokkaner? Dann denkt man, dass er weniger Marokkaner möchte. Aber anschließend sagte er gegenüber Reportern, dass er damit kriminelle Marokkaner meinte, nicht alle Marokkaner.“
Ob es zu einer Anklage gegen Geert Wilders kommen wird oder nicht. Eins hat der niederländische Populist mit seiner Rede auf jeden Fall erreicht: Er hat von anderen aktuellen Themen wie etwa der Krimkrise abgelenkt und für sich selbst Medienöffentlichkeit geschaffen. Und die kann er, kurz vor der anstehenden Europawahl, gut gebrauchen.
Mehr zu dem Phänomen Geert Wilders in unserem gleichnamigen Hintergrunddossier.